Im Alter von 76 Jahren ist Aretha Franklin, die Königin des Soul, gestorben. Ihre Musik war von großer Leichtigkeit und Kraft und lieferte den Soundtrack zur Bürgerrechtsbewegung der Sechziger.

New York - Herumflehen, der Himmel möge einen erhören, man habe da ein paar dringliche Anliegen, kann bekanntlich jeder. Die zu den Kronjuwelen des Soul gehörenden musikalischen Gebete Aretha Franklins sind von ganz anderem Kaliber: Von den ersten Tönen an lassen sie nicht Bitten von uns weg hinauf in die Höhe steigen. Ganz anders: Sie nehmen den Zuhörern die Erdenschwere und tragen sie hinauf in Sphären, wo sich Bitten höheren Mächten direkt vortragen lassen – mit bester Aussicht auf Erfolg, wie einem diese großartige Musik der Sechzigerjahre in beglückenden Zuversichtsschocks noch heute sofort vermittelt.

 

„Rock Steady“ heißt einer ihrer Klassiker aus dem Jahr 1967. Dessen hüpfende Funk-Basslinie wäre schon alleine eine Hitgarantie gewesen. Franklin aber hat souverän gegen den Bass akzentuiert und eine zweite Funk-Linie eingezogen, ohne dass das angestrengt klang. Mit sachtem Schweben des Zuhörers hat das nichts zu tun: Eher wird man von Supergirl unter den Armen gefasst und in Kurven und Loopings ohne jeden Zitterer und Wackler durch die Lüfte getragen.

Ansagen ans weiße Amerika

Es war diese trügerisch leicht klingende sängerische Meisterschaft, die in den Sechzigern jeden Text sprengte. Die es unmöglich erscheinen ließ, dass „Rock Steady“, auf Deutsch also „völlig unbeirrbar“, nur vom Groove der Band erzählen sollte. Es musste um viel mehr gehen: um eine große afroamerikanische Ansage ans weiße Amerika. Vielleicht sogar um die Ansage aller aufbruchwilligen Bürger an alle Verteidiger der bestehenden Verhältnisse.

Aretha Franklin, die am Donnerstag im Alter von 76 Jahren an Krebs gestorben ist, mochte von konkreten Beziehungen singen, konnte „Respect“ fordern, konnte unüberhörbar „Think“ mahnen. Aber es ging nie bloß um ein männliches Gegenüber. Wenn sie so glücklich vom Verliebtsein sang, dass auch heute bei „Say a little Prayer“ noch der miesgelaunteste Tropf zu lächeln beginnt, dann wird da eine Zuversicht weit über schmusige Zweisamkeit hinaus formuliert.

Alles scheint erreichbar

In Franklins Musik der späten Sechziger leuchtet Ton um Ton eine bessere Zukunft auf. In der Eleganz und Geschmeidigkeit dieser Stimme sind die bestehenden Verhältnisse bereits im nicht mehr umkehrbaren Fluss. Franklins Soul war Teil der Bürgerrechtsbewegung, und es gibt Fotos von Franklin mit Martin Luther King, auf denen der große Wortführer der Afroamerikaner so entspannt dreinblickt wie selten. Mehr als einmal ist das kommentiert worden: King konnte zwar mit aller Wucht einer Kirchenpredigt von seinem Traum der Gleichberechtigung erzählen. Aber in Franklins Musik entfaltete sich ein unverkrampftes, stolzes Selbstbewusstsein, als schalle sie aus der Zukunft herüber, als bürge sie für die Erreichbarkeit der Ziele.

Wie viele Soul-Künstler kam Franklin von der Kirchenmusik. Die am 25. März 1942 in Memphis, Tennessee geborene Tochter eines Wanderpredigers und einer Gospelsängerin fiel früh als Stimmwunder auf. So hymnisch sie jedoch im Kreis der pfingstlerisch verzückten jubilieren konnte, sie brachte mit vierzehn Jahren ihr erstes uneheliches Kind zur Welt. Sie kannte andere Sphären als die der Frömmigkeit. Dass sie sich mit achtzehn Jahren endgültig für die weltliche Karriere entschied, war kein mit Selbstbeschwichtigungen gespickter Griff nach den dickeren Schecks. Da war wohl noch etwas anderes am Werk, der Versuch, die Sphären der rauschhaften Erlösungsgewissheit und der irdischen Kämpfe zu verbinden. Die Beglückung, die aus Arethas Kehle strömte, gehörte dahin, wo die Bedrückung sich im Alltag einnistete.

Die Initialzündung

Doch so tief verwoben in die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts uns Aretha Franklins Musik heute erscheint: Vorherbestimmt war hier gar nichts. Zwar brachte das potente Label Columbia in den frühen Sechzigern Album um Album mit ihr auf den Markt. Aber auf denen loderten keine Flammen, da glomm allenfalls ein „Bitte nicht stolpern“-Nachtlicht. Beinahe wäre eine Urgewalt im Milieu dezenten, kompetenten Erwachsenen-Jazzpops von vorgestern untergegangen.

Aber dann wechselte Franklin zum viel kleineren Label Atlantic, das in den Jahren zuvor Ray Charles und Bobby Darin an die Konkurrenz verloren hatte und als Firma im Sinkflug galt. Hier ereignete sich eine jener musikalischen Initialzündungen, die Popgeschichte wie ein Mythenreich göttlicher Einmischungskapriolen wirken lassen. Bei Atlantic trifft Franklin auf den weißen Produzenten Jerry Wexler. Der schleift die Großstädterin 1967 ins Hinterwäldlerkaff Muscle Shoals, Alabama, wo eine Band weißer Provinzmusiker, wie Wexler spitz bekommen hat, den erdigsten, schwärzesten Sound des Landes hinlegt. Hier platzt, als sei das Ende einer Verpuppungsphase erreicht, eine ganz neue Aretha hervor.

In der Sackgasse

Eine lange Folge großartiger LPs entsteht, „I never loved a Man the Way I love you“, „Lady Soul“, „Aretha now“ und „Young, gifted and black“ etwa. Deren für mehrere Großkarrieren reichende Kraft, Witz, Gefühlstiefe könnte genügen, einen über anderes schweigen zu lassen: darüber, dass Franklin nach einem neuerlichen Labelwechsel ihren Kurs verlor. Dass sich ihre späteren Platten zwischen dem ganz Netten und der deprimierenden Talentverschwendung bewegten. Aber diese lang anhaltende Orientierungslosigkeit war eben die logische Folge der politischen Verknüpfung ihrer besten Werke. Ein in diesen Liedern scheinbar schon eingelöstes Versprechen war doch noch geplatzt. Arethas spätere Musik lässt ahnen, dass ein Aufbruch in der Sackgasse gelandet war, dass neu angesetzt werden musste: mit der Black-Lives-matter-Bewegung etwa.