Sein kritischer Blick auf die Diesel-Affäre hatte VW erzürnt. Doch ein Stuttgarter Richter darf sich weiter mit den Abgasmanipulationen befassen: einen Befangenheitsantrag des Autokonzerns wies das Landgericht klar zurück.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der VW-Konzern ist mit dem Versuch gescheitert, einen mit dem Dieselskandal befassten kritischen Richter am Landgericht Stuttgart als befangen ablehnen zu lassen. Einen bereits vor vier Monaten gestellten entsprechenden Antrag von VW haben drei andere Richter der betroffenen 22. Zivilkammer jetzt klar zurückgewiesen. Laut ihrem 46-seitigen Beschluss, der unserer Zeitung vorliegt, gibt es für den Autokonzern „keinen Grund, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln“. Alle monierten Verhaltensweisen oder Entscheidungen beruhten auf „vertretbaren Rechtsauffassungen“. Zudem sei das Recht auf Ablehnung verwirkt, weil sich VW in Kenntnis vieler Kritikpunkte bereits seit Längerem auf eine Verhandlung bei dem Richter eingelassen habe.

 

Der Beschluss bezieht sich auf zunächst fünf von gut 100 Verfahren, in denen Anleger vor dem Landgericht Stuttgart Schadenersatz von Volkswagen fordern. Sie machen Schäden geltend, die ihnen beim Kauf oder Verkauf von Wertpapieren durch die verspätete Information über die Abgasmanipulationen entstanden seien. Ihr Vorwurf: VW hätte die Kapitalmärkte erheblich früher darüber unterrichten müssen als tatsächlich geschehen.

Richter sieht Chancen für die Kläger

Der zuständige Einzelrichter Fabian Richter Reuschle hatte das Oberlandesgericht Stuttgart per Musterverfahren um eine Entscheidung gebeten, inwieweit solche Verfahren nicht nur in Braunschweig – zuständig wegen des Konzernsitzes von VW –, sondern auch in Stuttgart geführt werden können, wo die Porsche Automobil-Holding als Mehrheitsaktionärin ihren Sitz hat. In seinem sogenannten Vorlagenbeschluss hatte er die Dieselthematik umfassend aufgearbeitet und den Klägern Chancen auf einen Erfolg attestiert. Die Darstellung von VW, die Topmanager hätten von den Manipulationen nichts gewusst, beurteilte er skeptischer.

Obwohl er dies als eine vorläufige Einschätzung charakterisierte, sah sich der Autokonzern vorverurteilt. Sein Prozessvertreter sprach von einem „beispiellosen Fall einer unsachgemäßen Verfahrensführung“. Daher komme man nicht umhin, Richter Reuschle als befangen abzulehnen.

Anwalt sieht „Versuch, kalt zu stellen“

Der Tübinger Anwalt Andreas Tilp, der viele Kläger vertritt, begrüßte die Zurückweisung des Antrages. „Der Versuch von VW, einen unliebsamen Richter kaltzustellen, ist damit gescheitert“, sagte Tilp. Angesichts der „sorgsam begründeten“ Ablehnung halte er die Chancen einer Anfechtung für gering. VW könnte nun Beschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart einlegen. Ob der Konzern dies plant oder erwägt, war zunächst nicht zu erfahren. In einer früheren Stellungnahme hatte VW dem Richter vorgeworfen, er habe sich in der Dieselaffäre ohne ein ordentliches Verfahren mit Beweiserhebung bereits festgelegt.

Im Beschluss des Landgerichts wird die Kritik an Richter Reuschle Punkt für Punkt zurückgewiesen. Dabei bestätigen die Kollegen im Wesentlichen die Sicht des Richters in seiner dienstlichen Stellungnahme. Diese hatte VW als unvollständig und teilweise unglaubwürdig gerügt; sie stelle einen weiteren Ablehnungsgrund dar. In seinem 36-seitigen Antrag hatte der Autokonzern moniert, Richter Reuschle wolle sich öffentlich auf Kosten von VW profilieren. Er sei getrieben von „persönlichem Interesse“ an Fragen des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, das er einst als Referent im Bundesjustizministerium mitentwickelt habe. Vor diesem Hintergrund habe er einem VW-Anwalt am Telefon gesagt: „Sie sprechen mit dem Gesetzgeber.“ Eine solche Äußerungen bestreitet der Richter in seiner Erwiderung.

Seine Kollegen argumentieren nun, viele monierte Punkte seien VW bekannt gewesen – so auch, dass er als Experte für das Gesetz gelte, das Anlegern leichter zu Schadenersatz verhelfe. Da der Konzern sich bisher nicht daran gestört habe, könne er dies nun nicht mehr für die Ablehnung anführen. Zudem verteidigt die Kammer, dass sich der Richter auf interne Dokumente von VW gestützt hatte. Seine vorläufige Einschätzung der Dieselaffäre beruht unter anderem auf einer frühen Information an den einstigen Konzernchef Martin Winterkorn über drohende Folgen der Manipulationen in den USA; VW habe sogar bestätigt, dass Winterkorn diese zumindest angelesen habe.

Top-Manager als Zeugen geladen

Nach einer Verfügung von Richter Reuschle in Verfahren gegen die Porsche Holding soll Winterkorn im Herbst vor dem Landgericht aussagen. Zur Beweisaufnahme hat der Richter insgesamt 28 ehemalige oder amtierende Manager geladen – darunter auch den Bosch-Chef Volkmar Denner und dessen Vorgänger Franz Fehrenbach und den Audi-Chef Rupert Stadler. So will er etwa den „Beginn der Desinformationsphase“ klären.