Arnulf Klett, Manfred Rommel, Wolfgang Schuster: Sie prägten als Stuttgarts Oberbürgermeister seit 1945 die Geschicke der Stadt. Was verbindet diese drei Politiker, was trennt sie? Gibt es Linien, wo sind Brüche? Eine Spurensuche.
Stuttgart - Wer dem scheidenden Oberbürgermeister Wolfgang Schuster in den vergangenen Wochen auf seiner Abschiedstour begegnet ist, hat einen erstaunlich entspannt und froh gestimmten Mann erlebt – so, als sei er am Ende einer 16 Jahre währenden Regentschaft, die am Wochenende endet, im Reinen mit sich und der lokalen Welt. Das ist erstaunlich, denn kaum zwei Jahre ist es her, dass sich die Stadt, „seine“ Stadt, im Ausnahmezustand befand. Diese Momentaufnahmen aus den letzten Amtsjahren haben sich eingebrannt in das kollektive Gedächtnis. Wenn die Rede auf die Ära des 63-jährigen Kommunalpolitikers kommt, sind sie unweigerlich da: Bilder von den Massenprotesten gegen einen Tiefbahnhof, die rund um den Globus gesendet wurden in jenem Sommer 2010, Bilder einer gespaltenen Stadt, die sich bis heute nicht erholt hat. Ausgerechnet die Schwabenmetropole ist „durch den Bierernst ins Gerede gekommen“, urteilte jüngst Schusters Münchner Kollege Christian Ude, der den Stuttgartern nichts sehnlicher wünscht, als dass alsbald „Rommels Geist der heiteren Gelassenheit, der Selbstironie und des Humors in ihrer Stadt wieder einziehen möge“.
Heitere Gelassenheit? Der Blick auf die Geschichte der drei Stuttgarter Nachkriegs-Oberbürgermeister lehrt unter anderem, dass es nicht nur während Schusters Ägide – das Wort von den „Wutbürgern“ machte die Runde – erhebliche Verwerfungen gegeben hat. Und es ist nur auf den ersten Blick eine Widersprüchlichkeit, dass sich der Protest ausgerechnet in einer vermeintlich eher betulichen Metropole harsch artikuliert, die wirtschaftlich so solide dasteht wie kaum eine andere in der Republik. Die Stadt selbst ist inzwischen praktisch schuldenfrei, die Zahl der Arbeitslosen ist vergleichsweise gering, und viele Dutzende von Baukränen drehen sich als ein Zeichen der Prosperität.
Stuttgart ist ein Trümmerfeld
Nachkriegs-OB: Arnulf KlettStZ
Klett hatte sich im Dritten Reich mutig gegen das nationalsozialistische Regime gestellt und zwei Monate Haft im KZ in Kauf genommen. Das prädestinierte ihn, zumindest in einem Übergang, die Geschicke der Stadt zu lenken. Der Übergang sollte 29 Jahre dauern – auch weil der parteilose OB sich als Initiator erwies, wie sich ein Weggefährte, Stuttgarts früherer Erster Bürgermeister Rolf Thieringer, erinnert. Das Wort „Wiederaufbau“ habe er nicht gemocht, er sprach vom „Neuaufbau“. Mit Tatkraft packte er die Aufgaben an. Vergessen ist, wie heftig in den 1950er Jahren über den richtigen Weg gestritten wurde zwischen jenen, die am Reißbrett eine neue Stadt konstruieren wollten, was hieß: eine autogerechte Stadt. Und anderen, die etwa für den Wiederaufbau des Neuen Schlosses oder des alten Rathauses plädierten. Klett schlug sich meist auf die eine Seite, unter anderem im Rathauszank. Er forderte einen „mutigen Schritt nach vorwärts“.
Der Mann mit dem Porsche als Dienstwagen erfreute sich großer Beliebtheit im Volk, dies trotz der politischen Kontroversen – und mancher Affäre. Belastet hatte den OB als Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Girokasse der „Bürkle-Skandal“. Dabei ging es um eine Millionenspende an einen befreundeten Unternehmer, der dennoch eine Pleite hinlegte. Später ermittelte die Justiz gegen Klett wegen passiver Bestechung. Zu seinem 50. Geburtstag und zehnten Dienstjubiläum hatte er allzu aufwendige Geschenke angenommen, beispielsweise von Daimler einen teuren Perserteppich.
Eine Zeit der Widersprüche
Der Rathauschef trotzte jedoch allen Rücktrittsforderungen. Die Bürgerschaft sah ihm die Eskapaden ohnehin nach. Gleich drei Mal wurde der Pfarrerssohn (wieder) gewählt. Er gab sich unbürokratisch und leutselig wie ein Bauernschultes. Das Wichtigste aber war wohl bei alledem: er gab den Menschen das Vertrauen in die Demokratie zurück, wie sein Nachnachfolger Wolfgang Schuster einmal betonte.
Es war die Wirtschaftswunderzeit, eine Zeit auch der Widersprüche, da die Jugend aufzubegehren begann: mit Protesten gegen den Krieg in Vietnam, gegen bürgerlichen Mief, gegen das Kapital. Wer über die Archive in die zweite Hälfte der 1960er Jahre eintaucht, staunt über die Bilder von Massendemonstrationen gegen den Bildungsnotstand und die Notstandsgesetze. Mit Sitzstreiks auf den Gleisen wurde in Stuttgart die Straßenbahn blockiert, rote Fahnen tauchten auf – auch Wasserwerfer der Polizei. Das US-Konsulat musste von der Polizei geschützt werden. Eine Stadt im Ausnahmezustand.
Die bundesweiten, unter anderem in Stuttgart besonders heftigen 68er-Turbulenzen und deren Folgen drängten Klett mehr und mehr in die Isolation. Die außerparlamentarische Opposition war ihm suspekt, Demonstrationen und die zunehmende Politisierung der Kommunalpolitik sah er „mit Misstrauen und Unverständnis“.
Nicht erst Schuster, schon Klett war jedenfalls mit einer speziellen und oft verkannten Stammeseigenschaft der Schwaben konfrontiert – mit deren historisch verbürgtem Hang zur Renitenz gegenüber Obrigkeiten und deren kritischem Geist.
Manfred Rommel übernimmt das Zepter
Diese Widerborstigkeit bekam auch Manfred Rommel früh zu spüren. Im August 1974 war Klett an Herzversagen verstorben – der 45-jährige Sohn des legendären „Wüstenfuchses“ beerbte ihn. Rommel übernahm eine Metropole, in der der milliardenschwere Bau der Stadt- und S-Bahn in vollem Gange war. Wegen der Dauerbuddelei im Talkessel – ganze Hauptverkehrsadern waren durch die Tunnelbauten förmlich lahmgelegt – hatte es ein Maulwurf im ehemaligen „Stutengarten“ zum neuen Wappentier gebracht. Außerdem mussten sich die Stadtplaner zunehmend an neue Partner gewöhnen: die Bürgerinitiativen. „Sie schossen aus dem Boden, wo immer ein Projektleiter seinen Meterstab aufklappte: auf der Prag und in Degerloch, für und gegen den Ausbau von Killesberg und Löwentorzentrum – und immer gegen Auto-, Bahn- und Flugverkehr“, hatte einst Martin Hohnecker analysiert, der frühere Lokalchef der Stuttgarter Zeitung.
Neustart mit OB Manfred Rommel.Foto: StZ
Rommel blieb 22 Jahre lang im Amt
Wie Klett – und später Schuster – haderte auch Rommel mit einer allzu breiten Bürgerbewegung, dies zumal, wenn in der Folge die Legitimation parlamentarischer Entscheidungen in Zweifel gezogen wurde. In der Amtsführung selbst aber erwies Rommel, insgesamt 22 Jahre lang in Amt und Würden, sich in vielen Punkten als regelrechter Gegenentwurf zu seinem Vorgänger: er war eher Moderator als Macher, persönliche Affären waren im abhold, Bescheidenheit war ihm eine Zier. Dabei war in den 1990er Jahren – im Zuge der Rezession – die Zahl seiner Kritiker in Wirtschaft und Politik deutlich gewachsen. Manche sehnten den Amtswechsel förmlich herbei.
Und doch erfreute sich Rommel unter den Bürgern großer Beliebtheit. Er zeichnete sich durch Klugheit und Witz, durch eine Geradlinigkeit und Klarheit aus, und er forderte den „Mut zur Wahrheit“. Unbillige Versprechen waren seine Sache nicht. Seinen Ruf als Versöhner und großer Liberaler prägten freilich konkrete Ereignisse: so als er sich 1977 ungeachtet eines großen Hasses in der Bevölkerung auf die RAF-Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Bader und Jan-Carl Raspe für deren Bestattung starkmachte. „Im Tod endet jede Feindschaft“, lautete sein Credo.
Solche Momente und weniger einzelne Bauprojekte sind es, die prägenden Eindruck hinterlassen: die Liederhalle, der umstrittene Fernsehturm, das Musical-Zentrum in Möhringen, die Landesmesse, das Kunstmuseum und die neue Stadtbibliothek – das sind Marksteine in Beton, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Kinder ihrer Zeit
Wolfgang Schuster übergibt sein Amt an Fritz Kuhn.Foto: Achim Zweygarth
In puncto Popularität steht Wolfgang Schuster im Schatten seiner Vorgänger, zu steif gerieten viele öffentliche Auftritte, zu frisch sind die Wunden, die der Streit über Stuttgart 21 geschlagen hat. Das muss den scheidenden OB nicht grämen, wie ein Wort des im Amt schwer an Parkinson erkrankten Manfred Rommel deutlich macht: „Wer jedermanns Liebling sein will, wird zu jedermanns Dackel.“ Und eines gilt auch: im Gegensatz zu seinen Vorgängern scheidet Schuster, so weit bekannt, gesund und munter aus dem Amt. Das ist von unschätzbarem Wert.
Stuttgarts OBs seit 1945
Arnulf Klett ist am 8. April 1905 in Stuttgart geboren und am 14. August 1974 auf der Bühlerhöhe im Schwarzwald gestorben. Er wuchs in Stuttgart auf und promovierte später als Jurist an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Der Rechtsanwalt, der sich in der Zeit der Nazidiktatur gegen das Hitlerregime gestellt hatte, wurde 1945 von den Franzosen als Oberbürgermeister eingesetzt, dann drei Mal vom Volk gewählt und amtierte bis zu seinem Tod. Klett wurde auf dem Waldfriedhof beigesetzt.
Manfred Rommel wurde 1928 in Stuttgart als Sohn des späteren Generalfeldmarschalls Erwin Rommel und dessen Frau Lucie geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften arbeitete er in der Landesverwaltung und wurde später Staatssekretär im Finanzministerium. Am 1. Dezember 1974 wurde Rommel als Nachfolger des verstorbenen Arnulf Klett zum Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart gewählt – und behielt dieses Amt bis 1996, als er aus Altersgründen ausschied.
Wolfgang Schuster ist am 5. September 1949 in Ulm geboren und dort als junger Mann schon in die Kommunalpolitik eingetreten. Schuster ist – wie seine Vorgänger – von Haus aus Jurist. Nach Stationen unter anderem als Kultur- und Sportbürgermeister in Stuttgart sowie als Rathauschef in Schwäbisch Gmünd trat er im Januar 1997 in Rommels Fußstapfen. Am heutigen Samstag wird er nach 16 Jahren im Amt mit einem großen Festakt verabschiedet