Zukunftsängste bei jungen Erwachsenen Kinder trotz der Klimakrise – geht das?

Zusammen eine Familie gründen – die Vorstellung finden viele schön. Manche aber zweifeln, ob sie das Kinderkriegen wegen der Klimakrise noch verantworten können. Foto: imago/Science Photo Library

Die Erderwärmung bereitet vielen jungen Menschen Sorgen. Wie wird die Welt in einigen Jahrzehnten aussehen? Und kann man es verantworten, trotzdem noch Kinder aufzuziehen? Sarah und Jonathan finden: eigentlich nicht.

Stuttgart - Wenn Sarah und Jonathan sich früher ihre Zukunft ausmalten, waren da immer Kinder. In Sarahs Vorstellung waren es viele Kinder. „Eine Schwangerschaft zu erleben und dann zu sehen, welche Eigenschaften die Kinder vielleicht von einem selbst übernehmen, wäre bestimmt wunderschön“, sagt die 20-Jährige. Inzwischen aber wird die Vorstellung bei beiden von Zweifeln überdeckt. „Die Frage, wie der Planet in ein paar Jahren aussehen wird, macht mir Angst“, sagt Jonathan, 19 Jahre alt, die schulterlangen Haare hat er an diesem Tag zusammengebunden.

 

Es ist nicht so sehr eine Angst vor Naturkatastrophen, die zunehmen werden, sondern eher vor den Konflikten, die es geben wird – zum Beispiel weil Menschen aus unbewohnbaren Gegenden der Erde fliehen müssen. Sarah nickt, genau das ist es auch, was ihr Sorgen macht. Und es ist der Grund dafür, dass beide sich inzwischen nicht mehr recht vorstellen können, einmal eigene Kinder zu haben.

Für sie ist es vor allem eine Frage der Verantwortung

Jonathan und Sarah befassen sich seit Jahren mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Beide sind in der Klimabewegung aktiv, gehen regelmäßig für mehr Klimaschutz auf die Straße, haben ihre Ernährung umgestellt, ihren Konsum, ihr Reiseverhalten. Als sie sich kennenlernten, lebten beide noch bei ihren Eltern in der Nähe von Stuttgart. Beide sagen, dass sie eine gute Kindheit hatten – Jonathan als Geschwisterkind, Sarah mit dem Wunsch nach Geschwistern. Heute studiert sie Kommunikationsdesign in Aachen, er Politik- und Verwaltungswissenschaft in Konstanz.

Die Klimakrise spielt eine Rolle bei fast allem, was sie tun. Kein Wunder, dass das Thema Kinder in der Beziehung früh zur Sprache kam. „Es ist vor allem eine Frage der Verantwortung: Kann ich ein Kind in eine Welt setzen, die wir so hinterlassen?“, fragt sich Sarah. „Die Ängste im Zusammenhang mit der Klimakrise bereiten ja mir schon starke psychische Probleme. Könnte man dem einen anderen Menschen bewusst aussetzen?“, sagt Jonathan.

Fast 40 Prozent sind einer Studie zufolge unschlüssig

Mit solchen Gedanken sind Sarah und Jonathan nicht allein. Laut der bislang umfassendsten internationalen Studie zu dem Thema machen sich knapp 85 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen Sorgen wegen des Klimawandels. Für die Untersuchung – als Preprint in der Zeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht – befragten die Forschenden 10 000 junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren aus zehn Ländern. Über die Hälfte fühlt sich demnach traurig, ängstlich, wütend oder hilflos. Die Forschenden sehen einen Zusammenhang zwischen einer als inadäquat wahrgenommenen politischen Reaktion auf die Krise und der Angst der jungen Menschen. Fast 40 Prozent der jungen Menschen sind demnach wegen der Klimakrise unschlüssig, ob sie Kinder bekommen sollen.

Auch der Herrenberger Psychologe Christoph Burger kann bestätigen, dass Zukunftsängste im Hinblick auf das Klima verbreitet sind – vor allem bei jenen, die sich viel damit beschäftigen. „Junge Menschen sehen die enorme Krise. Und die Kluft zwischen dem, was jetzt dringend getan werden müsste und dem, was wir wirklich tun“, sagt Burger, der als Mitglied der Initiative Psychologists for Future immer wieder junge Menschen aus der Klimabewegung unterstützt. „Sie wissen, dass wir Älteren die Macht haben und handeln müssten. Das macht sie hilflos. Und das macht sie wütend.“ Solche Gefühle können psychische Folgen haben – vor allem bei jenen, die sich sehr viel mit der Klimakrise auseinandersetzen: Schlafstörungen etwa, Depressionen, Ängste, eine existenzielle Verzweiflung.

Das Bild einer Welt, die chaotischer und unkontrollierbarer wird

Überraschend findet Burger das nicht: Schon Ende der 1980er Jahre sei die Welt hinsichtlich des Klimawandels in den Risikobereich eingetreten. Auch damals schon habe es Menschen gegeben, die sich Gedanken übers Kinderkriegen gemacht hätten. Seither sei viel über die Klimakrise geredet, davor gewarnt und dazu verhandelt worden – doch die Menge an Treibhausgasemissionen habe stärker zugenommen als in den Jahrzehnten zuvor. Und der Handlungsspielraum wird Forschenden zufolge kleiner.

„Viele Menschen stellen sich unter der Erderwärmung vor, dass es einfach wärmer wird. Das ist ein Trugschluss.“ Der Psychologe verweist auf klimatische Kippeffekte, die drohen, wenn das 1,5-Grad-Ziel gerissen wird. Extremwetter, Dürren, Missernten, Kriege, der Kollaps des Finanzsystems, zusammenbrechende Staaten – all das hält Burger für denkbar.

Heute geborene Kinder werden deutlich mehr Wetterextreme erleben

Dass die Erderwärmung Folgen insbesondere für das Leben heutiger Kinder beziehungsweise künftiger Generationen hat, darin sind sich Forschende einig. Fast die Hälfte aller Kinder weltweit ist laut dem Klima-Risiko-Index des Kinderhilfswerks Unicef durch die Auswirkungen des Klimawandels „extrem stark gefährdet“. Laut einer im September in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie eines internationalen Forschungsteams werden heute geborene Kinder in ihrer Lebenszeit wohl mit durchschnittlich siebenmal mehr Wetterextremen leben müssen als ihre Großeltern.

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„Ein Mensch, der diese Fakten kennt und an sich heranlässt, wird vieles überdenken“, sagt Christoph Burger. „Er wird kein Haus knapp über dem Meeresspiegel bauen, kein Geld in fossile Energien anlegen. Und junge Paare werden überlegen, keine Kinder zu bekommen, na klar.“ Sich mit dieser Frage zu befassen, hält Burger angesichts der Entwicklungen durchaus für eine passende Überlegung, für rational, für erwachsen. Und trotzdem sei damit noch nicht festgeschrieben, wie die persönliche Entscheidung für oder gegen Kinder letztlich ausfalle. Viele der jungen Menschen, die heute keine Kinder wollen, könnten sich später doch noch anders entscheiden.

Manche vertreten die These, dass mehr Kinder der Umwelt schaden

Mit dem Birth Strike Movement gibt es inzwischen eine ganze Bewegung, deren Anhängerinnen und Anhänger wegen des Klimawandels keine Kinder bekommen möchten. Einige vertreten die These, dass mehr Kinder der Umwelt schaden – und weniger von ihnen gut für den Planeten wären. Kritikerinnen und Kritiker sehen die Lösung dagegen eher woanders – und argumentieren, dass politisches Gegensteuern es der jungen Generation ermöglichen könnte, ihre Kinder doch noch in einer intakten Umwelt aufzuziehen.

„Aus meiner Sicht ist der Klimawandel kein guter Grund, um auf Kinder zu verzichten“, sagt Konrad Ott, Professor für Philosophie und Ethik der Umwelt an der Universität Kiel und selbst Vater von vier Kindern. Ein solcher Verzicht sei eher ein symptomatischer Ausdruck für eine um sich greifende apokalyptische Panikstimmung. Zumindest in Mitteleuropa werde ein gutes Leben im 21. Jahrhundert noch möglich sein. Viele klimapolitische Entwicklungen seien heute zudem kaum absehbar, sagt er. Ott erinnert sich daran, wie eine Bekannte ihm und seiner schwangeren Frau nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl eindringlich davon abriet, ein Kind in eine verstrahlte Welt zu bringen – und ist heute froh, dass er und seine Frau diesem Ratschlag damals nicht gefolgt sind.

Deutschland sei in Sachen Klimaschutz durchaus ein Vorreiter, sagt Ott und Europa mache deutliche Fortschritte, was den Klimaschutz anbelange. „Es wäre fatal, wenn man heute trotz eines Kinderwunsches auf Kinder verzichtet – und am Ende gelingt es klimapolitisch doch, deutlich unter zwei Grad Erderwärmung zu bleiben“, findet der Philosoph. „Im Grunde bedeutet der Verzicht auf Kinder, das man das Scheitern der internationalen Klimapolitik für sehr wahrscheinlich erachtet.“

Eine endgültige Entscheidung haben die beiden noch nicht getroffen

Mit ihren Gedanken stoßen auch Sarah und Jonathan immer wieder auf Unverständnis. Seine Mutter finde, dass das Leben nicht von Ängsten geprägt sein sollte, erzählt Jonathan. Auch Sarah kennt solche Reaktionen. „Das Thema könnte fast als Kritik an unseren Eltern aufgefasst werden, weil wir etwas ansprechen, was sie damals nicht mitbedacht haben“, sagt sie. „Die haben ja auch erlebt, wie bereichernd Kinder sein können“, fügt sie noch hinzu. Und während sie sich mit anderen Klimaaktivistinnen oder -aktivisten bei Fridays for Future viel über Themen wie das Kinderkriegen ausgetauscht hätten, sei das in ihrem Studienumfeld deutlich seltener ein Thema.

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Eine endgültige Entscheidung haben Sarah und Jonathan im Hinblick auf das Kinderkriegen noch nicht getroffen, sie diskutieren darüber, mal streiten sie auch. Es sei ja auch noch Zeit, sagen beide. Es sei ja noch Zeit, sagen beide. Manchmal denkt Sarah trotzdem schon darüber nach, einen Schlussstrich zu ziehen, indem sie sich sterilisieren lässt. Sie kann sich auch vorstellen, Kinder zu adoptieren.

„Ich werde die Entscheidung auch davon abhängig machen, was in den nächsten Jahren in Sachen Klimaschutz passiert und ob das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann“, sagt Sarah. Ein Kinderwunsch, finden beide, sei jedenfalls auch eine große Motivation, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Und, sagt Sarah, man habe den Kindern dann später auch etwas zu entgegnen bei der Frage: Was hast du da gemacht?

Was hilft, wenn die Zukunftssorgen zu groß werden?

Nicht verdrängen
„Positive wie negative Gefühle sind wichtige Signalgeber. Wir brauchen sie, um unser Leben gut zu steuern“, sagt der Psychologe Christoph Burger. Im Hinblick auf das Kinderkriegen rät er, emotionalen wie rationalen Gründen dafür oder dagegen genau nachzuspüren. Verdrängen ist also keine Lösung – überwältigen lassen sollte man sich von den Sorgen aber auch nicht, um nicht in eine Negativ-Schleife zu geraten, in der man sich kaum noch mit etwas anderem befasst. „Es ist wichtig, sich immer wieder auch in andere Lebenssituationen zu begeben, in den Austausch mit Menschen zu gehen, die ganz andere Themen haben.“

Nicht aufgeben
Auch Entspannungsphasen etwa mithilfe von Meditation oder Aktivitäten wie Sport seien wichtig. Psychologen wie er unterstützen, wenn die Sorgen zu groß werden. Aufgeben, sagt Christoph Burger, sei jedenfalls genauso wenig eine Option wie zu sagen: Das wird schon alles. Es gebe durchaus Szenarien, die eine positive Zukunft bedeuten könnten – sofern die Politik Maßnahmen ergreife und die Menschen sich veränderungswillig zeigten.

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