Wenn man Zugvögel schützen will, müsste man es entlang ihrer gesamten Wanderrouten tun. Doch fast alle Zugvogel-Arten fliegen zumindest zeitweise außerhalb geschützter Regionen, haben Biologen ermittelt.

Stuttgart - Laut trompetend fliegt ein Trupp von vielleicht 100 Kranichen über die Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern zu ihren Schlafplätzen im flachen Wasser. Am nächsten Morgen suchen nur wenige Kilometer landeinwärts Tausende der grauen Vögel auf einem abgeernteten Getreidefeld nach Körnern. Solche auffälligen Konzentrationen der Kraniche stechen ins Auge und lassen sich daher gut schützen. Schwieriger wird es bei anderen Arten, wenn sie in der Nacht ziehen wie zum Beispiel Singvögel oder als unauffällige Einzelgänger unterwegs sind wie der Kuckuck. Diese Problemfälle sind keineswegs eine Ausnahme, sondern die Regel: 91 Prozent der 1451 untersuchten Zugvogel-Arten bewegen sich zumindest in einem Teil des Jahres außerhalb geschützter Regionen, stellen Claire Runge von der University of Queensland in Australien und ihr internationales Team im Wissenschaftsmagazin „Science“ fest.

 

Da wundert es kaum noch, wenn in den vergangenen 30 Jahren die Bestände von mehr als der Hälfte aller Zugvogelarten deutlich abnahmen. Um einige Hintergründe dieser Entwicklung zu entschlüsseln, konzentrieren sich die Forscher um Claire Runge auf Schutzgebiete: Sind die Brutgebiete der Vögel ausreichend geschützt? Wie steht es um die Winterquartiere und die Rastplätze auf den Zugrouten? Mit solchen Studien erhalten die Forscher klare Hinweise auf die Defizite beim Schutz von Zugvögeln. So seien in Deutschland zwar mehr als 98 Prozent der Gebiete entsprechend geschützt, die für die im Land vorkommenden Zugvögel wichtig sind. Weltweit aber reiche der Schutz für gerade einmal 13 Prozent dieser deutschen Zugvogel-Arten, berichten die Wissenschaftler.

Ein Beispiel sind die Bekassinen: Rettungsversuche für die letzten 6000 bis 10 000 Brutpaare in Deutschland, die letzten hundert Paare dieser Art in Österreich und die allenfalls noch drei Bekassinen-Paare in der Schweiz bringen wenig, wenn diese Vögel in Dänemark, Frankreich, Spanien und Italien geschossen werden dürfen. „Eine halbe Million Bekassinen fallen allein in der Europäischen Union Jägern zum Opfer“, beklagt Andreas von Lindeiner, der beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Bayern für den Artenschutz zuständig ist. Solche Verluste sind gerade für wandernde Arten fatal: Verschwinden Tiere auf dem Flug in wärmere Gefilde oder auf dem Rückweg, dann fehlen diese Vögel natürlich auch im kommenden Sommer bei der Brut.

Der Kuckuck ist auch in der Sahelzone unterwegs

Soweit die Theorie. In der Praxis sind zwar die Rastplätze und Winterquartiere auffälliger Vögel wie der Kraniche bekannt, nicht aber die Routen und Ziele vieler anderer Arten. „Dazu gehörte bis vor kurzem auch der Kuckuck“, erklärt Andreas von Lindeiner. Deshalb hat der LBV einige Kuckucke mit kleinen Sendern ausgerüstet, die in bestimmten Abständen die Position der Tiere verraten. Im Frühjahr 2016 sollen dann auch die ersten süddeutschen Brachvögel mit solchen Sendern starten und ihre Gepflogenheiten preisgeben.

So erfahren die Naturschützer nicht nur, welche Routen diese Einzelgänger bevorzugen, sondern auch, dass viele Kuckucke nach dem anstrengenden Flug über die Sahara einige Wochen in der Sahelzone verbringen. Diese Region wiederum erstreckt sich über große Teile des nördlichen Afrikas und enthält einige Krisenregionen wie den Sudan, Tschad, die Zentralafrikanische Republik und Mali, in denen Artenschutz nicht gerade ganz oben auf der Prioritätenliste steht.

Aber auch in den Brutgebieten können Probleme auftreten, betonen Claire Runge und ihre Kollegen. So brütet der Wachtelkönig in den Wiesen in weiten Teilen Europas. Dieses Grünland aber wird zunehmend intensiv bewirtschaftet. Dadurch bringt der Wachtelkönig seinen Nachwuchs immer schlechter durch. Mit Reservaten allein lässt sich dieser Art ähnlich wie auch Feldlerchen und Kiebitzen, die ebenfalls in Feld und Flur brüten, kaum helfen. „Nur wenn die Bauern mitziehen und beim Bewirtschaften ihrer Äcker und Wiesen auf die Belange dieser Vögel Rücksicht nehmen, kann sich deren Situation bessern“, sagt Andreas von Lindeiner. Erhöht sich dadurch der Aufwand oder verschlechtert sich die Ernte, sollte dies mit Zahlungen kompensiert werden.