Thomas Löffelholz war mit Stil und Haltung jahrzehntelang der prägende Journalist der StZ: zuerst als Korrespondent in Brüssel und Bonn, dann als Chefredakteur

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Wer sein Büro betrat, sah, rechter Hand, immer zuerst eine Kaffeetasse. Links ein Aquarium mit allerlei Zierfischen. Ferner eine Ledersitzgruppe, jede Menge Bücher und den Schreibtisch. Dahinter Doktor Thomas Löffelholz (der „Lö“, wie wir ihn, seinem bescheidenen Kürzel nach, riefen). Tauchte er am Wochenende bisweilen einmal nicht im Anzug auf, kam er einem wie verkleidet vor: Zum Hemd, vorzugsweise hellblau, gehörte bei ihm eine Fliege, vorzugsweise gepunktet und bunt. Nie zu bunt. Von Anfang hatte man in dieser Umgebung, die einen nicht von ungefähr an das Studierzimmer von Theodor Heuss in dessen Wohnhaus am Stuttgarter Killesberg erinnern mochte (minus Zigarrenqualm), Respekt: Hier wurde, das merkte man gleich, gedacht, erwogen – und entschieden nur nach reiflicher Überlegung, niemals nach Marktlage oder im Meinungsstrom.

 

Andererseits fühlte man sich, selbst als Jungredakteur, Ende der 80er Jahre, nicht eingeschüchtert durch das Interieur und den Vorgesetzten. Das hatte damit zu tun, dass einen Thomas Löffelholz, hatte man sein Anfangsvertrauen, behandelte, wie ein Mensch einen Menschen trotz Rangunterschied behandeln sollte: nicht nachlässig, von oben herab oder altersjovial, sondern interessiert, neugierig, offen. Und schon begannen in seinem schlauen Fuchsgesicht die flinken Augen zu leuchten. Nichts tat er lieber als: denken, reden und schreiben – genau in dieser Reihenfolge. Und es war oft ein Privileg, wenn man beim Verfertigen seiner Gedanken dabei sein durfte.

Augenmaß war Löffelholz’ erstes Anliegen als Journalist

Thomas Löffelholz hatte, um es mit einem seiner Lieblingsbegriffe zu sagen, Charakter, dazu Haltung und Stil, im Leben wie auf dem Papier. Dabei wollte ihm, geboren 1932 in Wiesbaden, nach dreizehn kriegsbedingten Schulwechseln sein letzter Aschaffenburger Deutschlehrer, Dr. Wagner, keinerlei Hoffnungen machen, es könne mit dem von Löffelholz ursprünglich angestrebten Germanistikstudium etwas werden. Den Abituraufsatz benotete Wagner mit „Mangelhaft“. Löffelholz entschied sich für die Juristerei und Nationalökonomie; Staatsexamen und Volkswirtdiplom in Marburg. Später promovierte er noch, nicht von ungefähr, über die „Rechtsphilosophie des Pragmatismus“, eine Blickrichtung, die er beibehalten sollte.

Dass man den Dingen des Lebens, wie verwickelt sie wirtschaftlich, politisch oder gesellschaftlich auch sein mochten, „mit Augenmaß“ begegne, war Löffelholz‘ erstes Anliegen als Journalist (aber eben auch als Mensch). Und wehe, man verlor dieses Augenmaß – überhöhte sich unstatthaft, wurde arrogant oder gar verletzend der in Rede stehenden Person respektive dem Publikum gegenüber. Dann drohte ein Donnerwetter, und Thomas Löffelholz, ein Mann, der nie die Fassung verlor, ließ die Innenhand flach auf den Konferenztisch klatschen, um, im alleräußersten Fall, solche Attitüden als „schurkisch“ zu bezeichnen. Und gegen schurkisches Verhalten, in der Welt wie in der Redaktion, ging er vor. Oh ja, er konnte grollen!

Für sein Lebenswerk bekam er 1998 den Theodor-Wolff-Preis

Im Grunde seines Wesens aber hatte er, als Inkarnation dessen, was man sich unter einem wirklich liberalen Menschen vorstellen muss, ein ausgleichendes Temperament und eher eine Lösung im Auge als eine Problemverschärfung im Sinn. Umwelteinflüsse taten beim Schreiben im Übrigen nichts zur Sache. Gerne erzählte er, dass in seinen Brüsseler Korrespondententagen die drei Kinder einige Mal bei der Abfassung von Leitartikeln durchs Büro getobt seien, so sie nicht vorher von seiner klugen, sorgsamen Frau eingefangen worden waren. Dem Bericht, der Reportage, dem Essay oder dem Kommentar indes sah man hinterher rein gar nichts von vorherigen häuslichen Kleinquerelen oder geistigen Umwegen an.

Was Thomas Löffelholz schrieb, war, obwohl man ihm ausdrücklich dreinreden durfte, nicht mehr verbesserungswürdig. So war es vollkommen schlüssig, als die Jury des Theodor-Wolff-Preises bei der Verleihung für Löffelholz‘ Lebenswerk 1998 notierte, seine Artikel seien ein Genuss „durch die Klarheit, durch sachlich abgesicherte Argumente auf den Grundlagen eines gesunden Menschenverstandes sowie einer hohen Allgemeinbildung. Demokratische und freiheitliche Überzeugungen veranlassen Löffelholz, politische Irrwege nach links und rechts unmissverständlich mit Argumenten zu versperren.“

Als Chefredakteur stellte er die StZ als erste deutsche Zeitung auf Computerproduktion um

Dem wäre wenig hinzuzufügen, außer, dass der Gelobte kritisiert hätte, es tauche zu bald wieder das Wort „Argumente“ im Text auf. Lässliche Fehler entschuldigte er ansonsten gleichwohl. Und er konnte loben. Wer kann das schon? Angefangen hatte Löffelholz 1959 in der Wirtschaftsredaktion der Stuttgarter Zeitung, zu einer Zeit, als das Blatt noch maßgeblich geprägt wurde vom Chefredakteur und Gründungsverleger Josef Eberle. Für fast ein Jahrzehnt schickte die stolze StZ Löffelholz von 1964 an nach Brüssel als EWG- und Nato-Korrespondent. Ebenso lang leitete er hernach das Bonner Parlamentsbüro (wo er unter anderem dem Deutschen Presseclub vorstand), ehe er 1983 in Stuttgart im zweiten Stock des Pressehauses das Chefredakteurszimmer bezog. Mit Aquarium.

Dort musste er – die Stuttgarter Zeitung war die erste in der Bundesrepublik, die auf Computerproduktion umgestellt hatte – sich einem technischen Wandel stellen, der stattfand „mit einer in der Geschichte der Menschheit nie gekannten Geschwindigkeit“, wie Löffelholz in einem Feuilleton 1985 zu bedenken gab. Inhaltlich ist dies, trotz wiederholter Geschwindigkeitserhöhungen im Umbruch, bedenkenswert: Was der Mensch sei, folgerte (und forderte) Löffelholz, sage ihm die Historie, denn obwohl die Werkzeuge sich rapide veränderten, dürfe das Bewusstsein dennoch niemals auf die Tradition und die Überlegungen Altvorderer verzichten: „Menschliche Gesellschaften und Institutionen sind komplizierte Organismen, über deren Entwicklung man viel wissen sollte, ehe man sich auf den Weg nach Utopia macht. Das ist die Stunde der Geschichte. Sie kann für Augenmaß in unserem Handeln sorgen.“ Da war und ist er wieder, der Begriff: Augenmaß. Man hätte schlechtere Maximen haben können. Könnte schlechtere haben.

Ohne eine Sache von mindestens zwei Seiten zu betrachten, mochte er nicht arbeiten

In diesem Zusammenhang wäre an eine andere, ja vielleicht die Löffelholzsche Redewendung überhaupt zu erinnern. Sie lautete: „Sie müssen natürlich sehen… (es folgte eine drei Punkte-Pause, während der Gesprächspartner eine Sekunde Zeit hatte, seine Argumente zu sortieren). Kurzum: ohne eine Sache nicht mindestens von zwei Seiten betrachtet zu haben, mochte der Dialektiker Löffelholz nicht arbeiten. Das verkomplizierte die Lösung relativ einfacher Sachverhalte, aber Stil ist nun mal Stil – und so war der seine. Man konnte, um das Mindeste zu sagen, viel, sehr viel von Thomas Löffelholz lernen. Vor allen Dingen, nicht den Kopf zu verlieren.

Als ihm 1984 in Bonn der Ludwig-Erhard-Preis verliehen wurde, hielt Löffelholz, der es im Zweifelsfall mit dem Positiven einer Sache hielt, ein „streitlustiges Plädoyer wider die Furchtsamen“. Was für ihn nicht hieß, alles für den Markt möglich zu machen, aber ein Technikvertrauen hatte er nun mal und hoffte, dass sich die Industriegesellschaft verantwortlich und verantwortungsvoll zeigen möge. Als dies (nur ein Beispiel: Tschernobyl, 1986) ganz offensichtlich nicht der Fall war, zeigte sich Löffelholz als einer der ersten nachdenklich und bereit zum Umdenken.

Ende der 70er Jahre programmierte er daheim mit dem Computer

Eines jedoch wollte er dem Menschen niemals absprechen: seine Phantasie – das Vermögen zur Selbstheilung, den Willen zum Umdenken. So sah „Lö“, als Programmierer daheim mit dem Computer bereits Ende der 70er auf Du, zwar deutlich, dass der „Bruder ohne Charakter“, wie er in einem schönen Porträt schrieb, unser Leben massiv verändern werde. Allerdings gab er anlassgemäß zu bedenken, welch zentrale Funktion der denkende Mensch gegenüber dem Gerät habe: „Stopft man oben Quatsch hinein, kommt auch unten nur Quatsch heraus.“ Hätte man das besser sagen können? Löffelholz, stets ein Appellierender, endete mit einem für ihn typischen Schluss: „Ein schöner Trost. Oder?“

Als er 63 Jahre alt war, eröffnete sich Mitte der neunziger Jahre noch einmal ein Angebot, das Löffelholz nach langen Überlegungen dann doch nicht ausschlagen mochte: die Berliner „Welt“ wollte sich einen liberalen Anstrich verschaffen und engagierte ihn. Reizvoll fand er, bereits in der Hauptstadt zu sein, bevor die Politik aus Bonn nachkäme. Tatsächlich hat Thomas Löffelholz in den drei Jahren seiner Amtszeit dem Blatt einen ihm eigenen Dreh gegeben. Es wurde ernsthaft diskutiert und es wurden ein paar reaktionäre Blaupausen fallen gelassen, zudem ein paar Werte höher gehalten, die ihm wichtig waren: Unabhängigkeit zum einen, Bindung an die (und Verständnis für die) Leser zum Anderen. Mehr an Löffelholzliberalismus war dem Blatt dann aber doch nicht beizubringen. So wurde er ein noch besserer Großvater als er, berufsbedingt, Vater hatte sein können, tauchte aber für lange Jahre immer noch auf in allen Zirkeln, in denen seriös beredet wurde, was die Berliner Republik ausmachen können solle. Da er kein nostalgischer Mensch war, sondern stets an Neuigkeiten und Entwicklungen interessiert, wurde das nicht lästig, wie manchmal mit Veteranen der Publizistik, sondern blieb interessant und fordernd.

Der Journalismus und die Stuttgarter Zeitung im Besonderen verliert, da Thomas Löffelholz nun im Alter von 85 Jahren in Königswinter, gestorben ist, mehr als nur einen der großen, unbestechlichen Männer in diesem Gewerbe. Wir verlieren ein Vorbild. Dass er dies war und bleibt, darin liegt auch ein schöner Trost. Ohne Oder.