Führungskräfte glauben an Baden-Württembergs ungebrochene Innovationskraft. Dies wurde in der StZ-Podiumsdiskussion „Zukunft der Region“ in der Alten Reithalle deutlich.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Braucht Baden-Württemberg eine Revolution – oder reicht beim Thema Innovation doch die kluge Weiterentwicklung des Bestehenden? Diesen Bogen haben die Teilnehmer der Podiumsdiskussion über den Innovationsstandort Baden-Württemberg im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zukunft der Region“ geschlagen. Die globalen Umbrüche, der Fortschritt der Informationstechnologie und die ökologischen Herausforderungen seien radikal. Doch es gelte auch die vorhandenen Stärken im Land zu bewahren. Das war das Fazit der eineinhalbstündigen, von der Stuttgarter Zeitung in Kooperation mit Roland Berger Strategy Consultants veranstalteten Diskussion in der voll besetzten Stuttgarter Alten Reithalle.

 

„Wenn ich sagen würde, dass wir trotz des aktuell schwachen Marktes beruhigt sein können, weil wir innovativ sind – würden Sie zustimmen“, fragte der StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs zum Auftakt. „Nein“ – so lautete die knappe Antwort des Bosch-Chefs Volkmar Denner. Das gelte für die Gegenwart, aber keinesfalls für die Zukunft. Die 450 Zuhörer schreckte er mit einer solch klaren Aussage auf.

Denner berichtete davon, was es heißt, einen globalen Konzern mit 300 000 Mitarbeitern anpassungsfähig zu halten: „Man muss gedanklich die verschiedensten Szenarien so vorbereiten, dass man schnell umschalten kann.“ Weiter als bis ins Jahr 2020 könne man etwa beim Thema Elektromobilität gar nicht blicken. Beweglichkeit – das kann etwa Ausgründungen bedeuten, wo Bosch-Mitarbeiter so flexibel sind wie in einem Start-up-Unternehmen.

Neue Dimension der Internationalität

Flexibilität bedeutet für den IT-Konzern IBM eine neue Dimension der Internationalität. Martina Koederitz, die Vorsitzende der Geschäftsführung des Konzerns in Deutschland, erzählte von einem Innovationszentrum an einem Standort, an den vor Jahren wohl niemand gedacht hätte. „Wir haben ein Forschungslabor in Nairobi gegründet, wo wir unsere Produkte an die völlig anderen Gegebenheiten etwa bei der Infrastruktur vor Ort anpassen können.“ Doch die in Deutschland geleistete Arbeit werde eine unverzichtbare Ergänzung bleiben: „Böblingen bleibt eines der größten Entwicklungszentren außerhalb der USA“, sagte Koederitz: „Wir bringen dort die Expertise aus der ganzen Welt ein. Derzeit arbeiten in Böblingen Menschen aus 40 Ländern.“

Gelebte Internationalität ist längst nicht mehr nur ein Thema für multinationale Konzerne. Wenn Ulrich Dietz, der Vorstandschef des mittelständischen Stuttgarter IT-Unternehmens GFT Technologies, nach Partnern für Projekte sucht, blickt er auf den ganzen Globus. Das sei in der Gesellschaft noch nicht angekommen: „Warum schreibt zum Beispiel die Stadt Stuttgart zur Lösung ihres Feinstaubproblems nicht einen globalen Wettbewerb mit einem Preis von hunderttausend Euro aus?“ Solche Ideen, die man sich ins Land hole, ließen sich dann weiterentwickeln.

Für Thomas Rinn, Partner bei Roland Berger, gehen die Herausforderungen weit über Fragen der Technologie hinaus, wo Baden-Württemberg traditionell die Trümpfe in der Hand hat. Es brauche ein Umdenken in der ganzen Mentalität: „Man muss von einer Absicherungsstrategie des einzelnen Mitarbeiters weggehen hin zu einer Fehlerkultur, die es erlaubt, Dinge auszuprobieren“. Das ist keine leichte Aufgabe in einer Region, in der das Präzisionsdenken sozusagen in der kulturellen DNA steckt: „Man muss nicht nur das technologisch beste Produkt sehen, sondern das richtige Produkt für den richtigen Markt zum richtigen Zeitpunkt“, sagte Rinn.

Der notwendige Kulturbruch, ohne vorhandene Stärken über Bord zu werfen, gelinge nicht allen Unternehmen, sagte Dieter Spath. „Sie müssen heute zwei Schritte geradeaus gehen – und einen quer. Aber 90 Prozent der Unternehmen sind heute linear unterwegs“, sagte der Leiter des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation. Es seien die querdenkerischen Ideen, welche die Rendite brächten. Während auf etablierten Märkten die Margen sinken, würden Innovationen Chancen auf neue Erträge bieten.

Branche ist wachsam

Bosch-Chef Denner zeigte sich optimistisch, dass die traditionellen Branchen im Land bereit seien, neue Wege zu gehen. „Die Automobilindustrie hat gezeigt, dass sie wachsam ist“, sagte er. Wenn man sehe, wie die Branche etwa durch Carsharing-Angebote vom Trend weg vom Besitz hin zum Nutzen profitieren wolle, dann sei ihm nicht bange: „Die Bedrohung wird erkannt. Man geht sie an.“

StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs hakte beim Thema unkonventionelle Wege nach. „Albert Einstein hat einmal geschrieben: Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie. Wie schaffen Sie bei GFT eine Unternehmenskultur, die genau das fördert“, fragte er den Mittelständler Ulrich Dietz. Das war diesem doch etwas zu radikal. „Es war nicht alles klug, was Albert Einstein so gesagt hat“, sagte er. Dietz plädierte dafür, das Innovationspotenzial in konventionellem Rahmen nicht zu unterschätzen. Baden-Württemberg brauche sich im Vergleich mit anderen Regionen in Deutschland nicht zu verstecken: „Zwei Entwicklungsabteilungen von Bosch sind tausendmal innovativer als die ganze Berliner Szene.“

Bei den Zuschauern im Saal blieb da der Eindruck, dass die führenden Branchen im Land keinen Grund sehen, ihre Innovationsstrategie infrage zu stellen. Der aus Darmstadt angereiste Unternehmensberater Alexander Bode nahm jedenfalls einen „absoluten Optimismus“ mit nach Hause. „Ich glaube nicht, dass beim Thema Innovation Arbeitsplätze dauerhaft aus Deutschland verlagert werden“, sagte er.

„Revolutionär gesinnt“

„Wir Baden-Württemberger sind nicht so revolutionär gesinnt“, sagte der Unternehmensberater Hans Breuninger aus Stuttgart. Ihn hätte in der Debatte jenseits der technologischen Fragen noch mehr interessiert, was Innovation für die Kultur in den Unternehmen bedeutet: „Wie können etwa die Mitarbeiter mehr vernetzt werden“, fragte er im Hinblick auf Firmen, die zurzeit Facebook als Kommunikationsplattform entdecken.

Gabriele Reich-Gutjahr aus Stuttgart, die lange bei Bosch gearbeitet hat und nun selbstständige Vertriebsberaterin ist, sah in der Debatte Nachholbedarf, wenn es um ganz neue Felder geht: „Wir kleben fest an den bisherigen Branchen.“ In Baden-Württemberg müsse die Herangehensweise an neue Produkte anders werden: „Wir denken zu sehr von der Technik her, zu wenig von der Anwenderseite.“

Erstaunt zeigte sich die Ludwigsburger Ärztin Eleonora Hollmann über die Tatsache, dass in der Debatte die Politik keine Rolle gespielt habe, etwa bei der Frage, wie die junge Generation in Zukunft ausgebildet werde: „Man hatte den Eindruck, die Unternehmer hätten das Ganze im Griff.“