Es sind noch nicht alle Opfer des schweren Zugunglücks in Italien identifiziert - aber die Schuldzuweisungen sind schon im vollen Gange. Laut Betreiber seien die Behörden Schuld, dass der seit etwa zehn Jahren geplante Ausbau der Strecke, noch nicht passiert sei.

Andria - Nach dem Zugunglück in Süditalien konzentrierten sich die Ermittlungen auf den vollkommen veralteten Streckenabschnitt. Der Ausbau der Strecke auf zwei Gleise soll jahrelang verschleppt worden sein, obwohl die Finanzierung bereits stand. Zudem fehlte auf dem eingleisigen Abschnitt nördlich von Bari ein automatisches Kontrollsystem. Bei dem Frontalzusammenstoß zweier Regionalzüge kamen mindestens 23 Menschen ums Leben.

 

Ungebremst zusammengeprallt

Wie viele Menschen vermisst wurden, war unklar. In der Präfektur der Region hieß es vier. Der Präsident der Region Apulien erklärte dagegen, es gebe keine Vermissten mehr. Die beiden Züge, die aus den Jahren 2005 und 2009 stammten, waren am Dienstag mit etwa 100 Stundenkilometern unterwegs, als sie an einer Kurve zwischen den Orten Andria und Corato ungebremst zusammenprallten.

„In diesem Abschnitt sind keine automatischen Systeme im Einsatz“, sagte Chef-Ermittler Giovanni Meoli von der Eisenbahnpolizei dem „Corriere della Sera“ zufolge. „Es ist immer noch das alte System der Fernsprechnachrichten.“ Das heißt, die Bahnhofsvorsteher informieren sich wohl gegenseitig per Telefon, wenn die Strecke frei ist.

„Diese Bahnstrecke ist schon zur Hälfte mit automatischen Kontrollsystemen ausgestattet, aber leider nicht der Teil, in dem das Unglück passiert ist“, sagte Massimo Nitti, Chef der privaten Betreibergesellschaft Ferrotramviaria.

Behörden sollen Schuld sein

Seiner Ansicht nach sind die Behörden Schuld, dass der seit etwa zehn Jahren geplante Ausbau der Strecke auf zwei Gleise, der auch von der EU finanziert werden sollte, noch nicht passiert sei: „Es stimmt absolut nicht, dass es kein Geld gibt. Es stimmt absolut nicht, dass es Geld gibt, aber nicht ausgegeben wird. Wir haben das Problem, das alle Italiener kennen: Die Entscheidungsprozesse in den Behörden dauern 60 bis 80 Prozent länger als in jeder anderen Nation Europas.“ Verkehrsminister Graziano Delrio kündigte derweil an, 1,8 Milliarden Euro in den Ausbau regionaler Netze zu stecken.

Die Nachrichtenagentur Ansa berichtete unter Berufung auf Ermittlerkreise, möglicherweise habe ein verspäteter Zug dafür gesorgt, dass der Streckenabschnitt fälschlicherweise freigegeben worden sei. „Das Problem ist nicht das Einzelgleis, das etwa bei der Hälfte der Strecken in Italien vorliegt, sondern die Technologie, die die Unfälle verhindern soll“, sagte Bahn-Experte Giuseppe Sciutto von der Universität Genua.

Suche in der Nacht nach Überlebenden

Die Helfer hatten die gesamte Nacht nach möglichen weiteren Opfern oder Überlebenden in den zwei völlig verkeilten Wracks gesucht. „Wir kennen die Zahl der Passagiere nicht, weil es kein Flugzeug ist und wir keine Liste haben“, sagte Staatsanwalt Francesco Giannella. Möglicherweise waren auch Ausländer unter den Todesopfern. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes waren nach ersten Erkenntnissen keine Deutschen darunter.

Die Einsatzkräfte bargen Stunden nach dem Unglück die beiden Blackboxen der Züge. Sie sollten noch am Mittwoch geöffnet werden und bei der Aufklärung helfen. Die Staatsanwaltschaft in der Stadt Trani ermittelt wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt.