Wenn jede Stunde eine Geschichte erzählt, hat der Tag 24 Geschichten. Eben diese erzählen wir in einer Serie. Von 3 bis 4 Uhr schauen wir in der Backstube Gehrung in Plieningen vorbei.

Filderzeitung: Rebecca Anna Fritzsche (fri)

Plieningen - Die Plieninger Straßen sind leer gefegt. Lediglich zwei Autos sind Richtung Neuhauser Straße unterwegs. Es ist so ruhig, dass ein Marder gemächlich über die Filderhauptstraße spazieren kann, ohne sich dabei in eine brenzlige Situation zu bringen.

 

Ganz anders sieht es in der Gehrung-Backstube aus. Schon lange, bevor man die Geschäftigkeit hört und sieht, kann man sie riechen: Süß und schwer liegt ein Duft von Zucker und Hefe in der Luft, der den Weg zur Backstube aufzeigt, beinahe schon wie die Brosamen im Märchen.

Drinnen ist es vor allem eines: gut warm. Schließlich laufen die Öfen bereits seit einiger Zeit, Backstubenleiter Peter Finkbeiner ist gerade damit beschäftigt, mehrere Bleche mit Gebäck aus dem Ofen zu holen. Die russischen Brezeln, Plundertaschen und Schneckennudeln bestreicht er nun mit Zuckerguss. Um 2 Uhr hat er mit der Arbeit angefangen, berichtet er. „Früher war das noch später – erst so gegen vier.“ Doch seit dem Ende des Nachtbackverbots in den 1990ern und seitdem die Discount-Supermärkte ebenfalls frischgebackenes Brot und Gebäck anbieten, müssen die Bäckereien nachziehen – und die Bäcker früher aufstehen, um ihr Soll zu schaffen.

Anderswo in der Backstube wird Teig in großen Rührmaschinen geknetet. Ein Teil davon kommt anschließend in die „Brötchenmaschine“, dort wird der Teig in gleich große Portionen geschnitten, aus denen später die Frühstücksbrötchen werden, die auf den Tellern der Plieninger landen. Brotteig wird abgewogen und sorgsam portioniert, anschließend auf Backformen verteilt. Brot und Brötchen werden anschließend gleich behandelt: Peter Finkbeiner schiebt die Rollwagen, die mit Blechen beladen sind, in den Gärraum. Bei 35 Grad und 83 Prozent Luftfeuchtigkeit soll die Hefe hier ihre Arbeit tun und dafür sorgen, dass das Brot aufgeht.

Früher waren die Brotformen aus Holz, heute aus Kunststoff

1100 Brezeln, 2500 Brötchen, etwa 1000 Brote – all diese Köstlichkeiten stellen die Gehrung-Bäcker jede Nacht her, es sind insgesamt zwölf Kollegen, die eine Sechs-Tage-Woche bestreiten. „Und das sind nur die Sachen, die fertiggebacken in die Filialen kommen“, erklärt Peter Finkbeiner. Der Inhalt vieler weiterer Bleche wird als Teigling in die Gehrung-Läden nach Plieningen, Möhringen, Scharnhausen und Echterdingen geliefert, damit sie dort nach Bedarf fertiggebacken werden können.

Auf einem Rollwagen warten Landbrote in Kunststoffformen, die Finkbeiner „Brotkörble“ nennt. Ausgelegt sind sie mit Baumwolltüchern – „am Plastik würde der Teig sonst kleben bleiben, und so sind sie auch leichter zu reinigen“, erklärt Finkbeiner, der 2017 sein 30-jähriges Dienstjubiläum bei der Bäckerei Gehrung feiern wird. „Früher hatten wir Holzformen dafür“, erinnert er sich – allerdings seien die aufgrund neuer Vorschriften ersetzt worden.

Seit fast 30 Jahren steht Finkbeiner auf, wenn andere erst ins Bett gehen. „Andere gehen auf d’Gass, der Bäcker geht ins Bett“, sagt er und lacht. „Es ist ein toller Job, aber man muss ihn mit Liebe machen.“ Wichtig ist ihm, dass hier noch traditionell gebacken wird, mit eigenen Rezepten, ohne Zusatzstoffe, ohne Chemie. „Ein gutes Brot“, sagt Finkbeiner, „braucht vielleicht ein bisschen Butter, aber sonst nichts, damit es hervorragend schmeckt.“

Aus dem Gärraum tutet es, Finkbeiner holt die Rollwagen mit den Brötchenblechen heraus, schichtet die Teiglinge schnell und routiniert von den Gärblechen auf die Backbleche um: Das Backblech kommt oben drauf, alles zusammen wird umgedreht, das nun oben liegende Gärblech wird abgenommen, fertig. Zusammen mit weiteren Brotlaiben kommen die nun in den Ofen. „Schöne Teige sind das heute, und schöne Brote“, bemerkt Finkbeiner und lobt den Kollegen, der heute fürs Mischen und Kneten zuständig ist. „Wenn beim Teigmachen Fehler gemacht werden, kann man das nicht mehr schönbacken!“

Die Kunden wünschen sich helles Brot

Erneut ein Tuten, das Alarmsignal der Öfen hört sich weniger an wie ein Küchenwecker als der Ton, der im Aufzug das Erreichen des gewünschten Stockwerks ankündigt. Finkbeiner öffnet die Ofentür, wirft einen Blick hinein und sagt: „Muss noch ein bisschen.“ Nach seinen vielen Bäckerjahren reicht ihm ein Blick auf die Laibe, um zu wissen, ob sie fertig sind oder nicht. Den Signalton braucht er trotzdem: Schließlich gibt es mehrere Öfen, in denen parallel gebacken wird, zudem den Gärraum. Was Finkbeiner sehr bedauert, ist, dass die Kundschaft immer hellere Brote wünscht. „Ein dunkel gebackenes Brot hat einen besseren Geschmack, ist länger haltbar, bröselt nicht, fällt nicht auseinander“, schwärmt der Bäcker. Vor allem: „Dunkel gebacken heißt nicht verbrannt.“ Diesen Unterschied sähen die Kunden aber oft nicht – und verlangten dann lieber nach hellen Broten. So ist es beim Körschtalbrot beispielsweise, ein Weizenmischbrot, das Finkbeiner vor einigen Jahren kreiert hat. „Das muss ich heute heller backen als früher, weil die Kunden es so wollen.“

Eine Stunde ist verstrichen, der Lieferwagen, der vor der Tür der Backstube wartet, hat sich bereits beträchtlich gefüllt. Noch sechs, sieben Stunden Arbeit warten auf Peter Finkbeiner und seine Kollegen, bevor sie Feierabend machen können. „Kann ich Ihnen noch etwas Gutes tun?“, fragt Peter Finkbeiner und kommt mit einer Tüte zurück, gefüllt mit frischen, heißen Brezeln. Draußen haben die Vögel angefangen zu zwitschern. Beim Verlassen der Backstube und mit den warmen Brezeln in der Hand hat der Besucher vor allem eines – Hunger.

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