Bayerns Innenminister beauftragt das LKA mit zusätzlichen Ermittlungen zum Zugunglück in Bad Aibling. Gab es auf der Strecke Funklöcher? Riskante Sicherheitslücken im Notrufsystem existieren bundesweit auch auf ICE-Strecken.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Ermittlungen zum Zugunglück in Bad Aibling werden nach Berichten der Stuttgarter Zeitung über Hunderte gefährlicher Funklöcher entlang deutscher Bahnstrecken ausgeweitet. „Ich habe das Bayerische Landeskriminalamt gebeten, das Funknetz der DB Netz auf eventuelle Funklöcher zu überprüfen“, erklärte Bayerns Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann. Dazu sollen LKA-Spezialisten in den nächsten Tagen Messungen durchführen.

 

Man setze alles daran, die Ursachen des schrecklichen Unglücks „so schnell wie möglich voll umfänglich aufzuklären“, betonte der CSU-Politiker. Bei der Zugkollision am 9. Februar starben elf Menschen und 85 wurden teils schwer verletzt. Bisher wird nur gegen den Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn (DB Netze) ermittelt, der beide Züge auf Kollisionskurs schickte. Allerdings versuchte der DB-Mitarbeiter noch, mit zwei Notrufen die Lokführer zu warnen, die aber wirkungslos blieben.

Funkloch auf der Streckenmängel-Liste

Ursache könnte - wie berichtet - auch ein rund 400 Meter großes Funkloch am Bahnhof Kolbermoor sein, das ausweislich der aktuellen Streckenmängel-Liste der DB für alle Lokführer bereits seit Mitte 2010 existiert. Der Konzern bestreitet das und behauptet, dieses Funkloch sei schon damals durch einen „Füllsender“ geschlossen und der Nachtrag in der Mängelliste versäumt worden. Die LKA-Ermittler sollen auch diese Widersprüche klären.

Befragte Bahnkenner und Lokführer misstrauen den DB-Aussagen und verweisen darauf, dass die Mängellisten jede Woche neu erstellt werden. Zudem führe die Bahn regelmäßig Messfahrten auch mit dem Eisenbahnbundesamt durch, um die vielen wechselnden Funklöcher zu erfassen. Die DB-Listen, die der Stuttgarter Zeitung vorliegen, warnen Lokführer bundesweit vor Hunderten Empfangslücken mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass dort die Leitzentrale nur über ein Ersatz-Mobilfunknetz erreicht werden kann.

Besonders riskant sind die Funklöcher, weil mit dem Ausfall des digitalen Zugfunks GSM-R auch der Not-Rundruf nicht mehr funktioniert, der eigens dafür da ist, Züge auf Kollisionskurs oder bei anderen Gefahren blitzschnell noch zum Stoppen zu bringen. „In den Funklöchern kann der Lokführer definitiv keinen Notruf empfangen und ist für den Fahrdienstleiter nicht erreichbar“, sagte ein erfahrener Ausbilder der Stuttgarter Zeitung. „Das ist seit Jahren ein gewaltiges Sicherheitsrisiko.“

Totalausfall beim Digitalfunk

Diese Einschätzung wird von kritischen Fachkreisen bestätigt. Auch bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten seien Empfangsprobleme beim nach der Jahrtausendwende eingeführten Digitalfunk bis hin zum Totalausfall keine Seltenheit, heißt es dort. In der Luftfahrt werde auch deshalb weiterhin ein analoges System verwendet. Für Notrufsysteme wie bei der Bahn sei der Digitalfunk ein „systemisches Sicherheitsrisiko“.

Besonders brisant: Aus den viele Hundert Seiten umfassenden Streckenmängel-Listen der DB Netze geht auch hervor, dass sogar an vielen Schnellstrecken, wo Züge mit Tempo 200 und mehr fahren, teils seit vielen Jahren kilometergroße Funklöcher existieren. Bahnstrecken, die für Tempo 160 aufwärts zugelassen sind, müssen laut Gesetz zwingend mit Zugfunk ausgerüstet sein.

Die StZ-Berichte über die Funklöcher haben auch Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann alarmiert. Man werde die Deutsche Bahn um Aufklärung bitten, wo im Südwesten es solche Probleme gebe und wann sie behoben werden, sagte der Minister der Stuttgarter Zeitung. Bei den landeseigenen Bahnstrecken will Hermann prüfen lassen, ob Nachrüstung nötig ist.

Keine Unfälle wegen Funklöchern bisher bekannt

Verantwortlich für den sicheren Schienenverkehr sind seit der deutschen Bahnreform und EU-Marktliberalisierung die Netzbetreiber und Bahnunternehmen, überwacht durch das Eisenbahnbundesamt (EBA), das Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) unterstellt ist. Ein EBA-Sprecher erklärte auf Anfrage, der Zugfunk GSM-R sei auf dem ausgerüsteten Gesamtnetz zu 99 Prozent verfügbar. Das übertreffe die europaweit vorgeschriebenen 95 Prozent. Das deutsche Bahnnetz hat rund 34 000 Kilometer.

Das EBA teilt weiter mit, Unfälle wegen Funklöchern seien dem Amt „bisher nicht bekannt geworden“. Man könne nicht verifizieren, ob es - wie berichtet - mehr als tausend Empfangslücken an Bahnstrecken gebe. Denn in den DB-Mängellisten werde jedes Funkloch zweimal erfasst, nämlich für Hin- und Gegenrichtung. Die Listen bildeten die Realität zudem „nur holzschnittartig ab“, da Lücken erst ab 100 Meter Größe erfasst werden, der Zugfunk aber schon bei nur zehn Meter großen Funklöchern gestört werden könne. Im Klartext: Die Zahl der Empfangslücken ist noch viel größer, was auch Informanten der Stuttgarter Zeitung aus der täglichen Lokführer-Praxis berichten.

Die Aufseher räumen ausdrücklich ein, dass der Zug- und Notfunk durch benachbarte Sender gestört werden kann. Die Netzverfügbarkeit werde aber von der Bahn regelmäßig „geprüft, dokumentiert und erforderlichenfalls auch kompensiert“. Dafür sei der Netzbetreiber laut Gesetz verantwortlich und das werde durch die Aufsicht überwacht.