Neuer Paukenschlag am Landgericht: zur Aufklärung des Dieselskandals will ein Richter zwei Dutzend Prominente vernehmen – so Ex-VW-Chef Winterkorn, Bosch-Chef Denner und Verkehrsminister Scheuer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Mit einem Großaufgebot von prominenten Zeugen will das Landgericht Stuttgart Licht in den VW-Dieselskandal bringen. Amtierende oder ehemalige Topmanager des Volkswagenkonzerns und des Zulieferers Bosch sowie Verkehrsminister Andreas Scheuer und sein Vorgänger Peter Ramsauer (beide CSU) sollen im Herbst in einem Zivilprozess um Anlegerklagen aussagen. Dies hat der zuständige Richter Fabian Richter Reuschle, den VW gerade per Befangenheitsantrag ablösen wollte, mit einer jetzt bekannt gewordenen Verfügung entschieden. In einem Marathon über 14 Verhandlungstage sollen unter anderem Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, der Audi-Vormann Rupert Stadler, Bosch-Lenker Volkmar Denner und sein Vorgänger Franz Fehrenbach sowie mehrere Automanager gehört werden, die wegen des Abgasskandals derzeit in Untersuchungshaft sitzen.

 

Von den gut zwei Dutzend Zeugen erhofft sich der Richter Aufschluss darüber, wann eine „Desinformation“ der Anleger durch VW und die Porsche Automobil Holding als Mehrheitsaktionär begonnen haben könnte. In dem Verfahren geht es zunächst um Klagen gegen die Porsche Holding, es dürfte aber auch Folgen für Klagen gegen VW haben. Bisher ging das Landgericht davon aus, dass der Kapitalmarkt frühestens im Jahr 2014 über Risiken aus den Abgasmanipulationen hätte informiert werden müssen. Nach einer vorläufigen Einschätzung von Richter Reuschle könnte diese Phase aber schon deutlich vorher beginnen, nämlich im Jahr 2010. Dies würde die Chancen von Anlegern auf Schadenersatz erheblich verbessern. Eine Ausweitung des Haftungszeitraums wäre eine „sehr erfreuliche Entwicklung“, hieß es bei den Anwaltskanzleien Broich und Tilp, die beim Vorgehen gegen VW und Porsche kooperieren.

Schon im Jahr 2010 arglistig getäuscht?

Als Täuschung könnte dem Richter zufolge bereits der 2010 veröffentlichte Geschäftsbericht von Volkswagen für 2009 gelten. Darin hieß es, durch die Markteinführung der „Clean-Diesel-Technologie“ habe Volkswagen „bei den Dieselmotoren bedeutende Meilensteine erreicht“. Die TDI-Motoren erfüllten bereits die Euro-6-Abgasnorm, die erst 2014 in Kraft trete. Die Werte seien nach dem Geständnis von VW in den USA jedoch durch eine Abschalteinrichtung verfälscht worden, so der Richter. Somit handele es sich bei der Angabe im Geschäftsbericht um eine „arglistige Täuschung“. Diese könne zu einer sittenwidrigen Schädigung der Anleger geführt haben.

Mit der groß angelegten Beweisaufnahme will Richter Reuschle klären, welche Führungskräfte und Mitarbeiter den einstigen VW-Chef Winterkorn über den Einsatz einer Betrugssoftware unterrichtet haben. Die Behauptung von Volkswagen, der Vorstandschef habe davon nichts gewusst, zweifelt er offen an. Sie stehe „nicht ganz im Einklang“ mit VW-Angaben vor Gericht, nach denen Winterkorn eine entsprechende Notiz zumindest angelesen habe. Volkswagen müsse beweisen, dass die Information der Kapitalmärkte nicht aus „Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit“ unterlassen worden sei.

Großes Interesse an Schreiben von Bosch

Große Bedeutung misst der Richter auch der Kommunikation zwischen VW und dem Zulieferer Bosch bei. Bosch hatte die Motorsteuerung entwickelt, die bei dem Betrug zum Einsatz kam. Dabei geht es besonders um die Forderung von Bosch an VW, von der Haftung für den Einsatz illegaler Abschalteinrichtungen befreit zu werden. Ein entsprechendes Schreiben aus dem Jahr 2008 und die Antwort von VW darauf soll Bosch-Chef Denner zu seiner Vernehmung mitbringen, ordnete Richter Reuschle an. Auch beim Auftritt seines Vorgängers Fehrenbach wird es darum gehen. Bisher hat Bosch die Herausgabe der Dokumente verweigert.

Über die geplante Ladung von Verkehrsminister Scheuer und dessen Vorgänger Ramsauer hat der Richter bereits den Bundestag und die Bundesregierung informiert. Bei Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble und Kanzleramtsminister Helge Braun beantragte er jeweils Aussagegenehmigungen für sie. Dabei geht es um die Frage, inwieweit das Verkehrsressort bereits 2011 über die Überschreitung von Emissionswerten und den vermuteten Einsatz von Abschalteinrichtungen unterrichtet gewesen sei. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) habe das Ministerium darüber informiert und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die offiziell genannten Abgaswerte in Wahrheit um ein Vielfaches überschritten würden. Von Scheuer und Ramsauer will der Richter wissen, inwieweit sie von der Fachebene darüber unterrichtet wurden. Auch der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Jürgen Resch, und der DUH-Abgasexperte Axel Friedrich sollen als Zeugen gehört werden.

Per Rechtshilfeersuchen will das Gericht auch drei VW-Mitarbeiter im Ausland vernehmen. Dazu gehören der einstige US-Chef Michael Horn und ein in den USA zu sieben Jahren Haft verurteilter Manager.