Die Inspector-Morse-Romane des Briten Colin Dexter gehörten vor dem großen Krimiboom mal zur Grundausstattung deutscher Buchhandlungen. Der Altphilologe schrieb bis zur Zickigkeit gegen das Vorurteil an, Krimis seien nur was für Ungebildete. Am 21. März 2017 ist er im Alter von 86 Jahren gestorben.

Stuttgart - Das Lesen von Krimis ist ein mieser Zeitvertreib für ungebildete Typen, dachten sich die Kulturgesalbten früher mal. Und einige Logenplatzinhaber der Hochkultur denken das ja bis heute. Der Brite Colin Dexter, der am 21. März 2017 im Alter von 86 Jahren gestorben ist, hat mit seinem Werk eben nicht jeden vom Angeberhochstühlchen kippen können. Einige aber schon.

 

Denn Dexter, der altphilologische Fächer an höheren Schulen unterrichtete, bis ihn zunehmende Ertaubung zwang, das Klassenzimmer zu räumen, wechselte in die Hinterzimmer der University of Oxford, wo er Prüfungsaufgaben erarbeitete und Prüfungen korrigierte. Gelegentlich gab er noch eine Latein- oder Griechischstunde, aber zum Glück vieler Leser und Fernsehkrimifreunde blieb ihm noch genügend Zeit, Inspector Morse und dessen Assistenten Lewis zu erfinden.

Zwischen 1975 und 1999 erschienen 14 Morse-Krimis, deren deutsche Übersetzungen in Rororos Thriller-Reihe mal zur Grundausstattung der damals noch verschämt im Abseits platzierten Krimidrehständer in deutschen Buchhandlungen gehörten. Die „Inspector Morse“-TV-Serie brachte es von 1987 an auf 12 Staffeln, ihr folgte das Spin-Off „Inspector Lewis“, von dem ab 2006 neun Staffeln produziert wurden.

Keine Angst vor Gelehrsamkeit

Die spielten wie Dexters Bücher in und um Oxford, aber sie waren doch ein wenig weniger bildungsverliebt. Dexter nämlich nutzte Oxford nicht einfach als Kulisse, er integrierte einen Atmosphäre von Gelehrsamkeit so wie der klassische britische Landhauskrimi die Sehnsucht nach einer benevolenten, unerschütterlichen Ständegesellschaft als alles durchdringendes Fluidum nutzte.

Einesteils hing Dexter am alten Rätselkrimi, andererseits zwang er seine Figuren schon ein wenig hinaus aus der gut überschaubaren Isolation in verklärten Inseln der Landjunkerseligkeit, hinein in das, was er uns als Leben eines Akademikerstädtchens servierte. Dexter konnte in den späteren Romanen schon mal zickig und gespreizt werden, bildungshubernd und weltfremd, aber immer setzte er voraus, dass seine Leser anderes suchten als billige Lacher, Brechreiz-Mutproben und Sadismus-Ventile. Er stand für jenen schizophrene Tradition des Kriminalromans, die einerseits hinführt zu den schrecklichen Entgleisungsmöglichkeiten des Zusammenlebens und andererseits doch wieder ganz weit weg von der konkreten Alltagswelt.

Sein einstiger Erfolg in Deutschland ist heute, nachdem die prätentiös theatralischen, blutsudelreichen Sozialgewissens-Imitationen Henning Mankells den bürgerlichen Krimilesegeschmack hierzulande geprägt haben, kaum noch vorstellbar. Aber was lernen wir über Inspector Morse schon im ersten Band der Serie, „Der letzte Bus nach Woodstock“ (19575): „Fürs Aktenlesen hatte er nichts übrig. Er argwöhnte, dass 95 Prozent von allem Geschriebenen sowieso nie von irgend jemandem gelesen wurden.“