Jugendliche aus Seoul trainieren mit der VfB-Fußballschule – die besten erhalten eine Einladung nach Stuttgart, anwerben möchte der Club die jungen Spieler aber noch nicht. Foto: Veronika Kanzler
Zehn Tage lang trainieren die Jugendcoaches des VfB Stuttgart südkoreanische Kinder. Ein Toptalent haben sie in Seoul schon ausgemacht. Dabei steht Scouting gar nicht im Vordergrund – warum?
Pro Jahr erreichen den VfB Stuttgart Zehntausende Anfragen über die allgemeine Service-Mailadresse. Wie komme ich an Karten? Wo findet das nächste Spiel statt? Warum hat die Mannschaft das letzte Spiel verloren? Auch Jin Lee aus Südkorea nutze diese Form der Kontaktaufnahme. Die Chefin von ISEA, einer Non-Profit Organisation, die sich dem internationalen Austausch von (Freizeit-)Sportlern verschrieben hat, wollte mal nachhaken, ob der Club aus Cannstatt nicht Interesse an einer Kooperation habe.
Micha Gühring, Manager der VfB-Fußballschule, der die internationalen Fußballprojekte verantwortet, war sofort neugierig. Auch ihn erreichen etliche Anfragen für Partnerschaften, nicht aus allen wird etwas: „Aber bei Jin hat es einfach gepasst“, sagt er. Zwar ist Südkorea kein klar definierter Zielmarkt des VfB. Nach Asien streckt der Club aber sehr wohl seine Fühler aus. Im vergangenen Jahr hatte die Profimannschaft einen Teil ihrer Saisonvorbereitung in Japan absolviert. Auch in den USA war der VfB-Tross samt Fußballschule schon zu Gast. In Seoul steht nun aber zunächst der kulturelle Austausch im Vordergrund.
Geräuschkulisse der anderen Art auf dem Fußballplatz: Ständig fliegen in Seoul Flugzeuge sehr tief über den Rasen. Foto: Veronika Kanzler
Nun also jagen 48 Kinder und Jugendliche auf einem Bolzplatz in Seoul den Bällen hinterher. Im Minutentakt donnern Militär- und Passagierflugzeuge über die Kids in den weißen Shirts mit dem roten Brustring. Der Lärm gehört zur Normalität in der südkoreanischen Hauptstadt, die nur wenige hundert Kilometer entfernt zu dem Diktaturstaat Nordkorea liegt. Die jungen Kicker allerdings stört die Geräuschkulisse nicht im Geringsten. Sie sind hier, um Fußball zu spielen. Damit es mit der Verständigung auch klappt, gibt es auf dem Platz neben den Trainern auch Dolmetscher. Wobei Matthias Brosamer, einer der Trainer, selbst Koreanisch spricht – das kommt gut an bei den Jugendlichen.
Porsche ist Sponsor des VfB-Fußballcamps in Seoul
Mehr als eine Woche ist der VfB vor Ort und trainiert alle zwei Tage mit einer neuen Gruppe von Jugendlichen. Insgesamt rund 200 Kinder, darunter auch ein Mädchen. Um zwei Tage schulfrei für die Trainingseinheiten zu bekommen, brauchte es einfach eine Anmeldung oder eine Empfehlung seitens eines Vereins. Das Projekt ist Teil der Porsche-Kampagne „Porsche Do Dream“. Zustande kam der Kontakt aber tatsächlich über Jin Lee – und nicht über den Investor und Sponsor des VfB Stuttgart.
Der Club aus Cannstatt ist in Südkorea bekannt. „Aber man muss auch realistisch sein“, sagt Micha Gühring. Was er damit meint: Bei den meisten steht die Bundesliga nicht auf Platz eins des Interesses. Bei noch weniger der VfB. Die Kinder vom Verein zu überzeugen, ist aber auch nicht das Ansinnen der Stuttgarter. So erklärt sich auch, warum etwa die Hälfte der Jugendlichen aus dem Breitensport kommt – ohne besonderes Talent oder Ambitionen, Profi zu werden.
Micha Gühring vom VfB Stuttgart (rechts) mit dem Staatssekretär Florian Hassler (Mitte), dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD im Landtag, Sascha Binder und der Chefin des ISEA, Jin Lee. Foto: Veronika Kanzler
Wie kommt das? „Uns ist der kulturelle Austausch wichtig“, sagt Gühring. Wenn man dazu noch Weichen stellen könnte für künftige Sportler, dann sei das ein Pluspunkt. „Es ist nicht selbstverständlich, dass sich ein Verein so engagiert“, sagt Staatssekretär Florian Hassler (Grüne), der gemeinsam mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD im Landtag, Sascha Binder, während einer Ostasienreise die Trainingseinheit in Seoul besucht. Hassler begrüße das, weil der Sport die Gesellschaft auf einem anderen Level erreichen könne als die Politik.
Aber: Auch sportlich ist etwas geboten. Ein „Toptalent“ hätten sie schon entdeckt, sagt Gühring. Dieses sei aber erst neun Jahre alt – und hätte aufgrund seines jungen Alters eigentlich gar nicht an dem Fußballcamp teilnehmen dürfen. Wegschicken wollte man den Jungen dann aber auch nicht. Mutmaßlich ist der Neunjährige Teil der Auswahl, die später im Jahr vom VfB nach Stuttgart eingeladen wird, um dort gegen die eigene und andere Jugendmannschaften zu spielen.
Der VfB ist bereits zum dritten Mal in Seoul. Im vergangenen Jahr, erzählt Gühring, habe es lange gedauert, bis die südkoreanische Auswahl gegen eine deutsche Jugendmannschaft das Duell verloren hat. Potenzial ist also vorhanden. In dem Alter sei es aber noch zu früh, die Kinder von ihren Eltern zu trennen, da ist man sich beim VfB einig. Die Talente wollen die Coaches in den kommenden Jahren im Auge behalten. Noch lebt im VfB-Internat kein Kind aus Südkorea. Aber: Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das irgendwann einmal ändern wird.