In den frühen Achtzigern brach eine besondere Frauenkrimiwelle los: Weibliche Heldinnen schlüpften in die Privatdetektivinnen-Rolle. Sue Grafton, die nun im Alter von 77 Jahren gestorben ist, hob den neuen Krimi mit aus der Taufe. Ihre Romane um Kinsey Millhone lohnen noch immer zu lesen.

Santa Teresa - Nun wird also auch diese Reihe nie an ihr Ende kommen. Die amerikanische Krimiautorin Sue Grafton, deren Romane um die Privatermittlerin Kinsey Millhone in ihren Titeln das Alphabet abarbeiteten, ist am 28. Dezember im Alter von 77 Jahren gestorben. Das Manuskript zum letzten Roman der Millhone-Serie, „Z is for Zero“, war da noch in Arbeit. Es werde kein Ghostwriter geheuert werden, um es zu beenden, ließ Graftons Tochter auf Facebook wissen. Ihre Mutter habe das nicht gewollt. „Was diese Familie anlangt, endet das Alphabet von nun an mit Y“, schrieb sie. Das dürfte ein letztes Wort sein, hat sich Sue Grafton doch, nach eigenen schlechten Erfahrungen als Drehbuchautorin noch vor ihrer Krimikarriere, stets auch gegen Verfilmungen oder Serienadaptionen ihrer Bücher gesperrt.

 

Grafton war Anfang der achtziger Jahre Teil eines erfrischenden Krimi-Aufbruchs: Autorinnen ließen Frauenfiguren in die klassische Rolle des Privatdetektivs, des Schnüfflers auf den Schattenseiten des amerikanischen Lebens schlüpfen. Einerseits war das eine Emanzipationsgeste. Andererseits brachten die starken Frauenfiguren ihren eigenen Ton und ihren eigenen Blick mit und waren nicht einfach die alten harten Jungs mit zusätzlichem Büstenhalter.

Mordfantasien als Inspiration

Der erste Millhone-Roman „A for Alibi“, erschien im Original 1982, im selben Jahr, in dem Sara Paretsky, Jahrgang 1947, mit „Indemnity Only“ (deutsch: „Schadenersatz“) ihre Reihe um die Chicagoer Detektivin V.I. Warshawski startete. Eigene Mordfantasien standen Pate für ihre Krimireihe, hat Sue Grafton bekannt. Sie steckte mitten in einem, bitteren. sechsjährigen Scheidungs- und Sorgerechtskrieg und träumte davon, ihren Ex-Mann um die Ecke zu bringen, als sie Kinsey Millhone erfand. Immer wieder haben Leserinnen der Bücher von Grafton, Paretsky und anderen nicht nur auf den Facebook-Seiten der Autorinnen berichtet, wie viel Mut ihnen die Krimiheldinnen gemacht hätten, sich selbst in einer noch immer männlich dominierten Welt zur Wehr zu setzen.

Kein plumper Racheengel

Nur ist Millhone eben keine plumpe Racheengel-Fantasie, sondern eine hart arbeitende Frau im Prekariat der kleinen Selbstständigen. In „A wie Alibi“ fährt sie einen beigen 68er VW-Käfer voller Beulen und mit schlecht eingestelltem Motor, haust in einer vollgestopften Ein-Zimmer-Wohnung und hat Aufträge wie den, einen Gehwegschaden für einen Versicherungsfall zu dokumentieren. Mitten in ihre ruhige Selbstvorstellung zu Romanbeginn streut sie die Information, sie habe vorgestern einen Mann getötet. Dieses groteske Herunterspielen ist kein Zeichen von Kaltschnäuzigkeit, sondern ganz im Gegenteil ein Beleg dafür, dass Millhone überhaupt nicht weiß, wie sie mit diesem Erlebnis umgehen soll. Das Ganze ist natürlich auch ein großartiger Trick von Grafton, um uns Leser an den Haken zu bekommen, aber tatsächlich ist der Kampf um Menschlichkeit, ums Empfindsambleiben, um den Schutz der eigenen, beständig attackierten Werte in einer zynischen Welt das prägende Element ihrer und mancher anderen guten Krimireihe.

Gelernt hat Sue Grafton von den Besten. Millhone lebt und arbeitet im fiktiven kalifornischen Örtchen Santa Teresa, das sich Grafton vom kanonischen Krimiklassiker Ross Macdonald ausgeliehen hat. Der ließ in einigen seiner Romane nicht das reale Sante Barbara, sondern eben Santa Teresa auftauchen, und Fragton füllte den Ort nun mit mehr Bürgern, Firmen, Schurken und Institutionen, als Macdonald je vorgehabt hatte. Auch das war kein Akt der Männerfresserei, sondern einen souveräne kollegiale Übernahme: Frauen behaupteten sich jetzt einfach da, wo Männer gewohnt waren, allein zu schalten und zu walten.

Stillstand in Santa Teresa

Ob Serienfiguren älter werden sollten, ob Romanwelten den Welten unserer Realität mitmachen sollten, darüber gehen die Meinungen auseinander. Krimiautorinnen betrifft diese Frage besonders, denn gemeinhin werden Krimis dafür gelobt, dass sie nahe dran sind an den Realitäten, den Verwerfungen, den Krisenzentren der Wirklichkeit, dass sie hinter den allgegenwärtigen Werbeglitzer schauen. Die am 24. Dezember 1940 in Louisville, Kentucky geborene Sue Grafton war die älteste der jungen Wilden der Detektivinnen-Welle, und sie bremste früher und härter als andere. Dass die Welt sich so wandelte, dass Privatdetektivinnen vom Schlage Millhones immer anachronistischer wurden, hat sie klar erkannt, und wohl auch in den eigenen Knochen gespürt, was man einer Heldin jenseits eines bestimmten Alters nicht unbedingt noch alles zumuten sollte. Also altert Kinsey Millhone nur wenig, in den Alphabet-Krimis brechen die Neunziger nie an. In ihrer Welt trägt man das Internet noch nicht in der Hosentasche mit sich herum.

Diese Zeitblase hat die Leserschaft gespalten: Viele schätzen gerade das Verlässliche und Vertraute, manche verloren das Interesse an der Alphabet-Reihe mit den Jahren. Die Millhone-Reihe porträtiert die Achtziger nicht schmeichelhafter, aber bei aller Taffness weicht sie eben manchem modernen Phänomen von vornherein aus. Was gerade noch harter, ungemütlicher Realitätsporträt-Krimi war, bekommt einen Zug von behaglichem literarischem Rückzugsort. Auch das Schnüffler-Genre – das trifft auch auf die Werke männlicher Kollegen zu – entlarvt da seine Verwandtschaft mit Agatha Christies Landhausromanen. Schlimm kann das aber nur finden, wer so verbohrt ist, der Literatur grundsätzlich das Recht absprechen zu wollen, uns anderswohin zu transportieren, wo wir uns aus welchen Gründen auch immer wohler fühlen als hier.