Fast jeder kennt den Film „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, das höllische Ehedrama mit Richard Burton und Elizabeth Taylor in den Hauptrollen. Er schuf die Vorlage dazu: Edward Albee. Nun ist der berühmte US-Autor in Montauk bei New York gestorben.

New York - Der Titel „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ dürfte bekannter sein als der dreißig Jahre ältere Song „Who’s Afraid of the Big Bad Wolf“, den er persifliert, oder erst recht als der Name des Autors, der ihn erfunden hat. Dabei ist Edward Albee wohl der bedeutendste amerikanische Dramatiker aus der Generation nach Tennessee Williams und Arthur Miller. Er ist der einzige namhafte US-Autor, der regelmäßig im Zusammenhang mit dem Theater des Absurden genannt wird.

 

Diese Zuordnung trifft freilich nicht das Wesen von Albees Gesamtwerk. Mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ hat er, in der Nachfolge von August Strindberg, das hundertfach – zuletzt durch „August: Osage County“ von Tracy Letts – kopierte, aber niemals übertroffene Modell für die Ehehölle auf der Bühne geschaffen. Und zugleich ein Schauspielerstück par excellence, um dessen vier Rollen sich die berühmtesten und begabtesten Darsteller in aller Herren Länder reißen. In der Verfilmung waren es keine Geringeren als Elizabeth Taylor, Richard Burton, George Segal und Sandy Dennis, die einander einen psychischen Vernichtungskrieg lieferten. Dieser Film von Mike Nichols ist fünfzig Jahre alt. Es ist bemerkenswert, dass es kein Remake gibt, wo doch eigentlich jeder Schmarren neu verfilmt wird. Offenbar traut sich niemand zu, die Stars von 1966 überbieten zu können.

Auf der Bühne aber scheint „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ unsterblich. In der eben angelaufenen Spielzeit wird das Stück unter anderem am Münchner Residenztheater Premiere feiern, in Stuttgart nimmt das Theater der Altstadt am 9. November seine Inszenierung wieder auf. Es ist übrigens interessant, dass Martin und Alissa Walser nach der über Jahre hinweg gespielten Übersetzung von Pinkas Braun eine Neuübersetzung unternommen haben: Martin Walser selbst hat mit seiner „Zimmerschlacht“ zugleich mit Edward Albee ein verblüffend ähnliches Stück geschrieben.

Das frühe Stück „Die Zoogeschichte“ wurde in Deutschland uraufgeführt

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ ist das bei weitem bekannteste Stück von Albee, aber es wäre verfehlt, würde man den Dramatiker, der am vergangenen Freitag im Alter von 88 Jahren in dem hierzulande durch Max Frisch bekannten Ort Montauk im Bundesstaat New York gestorben ist, darauf reduzieren. Schon vier Jahre vor der Uraufführung des Ehekriegsdramas, 1958, hat Albee Aufsehen erregt mit seinem Einakter „Die Zoogeschichte“, der allerdings nicht in den USA, sondern in Deutschland, am Berliner Schillertheater zusammen mit „Das letzte Band“ von Samuel Beckett, uraufgeführt wurde. Ihm verdankt er die Aufnahme in die Riege der „absurden“ Dramatiker neben Beckett, Ionesco, Pinter, Adamov oder Mrozek.

Zu den letzten internationalen Erfolgen gehörte „Die Ziege oder Wer ist Sylvia?“, bei deren deutschsprachiger Erstaufführung am Burgtheater im Jahr 2004, vier Jahre nach der Entstehung und zwei Jahre nach der amerikanischen Uraufführung, Andrea Breth die Regie führte. An Beckett wird man bei Albees späteren Stücken wohl nicht mehr denken, aber auch sie entziehen sich einer rationalen Wirklichkeitswahrnehmung, wie sie der übliche Fernsehnaturalismus fördert. Zugleich zehren sie von psychologischen und soziologischen Einsichten und setzen sich mit biografischen Erfahrungen wie etwa mit Albees eigener Homosexualität auseinander.

Ähnlich wie Woody Allen hat sich Edward Albee in Europa besser verstanden gefühlt als in seiner Heimat. 1991 verriet er der „Times“ in einem Interview: „Vielleicht bin ich ein europäischer Dramatiker und weiß es nicht. Sehen Sie sich doch nur die Dramatiker an, die jetzt am Broadway nicht gespielt werden: Sophokles, Aristophanes, Shakespeare, Marlowe, Molière, Ibsen, Tschechov, Pirandello, Beckett, Genet. Nicht einer von ihnen.“ Und in einer amerikanischen Talkshow bemerkte Albee: „Wenn Sie 100 Dollar oder mehr ausgeben, um ins Theater zu gehen, sollte etwas mit Ihnen geschehen. Vielleicht sollte Ihnen jemand ein paar Fragen über Ihre Werte oder über Ihre Denkgewohnheiten stellen, und vielleicht sollten sie aus dem Theater herauskommen, wo etwas mit Ihnen geschehen ist. Vielleicht sollten Sie sich ändern oder an eine Änderung denken. Aber wenn Sie dort hin gehen und sich einzig und allein darüber Sorgen machen, wo Sie das verdammte Auto stehen gelassen haben, dann haben Sie die 100 Dollar vergeudet.“

Die Zeitgenossen fanden „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zu vulgär für einen Preis

Insgesamt hat Albee rund dreißig Theaterstücke geschrieben. Er sagte vor ein paar Jahren über sich selbst: „Ich bin sowohl überschätzt wie unterschätzt worden. Ich nehme an, es wird sich, bis ich aufhöre zu schreiben – und ich habe die Absicht, weiterzuschreiben bis ich neunzig bin oder gaga –, alles ausgleichen. Man darf sich nicht mit den Wechselfällen der Mode oder der kritischen Reaktion einlassen.“

Neunzig ist er nicht geworden. Nicht die Wechselfälle der Mode, sondern, wie es scheint, die Folgen der Diabetes haben ihm verweigert, seine Absicht wahr zu machen. Edward Albee wurde am 12. März 1928 in Washington, D.C., geboren und zwei Wochen nach seiner Geburt adoptiert. Er ist im Theatermilieu aufgewachsen, unstet und von seinen Adoptiveltern emotional vernachlässigt, aber mit einer frühzeitigen Hinwendung zur Bühne. Ein Studium am Trinity College in Hartford, Connecticut, hat er abgebrochen.

Das hat nicht verhindert, dass er, nach Jahren in Greenwich Village, zahllose Preise, darunter mehrere Pulitzer Preise und Tony Awards, erhalten hat. Dass ihm der Pulitzer Preis für „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ seinerzeit wegen angeblicher Vulgarität verweigert wurde, gehört zu den Treppenwitzen der Literaturgeschichte und könnte einem Gelassenheit nahe legen gegenüber heutigen Fehlurteilen. Jetzt hat auch das Leben des großen Dramatikers sein Ende gefunden.