Peter Weibels Blick kannte nur eine Richtung: nach vorne. Am 1. März ist der langjährige Lenker des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe im Alter von 78 Jahren gestorben.

Schon die Identitätsfindung ist schwierig: Künstler, Theoretiker, Ausstellungs- und Festivalmacher, Publizist und irgendwie immer auch Kulturpolitiker. Peter Weibel? Das war immer ein Ganzes, in dessen Zentrum seit mehr als 24 Jahren das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe stand. Künstlerischer Leiter war er, Direktor, Präsident und zuletzt künstlerisch-wissenschaftlicher Vorstand. Die Titel aber spielten für Weibel nie eine wirkliche Rolle.

 

Dem Heute oft voraus

In diesen Wochen wollte Peter Weibel sich verabschieden von der Ideenwerkstatt ZKM, von seinem Labor. Einer plötzlichen schweren Krankheit zum Trotz immer unter Strom, immer fordernd, sich selbst und alle anderen. Und so ist sein Tod doch überraschend – im Alter von 78 Jahren ist Peter Weibel am Mittwoch in Karlsruhe gestorben. „Seine avancierten Ansätze waren immer herausfordernd“, würdigt Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski den Impulsgeber, „denn in seinen oft brillanten Konzepten war Peter Weibel dem Heute oft voraus.“

Bilder bleiben. Momente, Begegnungen. Wenn er saß, hatte er die Arme gerne vor der Brust gekreuzt. Aber immer nur, um wieder buchstäblich weit auszuholen. Sich vorbeugend, schnell in den Worten, Sätze reihend, die nur scheinbar keinen Anfang und kein Ende haben. Dann lachte er auf. Wartete. Haben Sie verstanden, war die stumme Frage. Eher aber: Sie haben doch verstanden?

Technologie und Fantasie erobern

Wie früh schon, als Weibel den Steirischen Herbst in Graz zum Modell spartenübergreifender Kunstarbeit machte. Und wie auch im Juli 2019: Gemeinsam mit dem Ingenieur und Architekten Werner Sobek war Peter Weibel Gast der Gesprächsreihe „Über Kunst“ unserer Zeitung. Im voll besetzten Vortragssaal der Staatsgalerie Stuttgart staunte das Publikum über Sätze wie diese: „Wir können uns nicht mehr dem Westen zuwenden, wir können uns nicht mehr dem Osten zuwenden, auch der ist erschlossen. Wir können keine Länder mehr erobern, wir können nurmehr Technologie erobern, wir können unsere Fantasie erobern.“

Peter Weibel (rechts) mit Werner Sobek in der Staatsgalerie Stuttgart Foto: Steffen Schmid

Ja, Weibel wusste, dass in manchen Gesprächen sein Gegenüber fragend zurückblieb. Und vermittelte immer wieder den Eindruck, dass ebendies nicht sein könne. Dass man sich doch gerade mit ihm aufmachen müsse in neue Welten – der Kunst, der Forschung, der Gesellschaft. „Skulptur“, sagte er etwa einmal, „ist mehr als Volumen und Masse, auch die Luft in Seifenblasen ist Skulptur“ – und wartete erst gar nicht auf eine Reaktion.

Zu früher Selbstständigkeit gezwungen

Schon sein Geburtsort ist eine Herausforderung. Odessa. Vielvölkerstadt Schwarzmeerhafen, 1917 Bühne der bolschewistischen Revolution. 1944 wurde er dort geboren. In Oberösterreich aber wuchs er auf. In einer Kleinstadt zwar, aber nicht in erhoffter Geborgenheit. „Ich war ein Schlüsselkind“, sagte Weibel einmal, „ich war auf der Straße. Ich musste lernen, alles selber zu machen.“

Immer ein Ziel Weibels: Netze entwickeln Foto: dpa

Selber machen – das trieb ihn. Er studierte in Paris und Wien. Literatur, Philosophie, Mathematik, Medizin. Die Logik faszinierte ihn – nicht weniger deren radikale Infragestellung. Selber machen – das blieb. Auch als Forderung. Die Jüngeren verblüffte der Vordenker entgrenzter Kunstwelten nicht zuletzt durch die Selbstverständlichkeit, mit der Weibel sie in den Ring schickte. Bei aller Theorielust nahm Weibel sein Gegenüber doch immer ernst, voller Erwartung auf Widerspruch in der Sache.

Demokratie immer neu denken

Stärker als die konzeptorientierten künstlerischen Arbeiten griffen Weibels kuratorische Projekte in den gesellschaftlichen Raum aus. Zentrale Fragen hierbei: die Zukunft demokratischer Strukturen in einer Welt multimedialer Botschaftsallmacht, der Widerstreit zwischen der Sehnsucht nach Individualität und der Realität des Eingebundenseins in globale Strukturen sowie zwischen institutionellen und projektorientierten Strukturen. Letzteres drückte sich auch in seiner Rolle als Lenker des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe aus. Weibel, lange Jahre auch Kommissar für den österreichischen Pavillon auf der Biennale Venedig, lenkte das ZKM als Nachfolger von Gründungsdirektor Heinrich Klotz seit 1999.

Mehr als 24 Jahren ein starkes Duo: Peter Weibel und das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe Foto: dpa

In dieser Rolle zeigte Weibel noch ein anderes Gesicht. Das von Götz Adriani erst mit initiierte und dann geleitete Museum für Neue Kunst empfand Weibel als Fremdkörper unter dem ZKM-Dach – wirklichen Mehrwert brachte die von ihm forcierte vollständige Integration in das ZKM aber nicht.

Kraftfeld Weibel – Sloterdijk

Fraglos war das ZKM unter Weibel ein Motor – nicht zuletzt auch für die Hochschule für Gestaltung, ebenso ein Erbe aus der Zeit von Heinrich Klotz, der dem Denken der Zukunft mit Rückendeckung des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth eine feste Produktionsstätte geben sollte. Der Philosoph Peter Sloterdijk als Rektor der HfG (bis 2017) und Peter Weibel als Präsident des ZKM – das war das Kraftfeld, das die ehemaligen Produktionshallen einer Waffenschmiede zu einem Magneten für Studierende aus ganz Europa machte. Das so irritierende wie gültige Ziel formulierte 2019 eine Ausstellung im ZKM: „Writing the History of the Future“.

Dank der Landesspitze

Winfried Kretschmann (Grüne)
Der Ministerpräsident schrieb am Donnerstag: „Peter Weibel war alles in einem: Pionier, Rebell, Forscher, Medientheoretiker, Kurator, Professor, Kunstmanager, Visionär – ein modernes Universalgenie.“ Weibel habe Kunst „nicht ausgestellt, sondern angestellt, die Perspektiven geweitet und Gewissheiten über Bord geschmissen“. Er sei „im ursprünglichsten Sinne Avantgarde: immer schon da, wo der Rest erst hinwollte“. Das Land sei „zu großem Dank verpflichtet“.

Thomas Strobl (CDU)
Der Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident schrieb am Donnerstag: „Peter Weibel war ein großer Vordenker unseres Landes, einer der ganz großen Köpfe unserer Zeit. Er hat zuvorderst sich, freilich damit auch sein ganzes Umfeld angespornt, immer weiter und immer wieder neu zu denken. Wir trauern um einen intellektuellen Motor, der Impulse weit über die Landesgrenzen gesetzt hat. Peter Weibel wird dem Land, wird uns fehlen.“