Keine konnte im deutschen Film so wie sie verkniffene kleine Spießerinnen spielen. Aber die von Fassbinder entdeckte Irm Hermann war das Gegenteil dieses Typs – eine Kauffrau, die frohgemut ihr altes Leben gegen den Film tauschte.

Stuttgart - Als verklemmte, missgünstige Kleinbürgerin oder verhärmte Frömmlerin war Irm Hermann schon eine Wucht, als sie eigentlich noch viel zu jung für diese Rollen war. Dass sie ein großes Schauspieltalent sei, hat sie selbst aber mit Keinen-Unfug-bitte-Trockenheit in Abrede gestellt. Sie stamme eben aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, kenne die Menschen dort bestens, verhalte sich auf der Bühne oder vor der Kamera also einfach so, wie es ihr vertraut sei.

 

Von Fassbinder entdeckt

Man kann es zwar auch übertreiben mit dem Untertreiben, aber die gelernte Verlagskauffrau Hermann kokettierte da nicht, sie ließ bloß eine Hälfte eines Wunders aus. Gewiss, sie war keine ausgebildete Schauspielerin. Aber ausgerechnet sie, die bis zur Säuerlichkeit brav wirken konnte, hüpfte entschlossen von ihren Lebensschienen, als sie 1966 Rainer Werner Fassbinder kennenlernte. Der drehte nicht nur ruppige Filme, der verlangte Hingabe und Auslieferung an sich und Absage ans Bürgerliche, führte seine Filmtruppe als Kommune mit sich als Häuptling, weshalb auch ein Dreh in den anderen überging. Für normales Leben sollte gar keine Zeit bleiben.

Wenn irgendjemand zwar in die Filme, aber nicht in die Kommune von Fassbinder zu passen schien, dann Irm Hermann. Aber die schaffte locker beides, und dann auch den Absprung vom Film- und Lebenskarussell des Tyrannen. Gern wird Hanna Schygulla als ideale Fassbinder-Muse gesehen, aber die spröde Hermann passte noch viel besser in Filme wie „Liebe ist kälter als der Tod“ (1969), „Pioniere in Ingolstadt“ (1971) und „Händler der vier Jahreszeiten“ (1971): weil sie zugleich authentisch und unerfahren hölzern wirkte, weil sie also Glaubhaftes vermittelte und doch die Illusionsmaschine Film sprengte.

Furchtlos und unpoliert

Ihre Technik hat die am Dienstag im Alter von 77 Jahren Verstorbene verbessert, ihre gefühlsechte Unpoliertheit behalten. Sie hat mit Percy Adlon („Fünf letzte Tage“), Werner Herzog („Woyzeck“), Christoph Schlingensief („Das deutsche Kettensägenmassaker“), Loriot („Pappa ante Portas“) und vielen anderen gedreht, spielte unter anderem an der Berliner Volksbühne Theater und nahm furchtlos alles in Angriff, Bürgerschreckkino, netten Klamauk, solide Krimis, maliziös Feingeistiges und gutherzig Verschmunzeltes. Auch weit in der Rente trat sie noch auf, in „Fack ju Göhte 3“ etwa, irgendwie konnte man immer sicher sein, sie werde einen demnächst wieder ans Kleinbürgerliche erinnern. An den Gedanken, dass Irm Hermann nicht mehr da ist, muss man sich erst einmal gewöhnen.