Seit Jahren wird über die Sanierung der Stuttgarter Oper gestritten. Auch am Ende des Jahres 2015 ist kein Ergebnis in Sicht. Besser wird die Lage dadurch nicht. Wer schafft endlich Klarheit?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Zu Beginn des Jahres, in der ersten Januarwoche, beleuchtete die StZ in einer kleinen Serie den Zustand der Stuttgarter Staatstheater: „Wie soll es mit Oper, Schauspiel und Ballett in Stuttgart weitergehen? In diesem Jahr müssen Land und Stadt entscheidende Weichen stellen. Zum Beispiel: Wer saniert das Große Haus?“ Fast zwölf Monate später und angesichts der letzten Woche des Jahres 2015 muss man feststellen: Die Frage bleibt weiter unbeantwortet. Von Weichenstellung keine Spur. Kein Ziel in Sicht.

 

Zuletzt berieten Vertreter von Land und Stadt am 14. November in größerer Runde über das Thema. „Verwaltungsrat“ heißt das Gremium, in dem in zwei gleich starken Gruppen Vertreter des Landes Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart als der beiden Staatstheater-Finanziers beisammen sitzen, unter wechselndem Vorsitz der Kunstministerin Theresia Bauer und des Oberbürgermeisters Fritz Kuhn. Drei oder vier Mal pro Jahr sieht man sich in dieser Runde; spätestens nach jeder Landtags- und Kommunalwahl wird neu gemischt.

Seit rund 16 Jahren weiß man vom großen Sanierungsbedarf in den Tiefen und Höhen des 1912 erbauten Opernhauses. Um es salopp zu sagen: Die Vorstellungen vorn für das Publikum sind zumeist große Klasse, aber von innen ist der Laden technisch marode und wird vor allem durch die Alltags-Zauberkunst aller dort Beschäftigten am Laufen gehalten. Vor rund drei Jahren gab man ein Gutachten über Bauzustand und mögliche Verbesserungen bei einem einschlägig versierten Fachunternehmen (Kunkel Consulting, Bürstadt) in Auftrag. Seit anderthalb Jahren liegt das 600 Seiten starke Gutachten mit zweifellos erschütterndem Inhalt dem Verwaltungsrat vor. Seitdem wird in den Ämtern von Land und Stadt geprüft; zunächst ein Jahr lang der Inhalt des Gutachtens; danach, seit Frühjahr 2015, mögliche Konsequenzen. Das Ergebnis besagter Verwaltungsratssitzung vom 14. November: neue Prüfaufträge. Wiedervorlage im März. Dann sind übrigens Neuwahlen zum Landtag von Baden-Württemberg, und im Anschluss wird der Verwaltungsrat personell wohl auch wieder anders zusammengesetzt sein.

Klar muss geprüft werden. Aber mit welchem Ziel?

Bitte kein falscher Eindruck! Hier wird keine Klage über die zeitliche Begrenzung politischer Ämter geführt! Hier wird auch ganz sicher nicht in Abrede gestellt, dass Bauvorhaben dieser Größenordnung vorab sorgfältig in allen Einzelheiten von Fachleuten geprüft werden müssen. Das Gutachten von Kunkel Consulting nannte als Bausumme 2014 einen Betrag von rund 300 Millionen Euro, jeweils zur Hälfte und über die Strecke von sieben Baujahre hinweg zu finanzieren aus dem Landes- und Gemeindehaushalt. Das ist kein Geld, das irgendwo gerade nutzlos auf einem Konto schlummert. Selbstverständlich sind da verschiedene Ziele abzuwägen und Kompromisse zu finden.

Das Problem aber ist, dass die öffentliche Debatte so weit noch längst nicht ist. Beim Thema Opernsanierung traut sich auf der politischen Seite niemand nach vorn. Keiner im Landtag, im Ministerium oder im Rathaus mag so recht Flagge zeigen. Immer neue Prüfaufträge gibt es in politischen Prozessen nicht nur, weil neue Fragen aufgetaucht sind. Neue Prüfaufträge gibt es vor allem, um weiter Zeit zu gewinnen. Kenner des politischen Spiels kennen die doppelte Bedeutung der Aussage: „Diese Frage wird gerade geprüft“. Sie bedeutet stets auch: „Besser, wir sagen nix Konkretes.“ Schon manches Projekt wurde so beherzt zu Tode geprüft.

Letztlich hängt ja gar nichts an den Sitzungsterminen des Verwaltungsrates. Dass dieses Gremium derzeit den Debattentakt vorgibt, erweckt den falschen Eindruck, dort würden womöglich die relevanten Sanierungsbeschlüsse getroffen. Das Gremium ist aber nur deshalb Ort der Debatte, weil sich hier die Vertreter von Land und Stadt ganz offiziell versammeln. Wirklich entscheiden über die mögliche Sanierung der Stuttgarter Oper müssen aber vielmehr jene Gremien, die politische Verantwortung für das Geld tragen, die die Haushalte beschließen, also der Landtag von Baden-Württemberg und der Stuttgarter Gemeinderat. Und damit ist auch klar, wer die derzeit dümpelnde Sanierungsdebatte wirklich vorantreiben könnte, indem sie die Sache zur ihren erklären würden: die Kunstministerin Theresia Bauer (zumindest bis zur Landtagswahl) und der Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Die eine will. Der andere taktiert. Denn er braucht eine politische Mehrheit.

Die Stadt muss wissen, was sie mit ihrer Oper will

So lange aber niemand unter den politisch Verantwortlichen die Zukunft des Stuttgarter Opernhauses wirklich zu seinem Projekt macht, so lange niemand sich mit einer Idee oder Vorstellung, welche Rolle das Gesamtensemble der Staatstheater im Schlossgarten im Herzen der Stadt spielen soll, was das eigentliche Ziel der womöglich kostspieligen Investitionen an dieser Stelle zu sein hat, so lange wird die Debatte im Für und Wider von Sachbearbeitern und Denkmalschützern mäandern, werden Sichtachsen inspiziert, Parkplätze gezählt und Erdwärmeleitungen entdeckt. Alles Dinge, die wichtig sein können. Wenn man das Wegziel kennen würde.

Streng juristisch betrachtet ist der Bauzustand des Staatstheater ein Problem des Hausbesitzers, also des Landes. Im Kern aber muss natürlich die Stadt wissen, was sie eigentlich von der Oper will, welchen Ort und welchen Stellenwert im städtischen Leben diese spielen soll. Ist man im Großen und Ganzen zufrieden, wie es läuft, weil ja ohnehin nur eine kleine Schicht der Bevölkerung dort vorbei schaut? Dann würde es vermutlich reichen, ein paar technische Anlagen zu erneuern und die Toiletten aufzuhübschen. Will man dagegen die Kette der erfolgreichen Kulturinvestitionen der Landeshauptstadt der vergangenen 15 Jahre fortsetzen – Literaturhaus, Theaterhaus, Kunstmuseum, Tagblattturm, Stadtbibliothek –, erkennt man die Bedeutung der Theater an als öffentlicher, städtischer Raum für alle, wie es Kommunen anderswo in jüngerer Zeit eindrucksvoll getan haben, dann ist eine mutigere Investition nötig. Dann muss man ein Projektziel formulieren. Und dann heißt es, Bündnispartner zu finden, zu überzeugen – bei den Bürgern, unter den politischen Fraktionen, bei Unternehmern, Mäzenen.

Eine solch umfangreiche kulturpolitische Investition wird in naher Zukunft zweifellos nicht leichter. Man kann argumentieren, dass der Stuttgarter Aufgabenzettel sich just in den vergangenen Monaten gründlich verändert hat. Man kann ebenso argumentieren, dass eine sozial intakte Stadt und eine starke kulturpolitische Entwicklung sicher nicht im Widerspruch zueinander stehen. Kulturpolitische Investitionen rütteln sich nun mal nicht irgendwie zurecht. Man muss sie wollen. So oder so müssen die maßgeblich Verantwortlichen in der Operndebatte endlich Farbe bekennen – 2016! Sonst droht eine Wiederholung dieses Artikels in genau einem Jahr.