Deutschlands größte Sportlerin feiert ihren 50. Geburtstag. Dass Steffi Graf viel mehr ist, sah einer auf den ersten Blick. Eine Kolumne von Oskar Beck.

Stuttgart - Über Steffi Graf ist mit einem Satz alles gesagt: Deutschlands größte Sportlerin aller Zeiten wird am Freitag 50 – und ist immer noch mit dem ersten Mann verheiratet.

 

Der wusste schon, was er wollte.

Dabei war Andre Agassi seinerzeit einer der Jungs, die jede hätten kriegen können. Er war der Rockstar im Tenniszirkus, schon die Hollywoodschönheit Brooke Shields („Pretty Baby“) hatte er gekriegt und sie sogar geheiratet. Aus Versehen. Dann sah er Steffi, und schlagartig war er sich im Klaren über den Rest seines Lebens.

Die oder keine.

Ach, was hat der beste Tennisspieler der Welt nicht alles probiert, um die beste Tennisspielerin der Welt zu knacken. „Ich habe es versucht und versucht“, schildert Agassi den Kampf gegen die harte Nuss in seinen Memoiren. Einmal, sie hatten gerade gleichzeitig Wimbledon gewonnen, wartete er abends beim Bankett zitternd wie ein Konfirmand vor dem ersten Kuss auf den traditionellen Tanz des Siegerpaares. Doch der Stehblues fiel aus. Tanz abgesagt.

Lesen Sie hier: das sind die unglaublichen Rekorde der Steffi Graf

Oder beim Turnier in Key Biscayne, anno 99. Der Verliebte schickte seinen Trainer Brad Gilbert los, und der fragte Steffis Coach Heinz Günthardt, ob Andre ein bisschen mit ihr trainieren dürfe. „Sie will nicht“, sagte Günthardt. Agassi trottete trotzdem zum Trainingsplatz und notierte über den Empfang später untröstlich: „Sie sieht mich. Ich lächle. Sie nicht.“ Erst als Günthardt ihr gut zusprach, ließ sie sich erweichen. Sie schlugen ein paar Bälle. „Danke“, sagte Steffi danach zu Agassi. Goodbye.

Der Liebestolle schickte Blumen

Der Liebestolle schickte Blumen. Dann flog er nach Wimbledon und wusste: Der nächste Tag war ihr Geburtstag. 14. Juni 1999. Agassi sah die Speisekarte im Flugzeug, und das Deckblatt zeigte eine kleine Kirche im Mondschein. „Liebe Steffi, Happy Birthday“ schrieb er drauf. Anderntags drückte er ihr den Gruß in die Hand. „Wieso weißt du, dass ich Geburtstag habe?“, fragte sie mit wässrigen Augen. Er hatte gewonnen. Endlich. Im Tiebreak des fünften Satzes.

Bis zum Umfallen hat sich Andre Agassi ins Zeug gelegt, womit klar ist: Es ist keine Gewöhnliche, die da jetzt fünfzig wird.

Lesen Sie hier: Die Schlaglichter einer Jahrhundertkarriere

Alles hat sie gewonnen, und aus Platzgründen fangen wir mit dem Aufzählen gar nicht erst an. Man nannte sie „Fräulein Vorhand“ und „Gräfin Gnadenlos“, sie wurde zur Weltsportlerin gewählt, von der nordkoreanischen Post auf einer Briefmarke verewigt, und sogar Philosophen waren hingerissen. Walter Jens hat eingestanden, zu später Stunde einmal den Fernseher angeschaltet und ein Spiel von Steffi verfolgt zu haben, „ich hatte gerade einen Essay über Richard Wagner beendet“. Heimlich, munkeln Tübingens Dichterzirkel, habe Jens vor Verzückung anderntags einen Tennisball über die Anhängerkupplung gestülpt.

Wurde Steffi Graf je ausgepfiffen? Doch, ja, einmal, 16-jährig, beim Turnier in Filderstadt, anno 1985. Die Amerikanerin Pam Shriver war zu ausgekocht, und Steffi ramponierte genervt ihren Schläger, drosch Bälle weg und verlor. Im Hallencafé drehte Papa Graf hinterher durch. Der Schreiber hier saß mit Kollegen am Tisch daneben, und während Steffi still zuhörte, tobte Peter Graf über den Beschiss im eigenen Land und fragte: „Wie findet ihr das, wie man mit Steffi hier umspringt?“ Wir fanden es weniger schlimm als er, aber er spuckte Gift und Galle und fauchte: „Nie mehr spielen wir hier!“

„Steffi, dein Sohn muss Deutscher werden!“

Gottvater Graf.

Er tat viel Gutes für seine Tochter, ehe er dann zum Schwarzen Peter wurde. Er sorgte für Furore mit einem Nacktmodell namens Nicole, die Steuerhinterziehung folgte, aber wenigstens musste nicht auch noch Steffi mit ihm ins Gefängnis. Zum Bestseller wurde damals das Buch „Reiche Steffi, armes Kind“. Sie gab den Stoff her für jedes Gefühl, vom Mitleid bis zur Liebe. Waren wir nicht alle tennisverrückt? Es ließ nicht einmal nach, als Steffi Graf weg war, zurückgetreten, ausgewandert nach Las Vegas, der Liebe wegen. Bald kam von dort die elektrisierende Meldung über ihre erste Schwangerschaft, und die „Bild“-Jungs verlangten sofort balkenhoch: „Steffi, dein Sohn muss Deutscher werden!“ Mittels einer Fotomontage erfuhren wir sogar schon brühwarm, wie der ungeborene Wunderknabe ausschauen würde: Stirnband, die Augen und der Mund von Steffi, die Nase von Agassi. Offen blieb nur die Frage: Siegt der Bub eines Tages fürs Vaterland oder fürs Mutterland?

Heute wissen wir: Jaden Gil spielt Baseball, und auch seine Schwester Jaz Elle wird uns Wimbledon nicht gewinnen. Aber der Beliebtheit der Mutter tut das keinen Abbruch.

Sie hätte sich auf ihrem Ruhm als Jahrhundertereignis bequem ausruhen können: Ein bisschen moderieren, Talkshows bereisen und dem Herrgott gut honoriert die Zeit stehlen. Für andere alte Kanonen sind das Herausforderungen, die sie für den Rest ihres Lebens ausfüllen, doch Steffi Graf kümmert sich lieber mit ihrer Stiftung „Children for Tomorrow“ um die Menschenrechte traumatisierter Kinder in Krisengebieten, ohne es an die große Glocke zu hängen.

Steffi hat alles richtig gemacht

Das kriegen nur wenige fertig in dieser neuen Welt, in der die Schaumschläger dermaßen wie die Fettaugen auf der Suppe schwimmen, dass dem alten Sportsfreund Norman Mailer einmal für die Nachwelt die Blähung entfuhr: „Die Stillen haben heutzutage nicht die geringste Chance, ausgenommen auf dem Friedhof.“

Steffi lebt noch. Und kommt durch. „I did it my way“, hat in Las Vegas schon Frank Sinatra erfolgreich gesungen.

Nur im kleineren Kreis will sie feiern – und nicht beispielsweise im Rahmen eines rauschenden Festes im Belaggio, womöglich gekrönt von einer pompösen, öffentlich begehbaren Geburtstagstorte. Sie legt keinen Wert darauf, in bunten Blättern bewundert zu werden, mit denen sich ältere Damen beim Friseur das Warten auf ihre gusseiserne Dauerwelle verkürzen. Der Boulevard ist nicht ihr Pflaster, sie hält es da lieber mit Rosi Mittermaier – wann immer unserer königlich-bayrischen Skilegende der Trubel daheim auf der Winklmoosalm zu groß wurde, „bin ich halt hinten durchs Fenster ’naus und ab durch den Wald.“

Rosi und Steffi haben allerhand gemeinsam, auch die Goldene Sportpyramide. Die wird nur an die ganz Großen vergeben. Der erste Empfänger dieses Ritterschlags war Hans Günter Winkler – und der glorreiche Reiter hat das Erfolgsgeheimnis, das alle Geehrten verbindet, in den anspruchsvollen Satz gefasst: „Eine Operation an der Bandscheibe hat mich gezwungen, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.“