Die Wirtschaft steckt im Tief fest: Zu den Standortproblemen kommt der globale Zollstreit. Ein hochkarätiges Podium zeigt Wege auf, wie Unternehmen und Politik reagieren müssen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Wie viel Depression verträgt ein Land, dessen Wirtschaft inmitten globaler Konflikte gerade den Bach runterzugehen scheint? Mehr machen als nur zu klagen – so lautet der Tenor eines hochkarätig besetzten Podiums in der Reihe „Zukunft der Region“ zu der Frage „Wie kommt Deutschland aus der Wachstumsschwäche?“.

 

Auf Einladung von Stuttgarter Zeitung, Roland Berger und L-Bank geht es angesichts der Aktualität auch, aber nicht nur um Donald Trump. Insbesondere Matthias Lapp, Vorstandsvorsitzender der Lapp Holding, bringt vor etwa 250 Leserinnen und Lesern gleich einen positiven Ton in die Runde. Vom Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Joachim Dorfs, nach seiner Stimmungslage befragt, meint der Chef des Kabelherstellers: „Die ist von einer Woche auf die nächste mal gut und mal schlecht – da gibt es das eine oder andere, das einen manchmal nicht schlafen lässt.“ Die „Nicht-Planbarkeit“ wiege schwer. Er versuche aber auch den eigenen Leuten zu vermitteln: „Uns geht es nicht so schlecht – wir haben eine super Ausgangsbasis als Lapp und auch als Deutschland mit dem, was wir geleistet haben und leisten können.“ Darauf müsse man sich fokussieren, um positiv nach vorne zu gehen. „Was gut läuft, müssen wir ausbauen.“

„Die Kanadier vergessen das nicht mehr“

Dass die USA und China gerade vereinbart haben, einen Teil ihrer gegenseitig verhängten Zölle für 90 Tage auszusetzen, hält Kärcher-Vorstandschef Hartmut Jenner für eine „gute Nachricht“. Denn „jedes Handelshemmnis ist schlecht für global tätige Unternehmen, wie wir es sind“. Er glaube, dass „dieser Sturm, geprägt durch das erratische Verhalten des amerikanischen Präsidenten, zu einer Deglobalisierung führen wird, wenn nicht schon geführt hat“. Vor zwei Wochen sei er in den USA und Kanada gewesen. „Die Kanadier vergessen das nicht mehr“, sagt der Chef des Weltmarktführers für Hochdruckreiniger über Trumps Verbalattacken auf den Nachbarn. Dort herrsche „eine Emotionslage, die ich so noch nicht erlebt habe.“

Matthias Lapp und Nicole Hoffmeister-Kraut diskutieren. Foto: LICHTGUT

Was kommt da noch alles? „Ich glaube schon, dass die Zollhemmnisse runter gehen werden“, sagt Jenner. Doch sei vieles zu wenig durchdacht – auch auf europäischer Seite. Früher hätte man Probleme vor der Eskalation „glatt ziehen“ können – da sei erst verhandelt, dann gehandelt worden. Heute passe es zum Zeitgeist, dass erst gehandelt, dann verhandelt wird. „Dieser Unterschied macht das Wirtschaften nicht leicht.“

Die gute Nachricht lautet: Man lernt, mit Trump umzugehen

Hanna Hottenrott von der Technischen Universität München sieht es ähnlich: „Die Stimmung ist nachhaltig gekippt – die Phase der Globalisierung, in der wir die gleiche Richtung haben, scheint nicht weiter zu gehen.“ Dies werde sich nicht so rasch wieder umdrehen. Die gute Nachricht sei, „dass man lernt, damit umzugehen.“ Einprägsam stellt die Professorin fest: „Zollpolitik ist ein Instrument, mit dem man sich selbst ins Knie schießt, um anderen weh zu tun – das macht Trump gerade, sodass ihm sein Knie ordentlich weh tut.“ Denn betroffen seien auch Produkte, die die amerikanische Bevölkerung braucht und nicht leicht nachzubauen seien. Kurz: „Da ist ein gewisser Schaden angerichtet, aber ich bin auch optimistisch, dass es Einigungen geben wird, weil sie auch im Interesse der USA sind.“

Hartmut Jenner argumentiert. Foto: MAX KOVALENKO

Nicht nur die Zölle bremsen: „Die größte Explosion der Kosten in den letzten Jahren hat all das gebracht, was mit Fracht zu tun hatte“, sagt Jenner. Auch dies sei ein Argument, näher an den Märkten zu produzieren. Zudem sei es von den Arbeits- und Strukturkosten her sehr schwer geworden, bestimmte Produkte in Deutschland herzustellen. Lapp produziert seit jeher „local für local“, wie es heute heißt. Schon sein Großvater habe die Strategie vertreten, möglichst nah am Kunden zu sein. „Die Märkte haben unterschiedliche Bedarfe“, sagt der Chef, der sich auch wegen der Lieferkosten bestätigt sieht.

Lapp würde in Ludwigsburg nicht mehr so groß bauen

Da ist ja auch noch die Bürokratie hierzulande: Zum geplanten Logistikzentrum in Ludwigsburg gefragt, beklagt Lapp ein zu geringes Umsetzungstempo. „Da würde ich mir wünschen, eher in den USA zu sein.“ Dort sei ein (kleineres) Zentrum binnen eines Jahres entstanden – hier dauere es fünf Jahre. In der vorgesehenen Größe würde er das Projekt im hohen zweistelligen Millionenbereich heute nicht mehr so planen, bekennt er.

Dass das Ende des exportorientierten deutschen Erfolgsmodells naht, glaubt das Podium nicht. Aber bei dem „einen oder anderen Produkt müssen wir der Wahrheit ins Auge sehen, dass es in Deutschland nicht mehr produziert werden kann“, sagt Hottenrott. „Größere Investitionen finden nicht mehr in Deutschland statt“, beklagt auch Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). „Der Kostendruck ist enorm, nicht nur in der Automobilbranche, sondern auch im Maschinen- und Anlagenbau.“ Große Hoffnung setzt sie auf beschleunigte Verfahren, die die neue Bundesregierung ermöglichen will. „Wir müssen jetzt das Momentum nutzen, um schneller und pragmatischer in der Umsetzung zu werden“, sagt die Ministerin. „Da ist die Zeit gekommen, dass uns das gelingen kann.“

Das Publikum lauscht hochinteressiert. Foto: LICHTGUT

Alle Unternehmen sind „im Moment vorsichtig, was Wachstum und Investitionen angeht“, weiß Stefan Schaible. Der Global Managing Partner beim Beratungsunternehmen Roland Berger zeigt aber noch eine andere Dimension der Handelskonflikte auf: „Wenn das Vertrauen in die USA, in ein Rechtssystem und den militärischen Beistand nicht mehr da ist, dann fängt das Weltfinanzsystem an sich zu verschieben – das wird stark in Richtung Euro gehen.“ Also weg vom Dollar. Aus den tektonischen Verschiebungen folgt unter anderem: „Wir brauchen ein eigenes Swift-System.“ Gemeint ist das Kommunikationsnetzwerk der Finanzinstitute für weltweite Transaktionen. Dies sage er als „glühender Transatlantiker“. Doch Europa und vor allem Deutschland hätten sich zu lange auf die USA verlassen. Jetzt müsse Europa eigenständiger werden.