Die Grünen und die CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann liegen im Clinch wegen der Zukunft der Haupt- und Werkrealschulen.

Stuttgart - Die Werkrealschule in Villingendorf boomt. „So viele Anmeldungen hatten wir in 200 Jahren noch nicht“, berichtet der Schulleiter Rainer Kropp-Kurta. 39 Schüler werden nach den Sommerferien in der fünften Klasse anfangen. Damit ist die Schule in der 3300-Seelen-Gemeinde nördlich von Rottweil erstmals in ihrer Geschichte durchgehend zweizügig. Dabei war die Schule bereits „angezählt“, wie Kropp-Kurta sagt. „Die jetzige neunte Klasse hatte elf Schüler in Klasse fünf“. Das war zu wenig, um eine Zukunft zu haben. Das Gesetz zur regionalen Schulentwicklung sieht vor, dass weiterführende Schulen, die zweimal nacheinander in der Eingangsklasse weniger als 16 Schüler haben, geschlossen werden.

 

Das will Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) nun ändern. Sie plant einen Gesetzentwurf, um weiteres Hauptschulsterben zu stoppen. 458 Haupt- und Werkrealschulen gibt es noch in Baden-Württemberg, 223 von ihnen sind bereits in Auflösung, nur 235 Schulen haben noch Schüler in allen Klassen von fünf bis neun. Im Jahr 2012 gab es noch 906 Hauptschulen im Land.

„Wir dürfen nicht riskieren, noch mehr Haupt- und Werkrealschulen zu verlieren. Wir brauchen diese Schulart flächendeckend“, sagte Eisenmann unserer Zeitung. „Ihr Bildungsangebot ist unverzichtbar, um auch künftig vor allem praktisch begabte Schüler zum Hauptschulabschluss zu führen.“ Man dürfe nicht nur die fünfte Klasse betrachten, wenn es um die Zukunft einer Schule gehe. „Wenn man sieht, dass die Schülerzahlen über die Schuljahre hinweg eklatant zunehmen, wird dies der Schulart nicht gerecht“, sagt die Ministerin.

Auch Villingendorf verzeichnet seit dem Jahr 2013 stete Zuwächse. Heute zählt der Schulleiter 388 Schüler. Vor sechs Jahren waren es 202.

Trendwende zugunsten der Schulart?

Eisenmann macht „eine leichte Trendwende in der Wertschätzung dieser Schulart“ aus. Der Zuwachs ist aber vor allem darauf zurückzuführen, dass Schüler von Realschulen und Gemeinschaftsschulen von der sechsten Klasse an zur Haupt-/Werkrealschule wechseln. Die amtliche Schulstatistik des Statistischen Landesamts offenbart, dass im Schuljahr 2016/2017 insgesamt 1068 Realschüler und 164 Gemeinschaftsschüler an eine Hauptschule wechselten. Die Tendenz scheint sich zu verstetigen.

„Viele Eltern versuchen es mal in den Realschulen und Gemeinschaftsschulen und korrigieren dann die Entscheidung in den Klassen sechs, sieben und acht“, erklärt dazu der Schulleiter Kropp-Kurta. Die Hauptschulpädagogik sei für viele Kinder genau das richtige: „Wir bieten klare Strukturen, wir nehmen die Schüler an der Hand.“ Das wüssten Eltern wieder zu schätzen.

Dem will Kultusministerin Eisenmann mit der Schulgesetzänderung gerecht werden. Man müsse bei der Entscheidung über Schulstandorte das Schulwahlverhalten besser abbilden. Dazu will Eisenmann künftig aus den Schülerzahlen der Klassen fünf bis neun die Durchschnittszahlen als Grundlage nehmen. „Ansonsten würden wir sehenden Auges die drohenden Schließungen weiterer Schulen zulassen“, sagte Eisenmann. „Wir brauchen auch in Zukunft die wertvolle pädagogische Arbeit der Haupt- und Werkrealschulen“, betonte sie. Auch soll die Schülerzahl 16 „kein scharfes Fallbeil sein“. Die Entwicklungsperspektive und der Bedarf in der Region müsse berücksichtigt werden. Die Gesetzesänderung soll nach dem Willen Eisenmanns zum Schuljahr 2020/21 wirksam werden.

Grüne halten dagegen

Doch der grüne Koalitionspartner reagiert bestenfalls zurückhaltend auf die Pläne. Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Sandra Boser, meint, „die aktuell gültigen Richtlinien tragen dazu bei, stabile Standorte in der Fläche zu halten“. Sie verweist auf die Schwierigkeiten in der Lehrerversorgung und sagt, „Personalengpässe können an stabilen Schulen besser ausgeglichen werden“.

Sie verteidigt die Regelung mit mindestens 16 Schülern in den Eingangsklassen als einen „wichtigen Baustein, damit die Qualität an Schulen gewährleistet werden kann“. Die Mindestgröße der Schulen trage auch dazu bei, die Wahlfreiheit bei den Profilfächern zu sichern. Zudem gebe es bereits die Möglichkeit, kleine Standorte zu erhalten, wenn es keine Alternativen gebe. Boser verweist in einem Brief an Eisenmann auch darauf, dass Haupt-/Werkrealschulen in Leistungsvergleichen nicht an die Ergebnisse der anderen Schularten heranreichen und meint, der Fokus müsse „eher auf die Qualitätsentwicklung gelegt werden“.

Die Grünen, so Boser, „sehen keinen Bedarf, Änderungen in der aktuellen Regelung vorzunehmen“. Den Schulwechsel in den höheren Klassen sieht jedoch auch sie als Problem. Es sei aber falsch, schwächere Schüler aus Realschulen und Gemeinschaftsschulen an die Hauptschulen zu verweisen. „Das Gegenteil muss passieren“, verlangt Boser. Realschulen hätten wie Gemeinschaftsschulen den Auftrag, leistungsschwächere Schüler zum Hauptschulabschluss zu bringen. Es bestehe „dringender Handlungsbedarf an Realschulen“.

Doro Moritz, die GEW-Landesvorsitzende, setzt auf die Grünen: „Ich hoffe, dass es zu keiner Schulgesetzänderung kommt“, sagte sie unserer Zeitung. Den Plan Eisenmanns nannte sie populistisch. Mit Blick auf die Unterrichtsversorgung wäre er zudem kontraproduktiv. Die GEW verlangt statt dessen mehr Unterstützung für Real- und Gemeinschaftsschulen, damit diese ihre heterogene Schülerschaft besser begleiten können.

Kronzeuge Landeselternbeirat und grüne Abgeordnete

Die Kultusministerin dagegen beruft sich auf Briefe auch von zwei grünen Landtagsabgeordneten, die Eisenmann gefragt hatten, wie sie auf die Veränderungen in den höheren Klassen reagieren wolle. Auch den Landeselternbeirat zieht Eisenmann heran. Der hatte bereits früher betont: „Die Haupt-/ Werkrealschule ist eine wichtige und dringend notwendige Schulart in unserem Bildungssystem. Wir sollten auf keinen Fall riskieren, diese Schulart flächendeckend zu verlieren.“ Den Grünen bietet Eisenmann an, „gerne können wir uns im gemeinsamen Arbeitskreis Bildung von Grünen und CDU zu diesen Fragen weiter austauschen“.

Die Schule in Villingendorf könnte inzwischen zu einer Gemeinschaftsschule umfirmieren. „Das würden wir im Leben nicht machen. Wir würden Schüler verlieren. Die Haupt-Werkrealschulpädagogik ist das richtige für unsere Schüler“, sagt Kropp-Kurta überzeugt. In der einst bedrohten, heutigen neunten Klasse sitzen aktuell 44 Schüler.