Martin Gehlen hat lange für unsere Zeitung aus dem Nahen Osten berichtet. Er erlebte Umbrüche und Revolutionen, aber auch die Szenen des normalen Alltags zwischen Kairo und Riad. Nun ist er im Alter von 65 Jahren gestorben.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart/Tunis - Manchmal, viel zu selten, tauchte Martin Gehlen bei seinen Heimaturlauben auch in den Konferenzräumen der Stuttgarter Zeitung auf. Dann haben sich dort viele interessierte Kollegen aufgereiht, die man nicht regelmäßig bei solchen Konferenzen sah. Das war vor Corona, natürlich. Sie alle wussten: Martin Gehlen hat aus dem Nahen Osten nicht nur eindrückliche Geschichten aufgeschrieben, er konnte ebenso wunderbar über seine Erlebnisse dort erzählen. Mit einem Blick für das Detail wie für das große Ganze gleichermaßen.

 

Martin Gehlen hat die größte humanitäre Krise der Gegenwart im Jemen heraufziehen sehen, noch ehe das Land in den medialen Strudel der Berichterstattung gezogen wurde. Er hat dem Westen schon früh vorgeworfen, zu sehr auf den Islamischen Staat fixiert zu sein und dabei die Lage in Syrien aus dem Blick zu verlieren. Vor vielen anderen hat er erkannt, dass auch bei der Gestaltung der Zukunft Syriens kein Weg an Assad vorbeiführt. Seit dem Jahr 2008 hat er dies alles für die Stuttgarter Zeitung aufgeschrieben.

Kairo – die Stadt, die er liebte

Für seine Reportagen auf der Seite Drei hat er sich mit selbstbewussten Iranerinnen getroffen und heimlich mit Drogensüchtigen in Saudi-Arabien. Meistens war dann auch seine Frau Katharina Eglau mit dabei. So kenntnisreich Gehlen das Geschehen beschrieb, so gekonnt wusste sie die Kamera ein- und die Protagonisten der Geschichten in Szene zu setzen.

Als der arabische Frühling Ägypten erreichte und Tausende von Menschen auf den Tahrir-Platz drängten, da konnte Martin Gehlen das Geschehen fast schon aus dem Fenster beobachten. Gerade einmal 15 Minuten zu Fuß war seine Wohnung in Kairo entfernt. Gehlen hat diese Stadt geliebt. „Munter trompeten Allahs Vuvuzelas durcheinander – die guten und die schlechten Sänger, die verfrühten und verspäteten – bis sich nach einigen Minuten der wundersame Klangteppich langsam wieder zur Ruhe legt“. So hat Gehlen den Gebetsruf der Muslime in der „Stadt des Gebets und des Lasters“ beschrieben. Es war eine Abschiedsgeschichte.

Im Sommer 2017 war der Arabische Frühling schon lange kein Frühling mehr, der millionenfache Jubel war verklungen, der Absturz in die Tyrannei unaufhaltsam. Gehlen musste die Stadt, die viele Jahre seine Heimat war, verlassen. Zu gefährlich wurde sie für ihn und seine Frau. Vom Nahen Osten freilich wollte der Theologe und promovierte Politikwissenschaftler nicht lassen. Mit seiner Frau zog er nach Tunis, um von Tunesien aus die arabische Welt im kritischen Blick zu behalten.

Am Ende steht Hoffnung

Martin Gehlen war ein Teil des Nahen Ostens, und er hat mit den Menschen gelitten, wenn die Despoten wieder einmal die Oberhand behalten haben. Er hat Jesidinnen besucht, die nach Jahren der Flucht und Vertreibung durch den Islamischen Staat wieder zurück in ihre Heimat im Irak durften, und dort mit ihren seelischen Krisen alleingelassen wurden. Das Leid im Nahen Osten könne unvorstellbar sein, hat er bei seinen Besuchen erzählt.

Immerhin: ein bisschen Hoffnung hat es in der letzten Zeit auch gegeben. Am Freitag vergangener Woche berichtete Gehlen, dass es für die geschundenen Menschen im Jemen nach sechs Jahren Krieg wieder Hoffnung gebe, nachdem der neue US-Präsident Hilfe ankündigte. Am gleichen Tag freute er sich mit den Menschen in Libyen über eine neue Regierung. Ob die Hoffnung sich erfüllt, wird Martin Gehlen nicht mehr erleben. Er verstarb am Samstag im Alter von 65 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes.