Autozulieferer verfolgen unterschiedliche Strategien, um sich auf das Zeitalter der E-Mobilität vorzubereiten. Manche gehen fremd – das reicht von der Medizintechnik bis zur Energiebranche.

Wirtschaft: Imelda Flaig (imf)

Stuttgart - Komponenten für E-Bikes, Heizungen für Boote oder Getriebe für Windräder – viele Autozulieferer forcieren Geschäftsfelder außerhalb der Automobilindustrie, um sich für die Umbrüche durch E-Mobilität und autonomes Fahren zu wappnen. Wieder andere setzen auf Kompetenzaufbau oder Zukäufe.

 

Abgasspezialist Eberspächer aus Esslingen hat erst kürzlich Heizungen für Boote vorgestellt, die gleich auch noch via App vom Smartphone gesteuert werden können. Der Autozulieferer, der den Großteil seines Umsatzes mit Abgassystemen für die Autohersteller macht, will mit seinen Heiz- und Klimasystemen auch in anderen Branchen punkten – das reicht etwa von Booten über Land- und Baumaschinen bis zu Sonderfahrzeugen. Bei diesen Spezialmärkten spricht Eberspächer-Manager Jörg Schernikau von „überdurchschnittlichen Steigerungsraten jährlich“. Viel verspricht sich der Autozulieferer auch von neuen Aktivitäten durch die Mehrheitsbeteiligung am kanadischen Unternehmen Vecture. Dazu zählen etwa Batteriemanagementsysteme für die Industrie- und Medizintechnik etwa für Herzschrittmacher, aber auch kleine tragbare Energiesysteme für Flurförderfahrzeuge, was den noch kleinen Bereich Fahrzeugelektronik erweitern soll.

Solche Aktivitäten sind symptomatisch für viele Zulieferer. Weil beim E-Auto eine Reihe von Komponenten wegfallen – das reicht beispielsweise von Dichtungen über Kolben, Zylinder und Ölfilter bis zu aufwendigen Getrieben oder der Auspuffanlage – suchen Hersteller solcher Komponenten nach neuen Geschäftsfeldern und Technologien.

Ohne Kenntnisse von Elektronik und Software geht es nicht mehr

„Die Zulieferer haben verstanden, dass sie ohne profunde Kenntnis von Elektronik und Software nicht mehr auskommen“, sagt Ralf Kalmbach, Automobilexperte bei der Managementberatung Bain & Company, angesichts des Wandels hin zu E-Mobilität und autonomem Fahren. Wenngleich er das Fremdgehen der Zulieferer in anderen Geschäftsfeldern und Branchen teils als „Portfolio-Spielereien“ bewertet, weil sich damit das klassische Zuliefergeschäft, bei dem es um große Volumina gehe, nicht ersetzen lasse.

Auch Elring Klinger aus Dettingen/Erms setzt auf Diversifizierung außerhalb des Automobilzuliefergeschäfts, auch wenn man Zulieferer bleiben werde, wie ein Sprecher sagt. Mit seiner Kunststofftechnik-Sparte ist Elring-Klinger etwa mit Produkten für die Lebensmittelindustrie, die Luftfahrt und die Medizintechnik erfolgreich. Dazu zählen Bauteile für die Flugzeugindustrie, aber auch Schläuche für Zahnarztpraxen oder Katheter- und OP-Schläuche, die aus High-Tech-Kunststoffen hergestellt sind – so genannter Hochleistungskunststoff PTFE, der auch unter dem Begriff Teflon bekannt ist. Unterm Strich steuert das Geschäft außerhalb der Autoindustrie rund zehn Prozent zum Umsatz bei – dazu zählen aber auch Partikelfilter und Abgasreinigungsanlagen für Kreuzfahrtschiffe oder stationäre Motoren.

Derzeit brummt das Geschäft bei dem Autozulieferer, dessen Zylinderkopfdichtungen in fast drei Viertel aller Verbrennungsmotoren weltweit stecken. Beim E-Auto will das Unternehmen mit Leichtbaukomponenten und Teilen für den Elektroantrieb mitmischen. Noch machen solche Komponenten für die E-Mobilität weniger als ein Prozent des Umsatzes aus.

Auch der Ludwigsburger Filterspezialist Mann + Hummel erschließt sich neue Abnehmerbranchen und liefert etwa Filter für Schiffe, Kompressoren, Boote oder industrielle Staubsauger und Rasenmäher. Daneben sorgt der Autozulieferer für saubere Luft in Laboren, Operationssälen oder Abnehmerbranchen und ist noch ins Geschäft mit der Wasser- und Abwasseraufbereitung. Der Großteil des Umsatzes entfällt noch immer auf das Geschäft mit den Autoherstellern.

Die Wettbewerber sitzen künftig in Taiwan und Korea

Durch Elektrifizierung und autonomes Fahren kommen auf die Branche massive Veränderungen zu. Vielen mittelständischen Zulieferern dürfte es schwer fallen, solche Veränderungen mitzugehen. „Ein paar wird es aus der Kurve tragen, weil sie nicht die Mittel und Möglichkeiten haben, sich auf die neue Zeit umzustellen“, sagt Kalmbach. Der Trend gehe von hardwarebasierten Systemen im Auto hin zu softwarebasierten Systemen, die man von außen über das vernetzte Auto einspielen könne. Ausgehend von den Fahrerassistenzsystemen wie etwa Abstandstempomat oder Spurhalteassistent gehe die Entwicklung in Richtung autonomes Fahren. Das sind alles noch Hardwaremodule, die im Auto verbaut sind und dann zusammengeschaltet werden. „Der neue Tesla besitzt beispielsweise eine völlig andere Elektronikarchitektur – im Prinzip einen Zentralrechner und Softwaremodule, die als Funktionsträger verkauft werden können“, sagt Kalmbach. „Das ist günstiger, das Geschäftsmodell ist ein anderes, was wiederum fundamental das Geschäftsmodell der Zulieferer verändert.“

Gefahr droht entsprechend auch aus der virtuellen Welt. „Die Wettbewerber der deutschen Unternehmen sind zukünftig nicht mehr die großen Zulieferer aus Frankreich oder Italien“, sagt Kalmbach. „Sie sitzen vielmehr in Taiwan und Korea und kommen aus den Branchen Software, künstliche Intelligenz sowie virtuelle Realität.“

Von Start-ups lernen, schneller und agiler zu werden

Zulieferer müssten heute schon Erfahrungen sammeln, um künftig mitzuspielen. „Bei den vielen Start-ups, die wir derzeit sehen, spielt nicht nur die Technologie und IT-Kompetenz eine Rolle“, sagt der Automobilexperte. Zulieferer könnten auch von ihnen lernen, schneller und agiler zu werden. Liegen die Zykluszeiten bei Elektronikprodukten bei einem halben Jahr, ticke die Autoindustrie in Zykluszeiten von fünf und Mehr Jahren.

Rund zwei Drittel der Wertschöpfung eines Autos kommen von den Zulieferern, bei denen hier zu Lande rund 300 000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Weitere gut 450 000 arbeiten nach Angaben des Branchenverbands VDA direkt bei den Autoherstellern. Für viele Zulieferer stellt sich angesichts der Umbrüche die Frage, wann und wo sich künftig Stückzahlen entwickeln. Beim Bau des Antriebs eines E-Autos etwa werden nur noch etwa 200 statt der bisher üblichen rund 2000 Teile benötigt.

Unabhängiger vom zyklischen Geschäft mit der Automobilindustrie

Mitarbeiter von Branchenriesen wie Bosch, Conti oder ZF müssen sich weniger Sorgen machen, weil diese Zulieferer auch im Geschäft mit Elektronik, Software und Sensorik punkten können. Dennoch ist Diversifizierung auch für die Branchenriesen ein wichtiges Thema. „Wir wollen unabhängiger vom Erstausrüstungsgeschäft in der Automobilindustrie werden“, sagt ein Conti-Sprecher, weil es ein zyklisches Geschäft ist. Auch ZF setzt zusätzlich aufs Geschäft abseits der Autoindustrie – etwa mit Windkraftgetrieben. Und Zulieferer Bosch, der als Hersteller von Haushaltsgeräten, Elektrowerkzeugen, Heizungen oder beispielsweise Antrieben für die Fabrikautomation und E-Bikels schon seit Jahren in Branchen außerhalb der Autoindustrie erfolgreich ist, will langfristig ebenfalls unabhängiger vom Autozuliefergeschäft werden, das rund 60 Prozent zum Konzernumsatz beisteuert. Langfristig peilt man 50 Prozent an, auch wenn der Konzern einer der Treiber in Sachen E-Mobilität, autonomem Fahren und Vernetzung ist.

Wer künftig in der Automobilbranche eine Rolle spielen will, muss mehrgleisig fahren. Sowohl die Autohersteller als auch Zulieferer müssen ihr konventionelles Geschäft weiterbetreiben, das letztlich die neuen Aktivitäten finanziert. Gleichzeitig müssen sie all die notwendigen Geschäftsbereiche rund ums autonome Fahren – dazu gehören auch die Mobilitätsdienste aufbauen. „Da sehe ich für größere Zulieferer Chancen, indem sie Teile der Wertschöpfung übernehmen, die strategisch nicht mehr zum Portfolio der Autohersteller passen“. sagt Kalmbach.

Autozulieferer Mahle etwa, der nach wie vor stark am Verbrennungsmotor hängt, verfügt seit der Übernahme von Behr über viel Know-how im Thermomanagement und will auch in Sachen E-Antrieb und elektrische Nebenaggregate eine wichtige Rolle einnehmen – das reicht vom E-Bike über E-Scooter bis zu Arbeitsmaschinen, Lkw und Pkw.

Zulieferer werden massiv Gewinn verlieren

Dass bei einem möglichen Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 Hunderttausende Jobs auf der Kippe stehen, wie es in einer Ifo-Studie hieß, hält Kalmbach nicht für realistisch, „denn auch 2030 werden weltweit noch rund 80 Prozent der Fahrzeuge einen Verbrennungsmotor haben“, sagt er. Doch eines steht für ihn fest: „Die Zahl der Partnerschaften wird zunehmen, die Erträge werden massiv sinken“, sagt er und verweist auf Zahlen. Danach liegt der so genannte Profitpool weltweit in der Autoindustrie bei 330 Milliarden Euro. 2025 dürften es 470 Milliarden sein, 2030 etwa 540 Milliarden Euro. Die Hersteller haben derzeit einen Anteil von 40 Prozent, der wird bis 2030 auf 22 Prozent sinken, während Mobilitätsdienste, die derzeit nicht eingerechnet sind, 2030 rund 40 Prozent ausmachen werden. Die Zulieferer verlieren demnach massiv Gewinn – von derzeit rund 60 Prozent Anteil auf nur noch 14 bis 15 Prozent im Jahr 2030.

Mit Blick auf die Zukunft ist sich Kalmbach sicher: Es geht nicht mehr darum, ein Geschäftsmodell zu haben, bei dem ein Autohersteller Autos verkauft und den Rest machen andere für ihn. Vielmehr stellt ein Hersteller ein Auto zur Verfügung und managt den Betrieb des Fahrzeugs, damit der Umsätze generiert – eine Art Mobilitätsplattform. „Der Hersteller verdient bei allem, was über seine Plattform läuft“, beschreibt es Kalmbach. Das gehe nur mit Partnern, denn ein Unternehmen allein könne das nicht leisten. „Derjenige, der die fähigsten Partner hat und sie frühestmöglich an sich bindet, hat im Wettbewerb die Nase vorn“.