Wie konnte es zu dem Zugunglück in Santiago de Compostela kommen? Der Schienenexperte Ulrich Maschek hält es für möglich, dass an der Unglücksstrecke die automatische Temporegulierung ausgefallen ist.

Stuttgart - Der Schienenexperte Ulrich Maschek hält es für möglich, dass an der Unglücksstrecke bei Santiago de Compostela die automatische Temporegulierung ausgefallen ist.

 
Herr Maschek, der Unglücksfahrer in Nordspanien soll mehr als doppelt so schnell gefahren sein als erlaubt. Gibt es keinen Automatismus für eine Notbremsung?
Grundsätzlich ist der Lokführer für die Einhaltung der Geschwindigkeit zuständig. Aber Menschen machen Fehler. Um diese Fehler nicht gefährlich werden zu lassen, gibt es technische Systeme, die die Geschwindigkeit überwachen. Diese Zugbeeinflussung bekommt die Angaben über das aktuelle Tempo und greift bei einer deutlichen Überschreitung ein – mit einer Bremsung, je nach Qualität bis hin zum Stillstand oder bis zur erlaubten Geschwindigkeit. Aber egal, wie einfach oder modern die Ausrüstung ist: jede Zugbeeinflussung ist besser als gar keine.
Ist der Einbau gesetzlich vorgeschrieben?
In Deutschland ja. Bis zum Unfall von Hordorf zwischen Magdeburg und Thale Anfang 2011, bei dem ein Personen- und ein Güterzug zusammenstießen und zehn Menschen starben, war sie bei Geschwindigkeiten über 100 Stundenkilometer vorgeschrieben. Dort waren aber gerade 100 Stundenkilometer erlaubt. Daraufhin wurde die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung geändert, so dass die Zugbeeinflussung auf allen Hauptbahnen und fast allen Nebenbahnen installiert werden musste. So haben wir eine fast flächendeckende Ausrüstung erreicht und liegen damit weltweit vorn. Allerdings kostet dieser Standard enorm viel Geld. Das erfordert gewaltige Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge.
Ulrich Maschek Foto: privat
Sprich: Spanien hat an dieser Stelle gespart?
Die dortige Vorschrift kenne ich im Detail nicht, aber eine solche wird es bei Hochgeschwindigkeitsstrecken auch in Spanien geben. Anders geht das gar nicht. Wir können auch davon ausgehen, dass in dem neuen Hochgeschwindigkeitszug, der verunglückt ist, die Technik der Zugbeeinflussung sehr wohl eingebaut war. Allerdings braucht es für den Einsatz die Infrastruktur am Gleis, die per Mobilfunk, die modernste Variante, oder per Kabellinienleiter die Tempodaten überträgt. Dafür ist der Betreiber der Strecke verantwortlich. Da gibt es die Möglichkeit einer kontinuierlichen Übertragung bei Strecken, wo hohe Geschwindigkeiten – in Deutschland ab 160 Stundenkilometern – gefahren werden, oder einer punktförmigen Übertragung an den Signalen oder am Beginn von Langsamfahrstrecken – wie das im aktuellen Fall wohl angezeigt gewesen wäre. Die alles entscheidende Frage ist: War die Infrastruktur für eine Zugbeeinflussung vorhanden oder nicht?
Doch offenbar nicht, oder?
Ich halte es für wahrscheinlich, dass es auf der Strecke keine gab. Oder sie war defekt und deshalb ausgeschaltet. Denn wenn es einen Defekt gibt, reagiert die Technik immer zur sicheren Seite: mit dem Stillstand. Um dann weiterfahren zu können, muss sie deaktiviert werden können. Danach fährt der Lokführer auf eigene Verantwortung weiter.