Die Bundesliga steht vor einer Grundsatzdebatte: Wie weit soll die Tür Geldgebern künftig geöffnet werden? Die Entscheidung rückt näher, der VfB Stuttgart sieht sich in der Beobachterrolle.

Stuttgart - Was ist ein Verein? „Die Grundlage des gesellschaftlichen Miteinanders in Deutschland. Basis für die Vermittlung von Werten, einem geregelten, sozialen Miteinander und Orte der demokratischen Teilhabe.“ Das ist – wie von der aktiven Fanszene – schön formuliert und trifft im besten Fall auch zu: Auf all die Kegel-, Musik- und Naturschutzvereine, von denen es in Deutschland noch immer über 500 000 gibt.

 

Auf die Fußball-Bundesliga bezogen, liest sich die Charakterisierung reichlich romantisierend. Von den 18 Wettbewerbern sind 15 als Kapitalgesellschaften organisiert. Als vorerst letzter hat der VfB Stuttgart im vergangenen Jahr die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft vollzogen. Und auch in den drei verbliebenen „echten“ Vereinen genießen soziales Miteinander und demokratische Teilhabe nicht oberste Priorität, wenn es darum geht, den Trainer vor die Tür zu setzen oder bei einem 15-Millionen-Euro-Transfer die Konkurrenz auszustechen. Sie mischen genauso mit im Profi(t)-Geschäft Fußball-Bundesliga, wo pro Jahr vier Milliarden Euro Umsatz erzielt werden.

Warum die Regel auf den Prüfstand kommt

Dies sei einmal vorangestellt an die Diskussion um die 50+1-Regel, die von Martin Kind wieder neu entfacht wurde. Der Präsident und Geldgeber von Hannover 96 gilt als Vorreiter jener Fraktion, die Investoren wie ihm die Türe zu den Clubs gerne einen Spalt weiter öffnen würden als bislang. 50+1 besagt, dass mindestens 51 Prozent der Anteile – also die Mehrheit – weiterhin auf Seiten des Fußballclubs liegen müssen. Während viele Fans in ihrem seit Jahren geführten Kampf gegen die fortschreitende Kommerzialisierung die europaweit einzigartige Regelung verteidigen wie ihre Vereinsfarben, fürchtet die Bundesliga – oder zumindest Teile davon – international weiter abgehängt zu werden.

Einigkeit herrscht lediglich darin, dass der Status Quo nicht der Gerechtigkeit letzter Schluss sein kann. Mit dem VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und der TSG Hoffenheim genießen drei Clubs Sonderrechte, weil sie seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen und in erheblichem Maße von einem Investor gefördert wurden: Von VW, Bayer und dem Milliardär Dietmar Hopp. Die Clubs sind mehr oder weniger hundertprozentige Töchter ihrer Geldgeber, genauso wie RB Leipzig, wodurch sich die DFL angreifbar gemacht hat. Hannovers Kind pocht auf Gleichberechtigung.

Dass er seinen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung für Hannover 96 am Montag überraschend hat ruhen lassen, war nichts weiter als ein taktischer Schachzug. Die DFL hatte zu diesem Zeitpunkt längst signalisiert, das heiße Eisen endlich biegen zu wollen. In den kommenden Monaten will die Interessensvertretung der Bundesliga-Clubs die 50+1-Regel überprüfen und dabei „erörtern, wie wichtige Prinzipien der gelebten Fußball-Kultur in Deutschland zukunftssicher verankert werden können und ob gleichzeitig neue Entwicklungsmöglichkeiten zu erörtern sind.“ Im Klartext: Die Tür für Geldgeber soll aufgehen – nur nicht ganz. So wie in England.

VfB sieht sich in der Beobachterrolle

Zwölf Vertreter zeigten sich in einer Umfrage der „Bild“-Zeitung offen für Veränderungen, mit Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach und dem SC Freiburg sind nur drei strikt dagegen. Der VfB Stuttgart sieht sich in der Beobachterrolle. Präsident Wolfgang Dietrich sagte unserer Zeitung: „Für uns stellt sich diese Frage so direkt nicht, weil wir seit 1. Juni 2017 eine klare Beschlusslage durch die Mitgliederversammlung haben. Die Mitglieder haben mit diesem Beschluss die Legitimation erteilt, bis zu 24,9% der AG-Anteile zu verkaufen.“ Mehr soll und dürfte auch gar nicht veräußert werden. Bislang hält Daimler 11,75 Prozent der Anteile und hat mit Wilfried Porth eines von acht stimmberechtigten Mitgliedern im achtköpfigen Aufsichtsrat der Fußball-AG sitzen.

Der VfB fühlt sich nicht betroffen – und ist es doch. Indirekt, nämlich dadurch, dass seinen Konkurrenten der Zugriff auf größere Geldtöpfe künftig ermöglicht werden könnte. Wenn 50+1 reformiert wird, prophezeit Dietrich, „wird das die Wettbewerbssituation nachhaltig beeinflussen.“

Wie das aussehen könnte, ist klar. Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich weiter öffnen. Weniger innerhalb des Fußball-Oberhauses, wo die abgehängten Verfolger den Anschluss zum FC Bayern München vielleicht sogar wieder herstellen könnten, als vielmehr in der Abgrenzung zur zweiten Liga und zum Amateurlager. 50 +1 sei für einen Club wie den FC St. Pauli „das letzte Stoppschild auf einer immer schneller fortschreitenden Kommerzialisierungsschiene“, warnt Andreas Rettig, der Geschäftsführer des Zweitligisten. Das, was an sozialem Gewissen im deutschen Profifußball noch übrig ist, könnte geopfert werden, prophezeit auch Freiburgs Trainer Christian Streich: „Der Gott des Geldes verschlingt irgendwann alles.“

Niemand wolle einen „komplett freien Markt,in dem sich Investoren austoben können“, entgegnet DFL-Boss Christian Seifert. Um das zu verhindern, ist dem Ligaverband an einer schnellen Lösung gelegen. Weil alle Beteiligten wissen, dass die derzeitige Regelung rechtlich auf dünnem Eis steht. Wie immer die Reform ausfällt – die Diskussionen werden weitergehen.