Sein Markenzeichen war die Fliege, seine Leidenschaft der Kampf gegen Stuttgart 21: Am Freitag ist der Stuttgarter SPD-Politiker Peter Conradi im Alter von 83 Jahren verstorben.

Stuttgart - Peter Conradi ist am Freitagvormittag im Alter von 83 Jahren gestorben. Der 1932 in Schwelm in Nordrhein-Westfalen geborene Architekt war von 1972 bis 1998 Mitglied des Bundestags. Im Jahr 1974 unterlag er bei der Wahl zum Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel. Von 1979 bis 1983 gehörte Conradi dem Parteirat der SPD an und von 1984 bis 1993 war er Mitglied der SPD-Kontrollkommission. Fünf Jahre lang war Conradi zudem Präsident der Bundesarchitektenkammer. Im Jahr 2010 nahm er auf Seiten der Projektgegner an den Schlichtungsgesprächen zu Stuttgart 21 teil.

 

Mit Conradi ist am Freitag der wohl bekannteste, profilierteste und streitbarste Stuttgarter Sozialdemokrat gestorben. Das politische Urgestein hat sich immer laut und deutlich zu Wort gemeldet. Auch im Ruhestand ist er kein bisschen leiser geworden. Conradi war seit 1959 in der Partei, er war Mitglied des Landesvorstands und er saß mehr als ein Vierteljahrhundert lang für die Sozialdemokraten im Bundestag.

Der ständige Unruhestifter

Peter Conradi war allerdings nie ein braver Genosse. „Ich bin ein alter Elefant, der noch etwas zu sagen hat“, charakterisierte er sich einmal selbst. Kurz vor seinem 80. Geburtstag las er, der in den sozialdemokratischen Reihen von vielen als „ständiger Unruhestifter“ angesehen wurde, seiner Partei in einem deutlich formulierten offenen Brief kräftig die Leviten.

„Die Stuttgarter SPD ist an einem programmatischen, personellen, intellektuellen Tiefpunkt angelangt“, hieß es in dem Schreiben. Der Verfasser trauerte mit den Co-Autoren Siegfried Bassler und Roland Ostertag „um die alte Tante SPD“, die der „chaotischen, miserablen, stadtzerstörenden Planung der Bahn“ und dem Ausverkauf von Sozialwohnungen zugestimmt habe. Mit dieser Selbstdemontage habe seine Partei ihre „Eigenständigkeit und Glaubwürdigkeit“ verloren, urteilte Conradi. Und mit dem Ja zum Bau des umstrittenen Rosensteintunnels habe man „die innerparteiliche Demokratie beschädigt“.

Unterstützung für OB Kuhn

So manchem aufrechten Genossen war das zu viel. Denen galt Conradi ohnehin als der „böse Alte“, als eitel und parteischädigend. Viele Genossen waren hell entsetzt, als Conradi bei der OB-Wahl im Oktober 2012 öffentlich dazu aufrief, statt der SPD-Bewerberin Bettina Wilhelm den grünen OB-Kandidaten Fritz Kuhn zu wählen. Von „unsolidarisch“ über „Taliban“ bis „Dolchstoß“ reichten die wütenden innerparteilichen Kommentare. Conradi wurde von einem früheren Kreisvorsitzenden aufgefordert, gefälligst die Partei zu verlassen.

Doch er blieb und keilte zurück. Unter dem Vorsitz des blassen Kritikers habe sich „der Sinkflug der Partei bei Wahlen fortgesetzt“, konterte der Attackierte. Mehr als 450 „SPD-Mitglieder-gegen-Stuttgart 21“ erklärten via Unterschrift im Internet, dass Wilhelm die OB-Wahl nicht wegen Conradi verloren habe. Sie sei „Opfer des desolaten Zustands der Stuttgarter SPD“ geworden, den vor allem die Gemeinderatsfraktion zu verantworten habe.

Conradi hat es seiner Partei nie leicht gemacht

Conradi saß für die Stuttgarter SPD mehr als 25 Jahre als Abgeordneter im Bundestag. Er hat es schon damals seiner Partei nicht leicht gemacht. Aus Protest gegen die rot-grüne Sozialpolitik ließ der Mann mit Fliege und rotem Schal 2005 seine Mitgliedschaft ruhen. Damals wollten ihn innerparteiliche Kontrahenten, für die er ein rotes Tuch war, ausschließen. Doch Conradi blieb bei den „Sozis“, die ihm 2009 sogar die Ehrennadel für 50 Jahre Mitgliedschaft ans Revers hefteten.

Der Architekt in der Staatlichen Hochbauverwaltung, der auch fünf Jahre lang Kreisvorsitzender der Stuttgarter SPD war, pflegte gern den politischen Widerspruch. Er sagte seiner Partei in der jüngsten Vergangenheit vor allem wegen Stuttgart 21 den Kampf an. Da trug er zu Fliege und rotem Schal auch noch den „Oben bleiben“-Button gegen Stuttgart 21.

Dass Conradi bei der OB-Wahl 1974 gegen Manfred Rommel antrat und verlor, wissen heute nur noch wenige. Trotz dieser Niederlage war Conradi bei Bundestagswahlen stets ein Garant für gute SPD-Ergebnisse.

Die Bundesarchitektenkammer, deren Präsident Conradi von 1999 bis 2004 war, würdigte ihn als einen „Befürworter einer stetigen Auseinandersetzung der Gesellschaft mit ihren Bauten und Baumeistern“. Er habe seine Berufskollegen stets aufgefordert, sich an öffentlichen Diskussionen zu beteiligen.

OB: Seine Stimme wird uns fehlen

„Mit Betroffenheit und Trauer“ hat OB Fritz Kuhn am Freitag auf den Tod von Peter Conradi reagiert. „Seiner Frau und Familie spreche ich mein tief empfundenes Beileid aus.“ Das Zusammenleben in der Stadt und ihre Entwicklung seien für Conradi stets Herzensangelegenheiten gewesen. Er habe sich mit klaren Positionen eingemischt. „Seine Stimme wird uns fehlen.“

„Mit Peter Conradi verlieren wir einen engagierten und kritischen Wegbegleiter“, sagte der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc. Die Partei trauere um ihn. Conradi habe sich große Verdienste um die SPD erworben, die er auch als kritischer Analyst begleitet habe. Deshalb sei er nicht immer ein einfaches Mitglied gewesen.

„Peter Conradis Tod schmerzt und erschüttert uns tief“, sagte Eisenhart von Loeper, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Man verliere mit ihm einen großen Freund. Conradi sei ein engagierter Kämpfer für eine lebendige, auf Gerechtigkeit und Miteinander zielende Demokratie gewesen.

„Wir haben mit Peter Conradi einen Politiker verloren, der stets den friedlichen Ausgleich zwischen gegensätzlichen Positionen gesucht hat“ sagte Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der Linken. „Die Welt wäre besser, wenn sie von mehr Politikern wie ihm regiert würde.“

In seinem blauen Brief an die Stuttgarter SPD hat der damals 80 Jahre alte Conradi trotz aller Kritik auch noch einen Geburtstagswunsch geäußert. „Das DU und das WIR, soziale Gerechtigkeit, Glaubwürdigkeit, Solidarität, Verantwortung, Vertrauen müssen wiederentdeckt und großgeschrieben werden“, heißt es da. Davon hat die Stuttgarter SPD jetzt viel verloren.