Die Zinswende kommt behutsam bei Anlegern und Kapitalnehmern an. Finanzierungsbedingungen bleiben noch lange sehr günstig, sagen Experten. Doch wer einen Immobilienerwerb oder Investitionen plant, sollte im Blick haben: Die Zeit der sinkenden Zinsen ist vorbei.

Stuttgart - - Die Zinswende kommt behutsam bei Anlegern und Kapitalnehmern an. Finanzierungsbedingungen bleiben noch lange sehr günstig, sagen Experten. Doch wer einen Immobilienerwerb plant, sollte im Blick haben: Die Zeit der sinkenden Zinsen ist vorbei.
Die US-Notenbank hat im Dezember 2016 zum zweiten Mal die Zinsen erhöht. Ist die Zinswende eingeleitet?
Der Trend zeigt – wenn auch behutsam – nach oben. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) hat im Dezember 2015 und im Dezember 2016 die Zinsen erhöht. „Wenn in diesem Jahr zwei weitere Zinsschritte kommen wie in Aussicht gestellt, dann ist die Zinswende vollzogen“, sagt LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert. Wie schnell die Zinsen steigen werden, hängt ihm zufolge auch von der Wirtschaftspolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump ab, die noch eine große Unbekannte ist. Die Märkte haben auf die Wahl reagiert. „Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen sind seit der Wahl Donald Trumps von 1,8 auf über 2,5 Prozent gestiegen“, sagt Vermögensverwalter Max Schott von Sand & Schott. Setzt Trump sein angekündigtes Konjunkturprogramm um, „könnte das durchaus der Beginn einer Phase steigender Zinsen in den USA sein“, so Schott.
Einen Unsicherheitsfaktor sieht sein Kollege Thomas Wüst von der Valorvest Vermögensverwaltung in dem sich anbahnenden „Machtkampf“ zwischen Notenbankchefin Janet Yellen und Trump. „Die Notenbankpräsidentin hat sich auf der letzten Sitzung 2016 gegen neue Konjunkturprogramme ausgesprochen, die ja das Herzstück von Trumps Wahlversprechen sind.“
Wird die Zinserhöhung in den USA Auswirkung auf Deutschland haben? Gibt es auch im Euroraum bald höhere Zinsen?
Die Situation in Europa stellt sich ganz anders da, sagt LBBW-Chefvolkswirt Burkert. Die Europäische Zentralbank ( EZB) lässt keinen Zweifel daran, dass sie an ihrem Fahrplan festhalten wird. So hat die EZB ihr Anleihen-Kaufprogramm bis Ende 2017 verlängert, von April an wird es allerdings gedrosselt. Burkert geht davon aus, dass EZB-Präsident Mario Draghi die Anleihenkäufe 2018 sukzessive nach unten fahren wird. „Den ersten Zinsschritt der EZB erwarten wir für 2019. Da reden wir dann aber nur über einen Viertelprozentpunkt. Höhere Zinsen kommen langsam bei Anlegern und Kapitalnehmern an“, betont der Ökonom. Weil das Ziel mehr Wachstum sei, würden die Finanzierungsbedingungen „noch lange sehr günstig“ bleiben. Dennoch: „Die Zeit der sinkenden Zinsen ist vorbei“, sagt Burkert. Moderat steigende Zinsen im Euroraum erwartet auch Vermögensverwalter Schott. Dafür spreche der aktuell sehr hohe Unterschied bei den Renditen zehnjähriger amerikanischer und deutscher Staatsanleihen. Dieser liegt „mit über zwei Prozent so hoch wie nie in den vergangenen 25 Jahren“. Eine Folge davon sei, dass der US-Dollar gegenüber dem Euro deutlich aufgewertet habe. Der schwache Euro könnte für positive Wachstumsüberraschungen und eine anziehende Inflation in Europa sorgen. „Das übt Druck auf die Zinsen im Euroraum aus“, sagt Schott.
Was bedeutet die Entwicklung für den Immobilienmarkt?
Die Bauzinsen sind in den vergangenen Wochen leicht angestiegen. „Das wird in diesem Jahr weitergehen“, so Burkert, „dennoch werden wir immer noch ein Niedrigzinsniveau haben“. Wer über eine Finanzierung nachdenkt, so Patrick Cettier von der Züricher Vermögensverwaltung Prio Partners, „sollte die historisch niedrigen Zinsen möglichst langfristig absichern.“ Denn: „Finanzierungskosten und Preise von Immobilien haben grundsätzlich eine inverse Beziehung: Steigen die Finanzierungskosten, sinken die Preise“, sagt Cettier. Auch für Vermögensverwalter Wüst ist sicher: Sollten die Zinsen perspektivisch wieder steigen, würde sich dieser Renditeanstieg negativ auf die Immobilienpreise auswirken – „in schlechten Lagen in strukturschwachen Regionen wäre dann sogar mit stärkeren Preiseinbrüchen zu rechnen.“
Die Immobilienpreise sind hoch, sollte man dennoch kaufen oder bauen?
Die Immobilienpreise in Deutschland sind hoch, auch wenn „eine richtige Blase noch nicht erkennbar ist“, sagt Rolf Kazmaier von der SVA Vermögensverwaltung Stuttgart. „Schnäppchen sind nicht mehr zu machen.“ Viele Anleger zahlten einen überteuerten Preis. „Das kann schiefgehen, da nützt der billige Zins auch nicht.“ Auch am Immobilienmarkt könne man Geld verlieren. Kazmaier warnt: „Nur weil ich billig Geld aufnehmen kann, muss ich nicht jeden Preis für eine Immobilie zahlen.” Das werde aber in vielen Fällen getan, so seine Erfahrung. Knickt dann der Immobilienmarkt um zehn Prozent ein, geht die Rechnung in vielen Fällen nicht mehr auf. „Sehr weit weg sind wir von so einem Szenario nicht mehr“, sagt Kazmaier. Prinzipiell sollte man bei solchen Finanzierungen auf Nummer sicher gehen und nicht auf Zinsentwicklungen spekulieren, sagt Wüst. Beim Immobilienkauf sollte man sich weder vom aktuellen Zinsniveau noch von Inflationsängsten unter Druck setzen lassen.
Was bedeutet die Zinsentwicklung für Wertpapieranleger?
Wer sein Geld sicher anlegen will, der kann weiterhin keine Zinsen erwarten, sagt Rolf Stumpp von Glogger & Partner, damit werde auch der Zinszinseffekt weitgehend außer Kraft gesetzt. Wer sein Vermögen real erhalten will, „muss sich verstärkt mit Anlageformen jenseits der zinstragenden Anlageklasse auseinandersetzen“, so Stumpp. Auch nach Einschätzung von Wüst wird in diesem Jahr der Anlagenotstand in Deutschland insbesondere bei kurzfristigen Tages- oder Festgeldanlagen anhalten. Wer sein Geld mittel- bis längerfristig anlegen kann, sollte sich ein breit gestreutes Wertpapierdepot aufbauen, dessen Struktur seiner Risikoneigung entspricht.
Steigende Zinsen bewirken fallende Kurse bei Anleihen, was in der zweiten Jahreshälfte 2016 bereits zu beobachten war, erläutert Schott. „Konservative Wertpapieranleger sollten deshalb auf Anleihen mit kurzen Restlaufzeiten oder Anleihen mit variabler Verzinsung setzen.“ Der Vermögensverwalter setzt im derzeitigen wachstumsfreundlichen Umfeld auf Aktien. Das alte Sprichwort, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, sei immer noch gültig, betont Kazmaier. „Momentan gibt es für Anleger mehr Risiken als Chancen”. Es sei zu beobachten, wie einige Anleger schon wieder zu dubiosen Angeboten greifen. Kazmaier rät zu Vorsicht: Wenn einem sechs bis zehn Prozent in Aussicht gestellt würden, sollte man die Finger davon lassen. Doch das wolle keiner hören. „Geldeinsammler haben leider derzeit ein leichtes Spiel.”