Der schwärzeste Sound der USA kam in den Sechzigern aus dem tiefen Süden, aus dem Fame-Studio in Muscle Shoals, Alabama – von einer rein weißen Studioband hinter Stars wie Aretha Franklin. Verantwortlich für dieses Phänomen war der Ex-Country-Musiker Rick Hall, der jetzt im alter von 85 Jahren gestorben ist.

Muscle Shoals - Nicht nur Amerikas Popmusikwelt wurde in den Sechzigern von schwarzen Klängen umgekrempelt. Soul, wie die aktuelle Variante des Rhythm & Blues stolz genannt wurde, entpuppte sich als Nährstoff für afroamerikanisches Selbstbewusstsein. Was die Fans damals nicht wussten: Die erdigsten Aufnahmen überhaupt, die im tiefen Süden, in Muscle Shoals, Alabama, entstanden, wurden mit einer komplett weißen Studioband eingespielt.

 

Rick Hall, der am Dienstag im Alter von 85 Jahren gestorben ist, hatte eine Karriere als Country-Musiker hinter sich, als er auf modernere Klänge umstellen wollte und sein eigenes Studio, Label und Verlagsgeschäft mit dem Namen Fame gründete. Als der schwarze Country-und R&B-Mann Arthur Alexander 1961 dort Aufnahmen machte, hatte Hall seine endgültige musikalische Erleuchtung. Dass in der Folge in Muscle Shoals unter seiner Anleitung Hillbillies den Soul-Brother-Sound definierten, ist oft als Utopiemodell der Integration gepriesen worden. Und gescheitert ist das Ganze dann angeblich, als eine politisierte Soul-Szene unter dem Einfluss der Black-Panther-Bewegung und anderer Radikaler frei werden wollte von weißer Beteiligung.

Spannungen in der Tabaklagerhalle

Die Realität war allerdings um einiges komplizierter. Afroamerikanische Musiker wie Etta James, Aretha Franklin, Percy Sledge, Clarence Carter und Wilson Pickett, die von ihren Labels hierher geschickt wurden, in ein Aufnahmestudio, das zuvor eine Tabaklagerhalle gewesen war, fühlten sich im rassistischen Provinznest von Anfang an unwohl. Und wenn Halls weißer Partner, der Songschreiber und Studiomusiker Dan Penn, ans Mikrofon trat, um schwarzen Stars vorzusingen, wie sie souliger klingen könnten, sorgte das durchaus für Spannungen. Penn hat seine Rolle später auch ziemlich derb beschrieben: „Es war meine Aufgabe, die Nigger aus der Reserve zu locken.“

Hören sie hier ein Beispiel für die Aufnahmen aus Rick Halls Fame-Studio:

Die Verwendung des ultimativen Schmähwortes könnte zum Schluss verführen, Hall hätte eine Truppe geschäftstüchtiger Rassisten mit musikalischem Verstellungstalent um sich versammelt. Aber der Gitarrist Jimmy Johnson, der Keyboarder Spooner Oldham, der Bassist Junior Lowe und der Drummer Roger Hawkins waren aufrichtige Bewunderer schwarzer Talente, wie Hall auch. Sie hatten lange an einem Country-Sound gearbeitet, der schwarze Einflüsse produktiv aufgriff – wie viele Musiker vor ihnen im 20. Jahrhundert. Und auch nachdem nach gängiger Lesart die schwarz-weiße Kooperation in Muscle Shoals zu Ende war, nach 1969, als Hall Hits für Paul Anka und die Osmonds produzierte, gingen Halls Musiker zu Soul-Aufnahmen ins Studio. Und ein Teil der Country-Musik nahm weiterhin schwarze Elemente auf.

Ein bettelarmer Aufsteiger

Die Beziehung von Country, Blues und Soul war stets sehr viel komplexer und fließender, als es scharfkantiges Schwarz-Weiß-Denken wahrhaben will. Rick Halls Autobiografie „The Man from Muscle Shoals“ ist fähig, manche Denkverkrustung aufzubrechen: Es ist die Geschichte eines Weißen aus bettelarmen Verhältnissen, der sich gegen viele Schicksalsschläge mühselig vorankämpft, also auch für den Trotz und Lebensmut schwarzer Musik empfänglich war. Was in Rick Halls Studios produziert wurde, Meisterstücke wie die LP „Tell Mama“ der Soulsängerin Etta James etwa, lebt von vielen unauflösbaren Widersprüchen – und wird gerade deshalb vieles andere überdauern.