Die Ratten haben den Stadtgarten erobert, während viele Jahre über dessen Neugestaltung diskutiert wurde – und man die Finanzierung im Stadthaushalt aufschob. 2019 will man im Rathaus einen neuen Anlauf unternehmen.
Stuttgart - Wegen Ratten ist der Schädlingsbekämpfer Stephan Burkhardt das ganze Jahr über fast täglich in Stuttgart und Umgebung unterwegs. Die Gründe? „Es wird viel zu viel Müll einfach weggeworfen, er wird häufig nicht in geschlossenen Tonnen aufbewahrt. Und es werden zu viele Lebensmittel in den Toiletten weggespült, die so in die Kanalisation geraten. Das sind alles optimale Nahrungsquellen für Ratten.“
Eine andere Ursache – auch im Blick auf die Ratten, die in der Universitätsbibliothek beim Stadtgarten Archivbestände im Wert von mehr als 200 000 Euro zerstört haben – sind Baustellen. Die Stuttgarter Zeitung hatte zuerst über das Thema berichtet. Burkhardt: „Baustellen zerstören die Lebensräume von Ratten, Mäusen oder Insekten. Deshalb suchen sie sich neue Bereiche.“ Das kann nach Burkhardts Erfahrungen schon eine Querstraße weiter sein, bei Großbaustellen wie Stuttgart 21 sind die Ausweichbewegungen der Tiere entsprechend größer.
Giftköder mit Warnhinweisen
Auf eigene Veranlassung ist die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft SWSG im Stuttgarter Osten aktiv geworden: Dort ist ein Teil einer Wohnungsanlage aus den 1930er Jahren nach einer Grundsanierung jetzt wieder bezugsfertig, beim anderen wird mit der Renovierung begonnen. Auf dem Gelände wurden mehrere Giftköder angebracht. „Die SWSG modernisiert die Siedlung im unbewohnten Zustand. Die Mieter sind ausgezogen, was ein erhöhtes Müllaufkommen nach sich gezogen hat“, so der SWSG-Sprecher Peter Schwab: „Dies ist wohl die Ursache dafür, dass dort Ratten gesichtet wurden. Die SWSG hat durch eine Fachfirma Fallen aufstellen lassen.“ Schwab: „Die Situation wird regelmäßig kontrolliert. Wir nehmen an, dass das Problem damit jetzt gelöst ist.“ Ähnlich verhält es sich wohl nicht weit davon mit dem Behörden- und Bürozentrum an der Ostendstraße. Auch dort sind Giftköder ausgelegt in einer Metallröhre, versehen mit entsprechenden Warnhinweisen. Solche Giftköder verwendet auch Burkhardt: „Das Gift wirkt nach drei bis vier Tagen.“ Der Nachteil daran ist, dass sich das infizierte Tier zurückziehen kann, der Kadaver bleibt somit erst einmal unentdeckt. Bei Schlagfallen, also dem Klassiker mit dem gespannten Metallbügel, wird der Kadaver schnell entdeckt. In Außenbereichen sind die aber nicht erlaubt, da sie auch für andere Tiere gefährlich werden können.
Etwa drei Wochen dauere es, bis eine Bekämpfung per Giftköder erfolgreich ist. „Nach einer Woche schauen wir, in welchem Maße die Giftköder gefressen wurden, wir entfernen verendete Tiere. Bei Schlagfallen kann dieses Problem nach wenigen Tagen erledigt sein.“ Aber, so Burkhardt: „Ratten haben erst mal Angst vor neuen Dingen. Da braucht es etwas Gewöhnungszeit.“
Stadtentwässerung hat 20 000 Köder ausgelegt
Die Stadt Stuttgart ist ebenfalls in dieser Thematik aktiv, allerdings auf der Basis einer klaren Aufgabenverteilung: „Für Privatflächen sind die betreffenden Leute selbst verantwortlich“, so der Stadtsprecher Sven Matis. Im Fall der Unibibliothek sei dies das Land oder die Uni selbst. Anders verhält es sich bei der Kanalisation: „Die Stadtentwässerung Stuttgart hat etwa 20 000 Köder ausgelegt und überprüft“, so Matis, „es wurden etwa 16 000 Schächte mit Ködern belegt. Jetzt laufen Versuche mit neuen Köderboxen. Dafür wurden etwa 220 000 Euro ausgegeben.“
Bei der Uni Stuttgart scheint die Frage nach der Zuständigkeit noch unbeantwortet zu sein. „Man hätte das optimaler machen können. Das ist ein Problem, das hoffentlich wach gerüttelt hat“, bemerkte Rektor Wolfram Ressel zum Rattenbefall im Bibliotheksarchiv am Rande einer Preisverleihung. Und wie konnte es passieren, dass im Stadtgarten Zigarettenkippen, Abfälle, Schmierereien und Vandalismus immer mehr zum Problem werden konnten? Dass die Ratten das Feld eroberten? Mit Blick auf die Müllprobleme im Park und die Baumängel der mehr als 50 Jahre alten Bibliothek schaut Ressel lieber nach vorne, auf einen geplanten Neubau.
Die Stadtverwaltung beteuert, sie wolle gegen das Müllproblem verstärkt vorgehen. Von Frühjahr an werde öfter gereinigt, kündigt Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) an: statt einmal in der Woche dreimal. Von April bis Oktober werde man die Papierkörbe fünfmal statt dreimal pro Woche leeren. Zudem würden größere Abfallbehälter angebracht. 2018 habe das Gartenamt schon vorläufige pflegerische und gestalterische Verbesserungen vorgenommen. Zur Frage, warum sich am Erscheinungsbild der Anlage nicht längst Grundsätzliches geändert hat, obwohl wiederholt über die Neugestaltung beraten worden war, sagt Thürnau: „Das Projekt wurde vom Gemeinderat nicht beschlossen.“ 2017 habe die Verwaltung es auf der Liste gehabt – aber auf der roten Liste, gab der Bürgermeister zu. Doch was die Verwaltungsspitze dem Gemeinderat wirklich vorschlägt, steht in der grünen Liste.
Der Beschluss wurde einst verschoben
Schon 2012 schienen die Rufer nach einer Neugestaltung am Ziel zu sein. Im Rathaus lag die Arbeit eines Landschaftsplanungs-Büros auf dem Tisch. Doch im Sommer 2013 gab es Protest gegen das Fällen von mehr als 80 Bäumen. Der Gemeinderat verschob den Beschluss. In den Haushaltsberatungen 2015 spielte das Projekt keine Rolle. 2017 fiel es nicht nur bei der Verwaltungsspitze durch den Rost. 2019 solle das Projekt für die Etatberatungen wieder angemeldet werden, sagt Thürnau. Die Verwaltung wolle weiterhin das Ergebnis eines Planungswettbewerbs umzusetzen – und zwar in Abstimmung mit dem Masterplan Campus Innenstadt der Hochschulen.