Als junge deutsche Comic-Leser in den Neunzigern japanische Mangas verschlangen, begriffen die älteren den Reiz der Werke aus Japan nicht. Bis sie die Werke von Jiro Taniguchi entdeckten. Nun ist der Meister des sensiblen, erwachsenen Erzählens im Alter von 69 Jahren gestorben.

Stuttgart - Als 1996 mit der Übersetzung von „Dragonballs“ auch in Deutschland unter Jugendlichen die große Begeisterung für japanische Comics, für die Mangas, losbrach, standen viele ältere Comicfans ratlos abseits. Ihnen, den meist auf frankobelgische Comics und die „Ligne claire“ Eingeschworenen, sagten die von hinten nach vorne, von rechts nach links zu lesenden Mangas wenig, ein Generationenbruch war da. Bis sie Jiro Taniguchis Werk entdeckten.

 

Taniguchis Geschichten waren ganz und gar japanisch, oft schienen sie europäischen Lesern auch in sachten Alltagsbeschreibungen faszinierend exotisch. Doch ihre aufgeräumteren Bilder, ruhigeren Sequenzen, erwachseneren Themen – Taniguchi war nämlich stark von europäischen Comic-Künstlern, vor allem von Moëbius, beeinflusst - machten den Zugang zu diesen Erzählungen leicht. Jiro Taniguchi, der am 11. Februar im Alter von 69 Jahren in Tokio gestorben ist, wurde zum Fremdenführer für Japan-Muffel, zum Türöffner der Europäer ins Reich der Mangas. Sein 2007 auf Deutsch erschienenes Schlüsselwerk „Vertraute Fremde“ wurde in Deutschland als „Comic des Jahres“ prämiert und erhielt beim Comic-Salon Erlangen den Max-und-Moritz-Preis als „Bester Comic“. Beides war zuvor noch keinem anderen Manga widerfahren.

In Europa Exot, in Japan ein Westler

Damit wiederholte sich ab den Neunzigern auf dem Feld des Comics das, was ein halbes Jahrhundert zuvor im Kino passiert war. Westliche Cineasten bestaunten damals die Filme des großen Akira Kurosawa wie „Die sieben Samurai“ (1954) mit Toshiro Mifune als Inbegriff des für sie neuen japanischen Kinos. Zuhause in Japan aber galt Kurosawa als stark verwestlichter Filmemacher, was manchmal nicht als Stileinschätzung, sondern als Verdammung ausgesprochen wurde.

Taniguchi waren nationale stilistische Reinheitsideen von Fanatikern völlig egal. Auf den Bestsellerlisten für Mangas tauchten seine sensiblen Großwerke wie „Die Sicht der Dinge“, „Der Gourmet“ und „Der spazierende Mann“ allerdings kaum auf. Der 1947 im japanischen Tottori Geborene hatte sich sehr bewusst dafür entschieden, die Moden und Bedürfnisse des Massenmarktes zu ignorieren und seine eigenen Geschichten zu erzählen. Wer neugierig ist auf Mangas, aber die auf den Hinguck-Plätzen der Comic-Ecken liegenden Teenie-Serien wenig ansprechend findet, sollte Taniguchis Werk eine Chance geben. Es wird noch sehr lange als Brücke zwischen den Kulturen dienen.