Als die Nationalsozialisten ihn entließen, zog Otto Dix sich an den Bodensee zurück. In Friedrichshafen kann man nun sehen, was der berühmte Maler in der Idylle machte, die er „zum Kotzen schön“ fand.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Friedrichshafen - Es sagt sich leicht dahin, dass jemand ein Stadtmensch ist. Otto Dix aber war definitiv ein solcher. Er war gesellig, ging gern ins Kino und durch die Straßen. Er sei ein „Wirklichkeitsmensch“, meinte er und saugte auf, was die Großstadt ihm zu bieten hatte mit ihren Klubs und Bars, den schillernden und verruchten Gestalten, Freiern und Frauen. „Alles muss ich sehen“, meinte Dix – und wurde mit Straßenszenen mit Kriegskrüppeln und fratzenhaften Kreaturen bald bekannt.

 

Das Zeppelin Museum in Friedrichshafen hat dieses Motto von Dix nun wörtlich genommen. Das Haus rühmt sich, über eine der größten Dix-Sammlungen in öffentlicher Hand zu verfügen. Die rund vierhundert Arbeiten, darunter 21 Gemälde und eine stolze Auswahl an Zeichnungen und Grafiken, wurden komplett aus den Depots geräumt und werden nun unter dem Titel „Alles muss ich sehen!“ gezeigt.

Die Kuratorin Ina Neddermeyer hatte es nicht leicht, die für eine Kunstausstellung wenig attraktiven Räume zu bespielen, denn das Zeppelin Museum ist vor allem der Technik und der Dokumentation der Luftschifffahrt gewidmet. Es wurden thematische Einheiten zu Natur, Porträt, Akt oder auch Landschaft gebildet. Und auch wenn die Ausstellung mit ihrer Fülle und den ständigen Sprüngen durch Stile und Phasen eher verwirrt als klärt, macht sie doch deutlich: Otto Dix war enorm vielseitig und hat in seiner künstlerischen Karriere diverse Entwicklungen durchgemacht.

Aus dem Arbeiterkind wird ein erfolgreicher Maler

2016 wäre Dix 125 Jahre alt geworden – und sein Geburtstag wurde in Ost- wie Westdeutschland gefeiert, nicht nur am Bodensee, wo er viele Jahre lebte, sondern auch in Gera, wo er 1891 geboren wurde und wo kürzlich sein Geburtshaus wiedereröffnet wurde. Dix war ein Arbeiterkind, in der Schule wurde er von seinem Zeichenlehrer gefördert. Nach einer Lehre als Dekorationsmaler bekam er ein Stipendium an der Dresdner Kunstgewerbeschule. Er macht schnell Karriere und wird Professor an der Dresdner Kunstakademie, 1933 muss er seinen Posten räumen und zieht 1936, um weiteren Diffamierungen durch die Nationalsozialisten zu entgehen, mit seiner Familie an den Bodensee, nach Hemmenhofen. Und von heute auf morgen fehlt ihm, was ihn stets inspiriert und ihm die Motive geliefert hatte: das pulsierende Großstadtleben. Legendär ist sein Ausspruch, dass er die Idylle „zum Kotzen schön“ finde, er stehe wie eine Kuh der Landschaft gegenüber.

In der Ausstellung finden sich Landschaften aus allen Etappen seines Künstlerlebens. Es beginnt bei einer „Elblandschaft“ von 1912, die noch den nervösen Pinselstrich der Impressionisten nutzt, und reicht bis zur Feinmalerei der späten Jahre. Die „Bodenseelandschaft mit Regenbogen“ aus dem Jahr 1939 erinnert in ihrer schwermütigen Andächtigkeit an Caspar David Friedrich: Der Blick auf den See wird von großen Kreuzen auf einem Friedhof gebremst, und über das Wasser zieht sich ein großer Regenbogen.

Das Gros der Werke aus der Friedrichshafener Sammlung stammt aus den Jahren am Bodensee, deshalb tauchen das bedeutende Frühwerk und die Stadtmotive nur am Rande auf. Zumindest verfügen die Friedrichshafener über Dix’ frühe Blätter zum Krieg. Ein wenig geschmacklos wirkt es schon – Otto Dix lief mit offenen Augen durchs Leben, wollte sehen, was die Welt zu bieten hat, im Guten, aber durchaus auch im Schlechten. „Der Krieg“, meinte er, habe „etwas Gewaltiges“, das er „auf keinen Fall versäumen“ wolle. So meldete sich Dix freiwillig zum Ersten Weltkrieg und war bei der Feldartillerie an der West- und Ostfront im Einsatz.

In Zeichnungen und Gouachen fing Dix das Grauen ein, schonungslos zeigen die Blätter tote Leiber, Schädel, durch die Würmer kriechen oder auch eine verzweifelte Mutter, die im Wahn ihren toten Säugling stillen will. Der Krieg hat ihm wahrlich starke Motive geliefert – und ihm selbst wohl auch einen süßen Schauer verschafft: „Du kannst dir das nicht vorstellen, was es für ein Gefühl ist, wenn du einem anderen das Bajonett in den Wanst rammeln kannst!“, schrieb er einem Kollegen.

Otto Dix führt ein Doppelleben – eine Familie lebt am Bodensee, eine in Dresden

Was in der Ausstellung in Friedrichshafen nur in einem Brief Erwähnung findet: Dix führte zeitlebens ein Doppelleben und hatte in Dresden eine zweite Familie, die er regelmäßig besuchte. Die Höri aber blieb bis zu seinem Tod 1969 sein Hauptwohnsitz, hier ist ein großer Teil seines Werkes entstanden. In der Ausstellung trifft man gleich mehrfach Christopherus, der den Christusknaben übers Wasser trägt. Auch die erste Fassung der „Versuchung des Heiligen Antonius“ (1937) ist zu sehen, auf dem das sündige Weib und allerhand teuflische Gestalten den armen Alten bedrängen. Die Qualität des Frühwerks aber erreicht Dix hier nicht mehr.

Produktiv war er dennoch, was sich an der enormen Fülle in der Ausstellung ablesen lässt. Gerade den weiblichen Akten wird viel Raum gegeben. So mag die Schau zwar einen Eindruck der künstlerischen Bandbreite gerade auch im Spätwerk geben. Die pragmatische thematische Bündelung ist aber recht grob, die einzelnen Sektionen wirken unaufgeräumt mit den zahllosen verschiedenen Formaten, Stilen und Techniken. Für eine sinnig komponierte Werkschau hätte man lieber eine Auswahl treffen sollen, statt einfach alles zu zeigen. Bei allem Stolz auf die eigenen Bestände – Masse allein ist noch kein Qualitätskriterium. Im Alter wurde Otto Dix mit diversen Preisen ausgezeichnet und machte zahlreiche Ausstellungen – in der BRD wie in der DDR. Gera nennt sich heute offiziell Otto-Dix-Stadt, beerdigt aber ist der Maler in Hemmenhofen. Bis zum Schluss ging Dix, bevor er morgens Brötchen holte, auf die Post, um die Briefe seiner zweiten Frau in Empfang zu nehmen. Als er 1969 starb, zog der Leichenzug eigens an der Post vorbei, als Gruß an die Familie drüben im Osten.

Bis 17. April, Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr

Museum Das Zeppelin Museum ist 1996 eröffnet worden und liegt direkt am Bodensee. Die technische Abteilung zeigt Geschichte der Luftschifffahrt, in der Kunstsammlung befinden sich Werke von Mittelalter bis Gegenwart.

Leitung
Seit zwei Jahren ist Claudia Emmert Direktorin des Zeppelin Museums. Wie ihre Vorgängerin Ursula Zeller, kommt auch sie aus Stuttgart, wo sie Kunstgeschichte, Germanistik und Romanistik studiert hat. Vor ihrem Wechsel an den Bodensee leitete Emmert das Kunstpalais in Erlangen.

Austellung„Alles muss ich sehen!“, bis 17. April,
Di bis So 10 bis 17 Uhr (adr)