Die Hafenstädte Mariupol und Berdjansk leiden unter dem Krieg mit Russland. Die Lage verschlechtert sich dramatisch, erklärt der Politikwissenschaftler Andreas Umland.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Herr Umland, die Ukraine kommt seit Jahren nicht zur Ruhe. Sehen Sie eine Chance für baldigen Frieden?

 

Nein, leider ist ein Ende bis jetzt nicht abzusehen. Das Einzige, was sich vielleicht positiv sagen lässt, ist, dass es derzeit keine größeren Eskalationen mit Hunderten von Toten gibt. Es sterben allerdings jede Woche Menschen an der sogenannten Kontaktlinie im Donbass, meistens Soldaten, aber auch Zivilisten. Und nun könnte sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzung verlagern.

Sie meinen, weg vom Donez-Becken?

Ja, genau – weg vom Donbass und hin zum Asowschen Meer, vielleicht zum Vorland der Krim und der Meerenge von Kertsch, da wo es schon im November zu der Auseinandersetzung zwischen russischen und ukrainischen Schiffen kam.

Befürchten Sie, dass Russland einen Landkorridor zur Krim anstrebt?

Das wird in den nächsten Jahren maßgeblich davon abhängen, ob die von Russland gebaute Brücke über die Meerenge von Kertsch ihre Funktion erfüllen wird. Diese Funktion besteht darin, die Krim in die russische Wirtschaft zu integrieren und die Entwicklung der Halbinsel anzukurbeln. Wenn die Brücke das nicht leisten kann, könnte in Moskau durchaus der Gedanke entstehen, dass man eine Landverbindung benötigt.

Eine große Last für eine Brücke. Wird sie diese Last tragen können?

Es gibt immer wieder Experten, die sagen, dass man dort überhaupt keine Brücke hätte bauen sollen, weil der instabile Meeresboden und das raue Klima in der Meerenge dafür nicht geeignet sind. Vor Kurzem hat der Fährbetrieb zwischen der Krim und Russland wieder begonnen, und es ist nicht klar, ob das mit Mängeln an der Konstruktion zu tun haben könnte. Wenn die Brücke in die Brüche ginge, könnte es sehr gefährlich werden.

Wie wäre denn die Meinung der Menschen in und um Mariupol, wenn sie nun russisch werden würden?

Mariupol war schon einmal von aus Russland angestachelten Separatisten besetzt und ist dann befreit worden, der Appetit auf eine neue Eingemeindung ist daher nicht sehr hoch. Weil aber viele Schiffe derzeit daran gehindert werden, die ukrainischen Häfen in Mariupol und Berdjansk anzulaufen, verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation dort dramatisch. Niemand weiß, wozu das führen kann.

Gibt es eine halbwegs realistische Möglichkeit, dass sich am Status der Krim etwas ändert?

In absehbarer Zeit sicher nicht. Das wird erst möglich sein, wenn es in Moskau zu einem Regimewechsel kommt.

Und wie sieht es im Donbass aus?

Das kommt auf den Westen an. Die meisten und schwersten Sanktionen hängen ja nicht mit der Krim zusammen, sondern mit der Lage im Donbass. Es könnte zu einer Situation kommen, in der Russland die Sanktionen loswerden möchte und dementsprechend seine Politik in der Ostukraine ändert.

Bis dahin müsste der Westen die Sanktionen unbedingt beibehalten?

Die Europäische Union ist nach wie vor der größte Handelspartner und der mit Abstand größte Auslandsinvestor Russlands. Hier sind also bei Weitem noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich denke, dass schärfere Sanktionen der EU eher deeskalieren als eskalieren würden.

Welche Auswirkungen haben die ukrainischen Präsidentschaftswahlen auf die Kriegsgebiete?

Die drei in den Umfragen führenden Kandidaten sind alle eher prowestlich. Sie werden den bisherigen außenpolitischen Kurs vermutlich weiterführen. Ein Wechsel im Präsidentenamt beziehungsweise in der Regierung könnte aber ein Anlass für Moskau sein, eine neue Donbass-Politik einzuleiten, die man mittels des ukrainischen Führungswechsels vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen könnte.

Stuttgart - Jede Woche Menschen sterben an der sogenannten Kontaktlinie in der ostukrainischen Region Donbass, meistens Soldaten, aber auch Zivilisten. Die EU darf den Krieg in der Ukraine nicht aus den Augen verlieren, warnt der Osteuropaexperte Andreas Umland. Sie habe noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, Russland stärker zu sanktionieren.