Gerhard Woyda, der Gründer und langjährige Leiter des Stuttgarter Renitenztheaters, ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Er hat die Kabarettbühne zu einer Institution der bundesdeutschen Kleinkunstszene gemacht.

Stuttgart - Unsereiner blickt zurück auf eine Zeit. Gerhard Woyda, der sich jetzt hochbetagt aus dieser Zeit verabschiedet hat, konnte zuletzt aber sagen, er habe Zeiten erlebt. Die Deutschen heute lachen anders – und über anderes – als ehedem. Ihre Vorstellung davon, was Amüsement und Unterhaltungskunst sei, hat sich gewandelt, mehrfach. Manieren, Schicklichkeit, die Einstellung zu Spott, Satire, Fairness und Correctness: ganze Lebenslüste und Unlüste scheinen entschwunden, neue traten ungeniert an ihre Stelle.

 

Ein Schraubenfabrikant blickt allenfalls zurück auf die Zeit, als der Kreuzschlitz noch nicht erfunden war. Dem Brettl-Impresario offenbaren sich wahre Fluchten wechselnder Zeiten, auf seinem Bühnchen erlebte er juxtolles Pirouettieren und sackgrobe Politpolterei, Klagelied und Klamauk, Verschämtes und Unverschämtes. Gerhard Woyda aber war nicht nur ein Zeitenzeuge, er hat auch Zeiten mitgestaltet – frischfröhlichfrech, erfüllt von einer Schaffenslust, die sich bis übers neunzigste Lebensjahr hinaus nicht erschöpfte.

Nur physisch traten Schmälerungen ein. Doch je kleiner er wurde, desto größer ist er geworden. Durchscheinend grazil und zerbrechlich, ein knieschwaches Herrlein mit allerdings ungemein leuchtenden Augen - so stand er noch im vorletzten April neunzigjährig auf der Bühne, bemüht, den Beifallsstürmen in „seinem“ Renitenztheater artig zu trotzen. Gemeinsam mit Mathias Richling hatte er da einen valentinesken Gala-Autritt bestritten, er und dieser Irrwisch Richling: Alt und Jung als Nonsens-Dioskurenpaar, schwankend händchenhaltend vereint hinterm Piano. Und Gerhard Woyda lächelte fein und fragil auf seine hauchzarte Weise und genoss den Triumph. Seine Größe: im Gejohl und Getrampel des Publikums war sie wieder einmal erkennbar geworden.

Das Ende einer Ära

Jeder von uns wird, wenn er dereinst verschwindet, ein Zeitzeuge gewesen sein, aber die Wenigsten werden behaupten können, dass mit ihnen gleich eine Ära dahingeht. Tatsächlich schließt sich mit Gerhard Woyda ein ganzes Kapitel der deutschen Kleinkunstgeschichte: Die Zeit der Ensemble-Kabaretts, der Impresarios mit ihren fixen „Hausprogrammen“ neigt sich dem Ende zu. Von den Berliner Stachelschweinen bis zur Münchner Lach- und Schießgesellschaft, von der Leipziger Pfeffermühle bis zum Düsseldorfer Kom(m)ödchen: lauter mehr oder minder tote Satirebriefkästen, nirgendwo Etablissements mit fest angestellten Spöttertruppen, jahrüberdauernd eingespielt auf Hohntiraden mit verteilten Rollen, gar noch gereimt, gar noch choreografiert in neckischen Tänzchen zu allerliebstem Geklimper. Das, was Gerhard Woyda am Herzen lag, was ihn, was er groß gemacht hat, gibt’s gar nicht mehr.

Vorbei die Tage der Nummernprogramme, vorbei die Tingeltangelei des Cabarets zwischen Plüsch und Pleureusen, vorbei aber auch die Agit-Theatralik des politischen Kabaretts, das aus dem Souterrain zum Umsturz aufrief. Heute gehört die Szene ganz anderen Köpfen, vazierenden Comedians, deren Auftritte Sendeleiter bewachen – in Studios, welche nur allzu oft einer Fernsehanstalt gehören. Dieses Gewusel bleibt uns noch lange erhalten.

Ohne den Mann hätte Stuttgart jahrzehntelang wenig zu lachen und überhaupt nichts zu spotten gehabt. Erst Woydas kabarettistischer Im- und Export machte das Leben im Kessel erträglich, das vergisst ihm hier niemand. Die Schwaben lernten in der „Renitenz“ das Grinsen, das Schmunzeln, das Auflachen – und am Ende sogar das Johlen. Ja, bei aller persönlichen Leichtigkeit: Woyda wurde sehr rasch eine gewichtige Größe im deutschen Kleinkunstgeschäft. Er, der einst beim Studentenkabarett der „Amnestierten“ auf den Geschmack am pointierten Stänkern gekommen war, hatte den Genius loci flanierend unweit vom Stuttgarter Schlossplatz entdeckt und beschlossen, dortselbst, im ersten Stock der Königstraße 17, ein kabarettistisches Theaterchen zu gründen: das Kleine Renitenz-Theater. Anno 1961.

Für Stuttgart ein Glücksfall. Tatsächlich, die deutsche Kabarettszene hatte wenige Etablissements dieser Art, und noch weniger hatte sie Chefs, welche die großen und die kleinen Kleinkünstler so unentwegt an sich zu binden verstanden wie Woyda – sehr zum Vorteil des hiesigen Publikums, dem im letzten halben Jahrhundert kaum ein jokoses Spektakel der deutschen Spott-und-Jux-Geschichte entging, weder die grelle Paukenhauerei des Wolfgang Neuss noch der Wiener Schmäh des Helmut Qualtinger, weder Helen Vitas gesäuselte Laszivitäten noch die makabren Meckersongs des Georg Kreisler, nicht Gert Fröbes verschmitzte Grimassierlust und nicht die Parodierbegabung eines Mathias Richling, der im Renitenz-Theater allererst seine Karriere begann wie so viele, darunter Otto Waalkes, Margot Werner, der parodistische Kraftkerl Thomas Freitag und auch Tim Fischer.

Alle großen Namen waren bei ihm zu Gast

Zählte man alle auf, von Hana Hegerova bis Gisela May, von Harald Juhnke bis Vico Torriani, von Konstantin Wecker bis Jürgen von Manger und Robert Kreis – alle, die je bei Woyda gastierten, wir hätten die Registratur des deutschsprachigen Nachkriegskabaretts komplett.

Und spätestens mit seinem Hausprogramm, das den Gastspielreigen in schöner Regelmäßigkeit alljährlich unterbrach, zeigte der Hausherr, was an kreativen Kräften in ihm steckte: Viele der Nummern hatte er nicht nur geschrieben, sondern auch arrangiert, in perlende Noten gefasst, und immer saß er selbst am Klavier, ein Elegant von silberhaariger Feingliedrigkeit.

Sein Talent, noch die größten Übelstände in klingelndes Reimwerk zu verwandeln und aus düstersten Untergangsprophetien frechheitere Singspiele zu destillieren,wirkt auf uns Heutige vielleicht putzig. Untadelig aber, was Woyda als Impresario und Gastspiel-Besorger schaffte – er, der deutschen Brettlsatire weißhäuptig-graziler Nestor, welcher endlich, da war er schon achtzig, die Renitenz-Intendanz dem Nachfolger Sebastian Weingarten überließ. Weingarten wiederum, der sich diesem „väterlichen“ Mentor übers Professionelle hinaus auch menschlich zutiefst verpflichtet und verbunden wusste (so sehr, dass er ihm zuletzt gar Pflege und Wohnstatt bot im eigenen Heim), hat auf Woyda buchstäblich lebensverlängernd gewirkt. Noch vor zwei Monaten hätte der Einundneunzigjährige am liebsten mitgejuxt bei Richlings jüngster Renitenzpremiere – „es geht leider nicht mehr“, hauchte er resigniert, aber einsichtsvoll.

Gerhard Woyda, dessen Satire-Stern inzwischen immerdar den Mainzer „Walk of Fame“ beglänzt, erschloss seinem schwäbischen Publikum ein Universum des Entertainments, einen Kosmos der Brettlkünste. Beiläufig tappte auch mancher Gewaltige vom Film darin herum, Curd Jürgens etwa, oder fürchterlich tränenvoll Maria Schell, oder auch Zarah Leander, die einst zum Pressegespräch sorglos in Lockenwicklern erschien. Bei Woyda liefen die Stars einfach mit.

Sein Verdienst bestand ebendarin, dass er die Neuen geholt und die Alten nie aus dem Blick verloren hat. Das Gewürfelte, Vertrubelte gehört ja zur Kleinkunst seit je. Und der Witz ist: man muss das lieben. Und muss sie allesamt aushalten können und dirigieren und bitten und anbeten und umwerben, diese Sketch-Bastler, Pointenbolde, Pantomimen, Chansonniers, Solosatiriker, Diseusen, Blödelbarden, Skurrilmusikusse, Parodisten, Travestieburschen, Juxvirtuosen, Gallespeier, Comedians. Denn die alle wollen geschätzt und gefördert sein, getreu durch die Jahre. . .

Typen, die das vermögen, gibt es nicht viele. Doch er, der adrette, nur scheinbar leicht umzublasende Herr mit dem hitzigen Temperament, hat es vermocht – lässig und leicht, von Anfang an. Dass er auch fürchterlich ausrasten konnte: gar kein Zweifel. Bis hin zur Drohung, uns Hausverbot zu erteilen, nur weil wir mal ohne Krawatte zur Premiere erschienen. . . Ja, die Zeiten haben sich wirklich geändert. Für Gerhard Woyda, den Zeugen und Mitgestalter all dieser Zeiten, legen wir aber respektvoll wieder den Schlips an. Nur wird es diesmal leider ein schwarzer sein.