Bisher weigert sich Bosch, interne Unterlagen für die Aufarbeitung der Dieselaffäre herauszugeben. Ein Richter sieht dafür keinen Grund – mit einer Begründung, die für den Zuliefernkonzern eigentlich erfreulich ist.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Zulieferkonzern Bosch kann sich wohl nicht weigern, Unterlagen zur zivilrechtlichen Aufarbeitung des VW-Dieselskandals an das Landgericht Stuttgart herauszugeben. Dies hat der zuständige Richter, Fabian Richter Reuschle, am Mittwoch bei einem Zwischentermin der 22. Zivilkammer signalisiert. Nach seiner vorläufigen Ansicht treffe auf Bosch keiner der Gründe zu, die zu einem Zeugnisverweigerungsrecht führten: Weder drohe dem Unternehmen durch die Vorlage der Dokumente ein Vermögensschaden, noch setze es sich der Gefahr aus, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden; auch ein Geschäftsgeheimnis würde nicht verletzt.

 

Im Zuge eines Prozesses gegen die VW-Muttergesellschaft Porsche Automobil Holding, die von Anlegern wegen unterbliebener Informationen zur Dieselaffäre verklagt wird, hatte das Gericht mehrere Unterlagen angefordert. Im Kern soll aus diesen hervorgehen, dass Bosch als Lieferant der Motorsoftware VW früh vor der Nutzung von illegalen Abschalteinrichtungen gewarnt hat. Das wichtigste Papier ist wohl ein Schriftstück aus dem Jahr 2008, in dem der Zulieferer von dem Autokonzern verlangte, von der Haftung freigestellt zu werden. Außerdem geht es um E-Mail-Korrespondenz mit Mitarbeitern des Volkswagen-Konzerns zur „Akustikfunktion“, wie die Technik intern genannt wurde.

Vergleich mit einem Messerhersteller

Der Richter machte deutlich, dass Bosch aus seiner Sicht keine Nachteile durch die Herausgabe der Dokumente befürchten müsse. Diese belegten schließlich, dass das Unternehmen vor dem illegalen Einsatz gewarnt habe. Er zählte die Motorsteuerung zu den „Dual-Use-Gütern“, die unterschiedlichen Zwecken dienen könnte. So lasse sich mit einem Messer ein Apfel schälen, aber auch ein Mensch vorsätzlich töten. Ein Messerhersteller werde für Letzteres aber nicht in Haftung genommen.

Einen Beihilfe-Vorwurf habe der Zulieferer nicht zu fürchten, meinte der Richter – weder zur unrichtigen Information der Kapitalmärkte noch in strafrechtlicher Hinsicht. Nach seiner Ansicht gehe es ohnehin nicht um Betrug, da die rechtlichen Merkmale dafür fehlten, sondern um mittelbare Falschbeurkundung. Eine mögliche Ordnungswidrigkeit wäre ohnehin verjährt. Für Ansprüche gegen den Bosch-Konzern, der in einem anderen Verfahren ebenfalls verklagt wird, sehe er wenig Chancen, signalisierte Richter Reuschle.

Bosch-Vertreter lobt den Richter

Der Prozessvertreter von Bosch pflichtete dem Richter in vielen Punkten bei. Dessen Ausführungen seien „überzeugend“ und entsprächen in weiten Teilen der Argumentation des Unternehmens. Er halte es „fast für abwegig“, diesem Beihilfe vorzuwerfen. Gleichwohl beharre man darauf, die Unterlagen nicht vorlegen zu müssen. Der Grund: Das Gericht könne schließlich „nicht garantieren“, dass seine Rechtsauffassung von anderen geteilt werde. Die Klägervertreter zeigten sich in ihrem Antrag bestätigt, dass Bosch die Dokumente herausgeben müsse. Seine Entscheidung will der Richter am 13. Juli verkünden.

In einem anderen Verfahren hatte VW versucht, den Einzelrichter als befangen ablösen zu lassen; dies lehnten die zuständigen Kollegen als unbegründet ab. Die Porsche Holding hat keinen solchen Antrag gestellt, will die Klagen künftig aber von der gesamten Kammer behandelt sehen. Angesichts der komplexen Thematik und der schwierigen Rechtsfragen sei es besser, wenn sich ein Kollegialorgan damit befasse, argumentierte ihr Prozessvertreter.

Zeugen können Aussage verweigern

Zugleich verwies er auf die geplante umfangreiche Beweisaufnahme. Für den Herbst will der Richter zahlreiche ehemalige oder heutige Topmanager als Zeugen laden – vorneweg den früheren VW-Chef Martin Winterkorn. Viele der gut zwei Dutzend Geladenen dürften jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht haben und daher wohl nicht erscheinen. Drei von ihnen hätten bereits abgesagt, hieß es am Mittwoch – Winterkorn aber noch nicht.