Der Autor Wolfgang Herrndorf ist tot. Er wurde nur 48 Jahre alt. Sein Romans „Tschick“ über zwei junge Burschen aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern stand mehr als ein Jahr auf den deutschen Bestsellerlisten.

Berlin - Am besten wagt man mal was. „Die Straße verlor sich kurz hinter dem verlassenen Dorf, und wir mussten querfeldein“, erklärt der Bürgersohn Maik, der Erzähler in Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick“, seine Route. Querfeldein, das war auch der Kurs des Autors Herrndorf: weg vom Vornehmen und Braven, aber auch weg von allem, was nach angestrengter Avantgarde aussieht. Weg vor allem von der miefigen Humorlosigkeit und pedantischen Verbasteltheit, die hierzulande gerne als Literatur angesehen wird. Herrndorf schrieb wie junge Katzen mit Wollknäueln kämpfen: als sei ein schöneres Spiel gar nicht vorstellbar, als sei das Leben genau dazu da.

 

Herrndorf, Jahrgang 1965, war kein Karriereliterat, sondern eigentlich Maler. Zuerst aufgefallen ist er als Mitarbeiter des Satiremagazins „Titanic“. Man hat das seinen Texten angemerkt. Sich ein Bild von der Welt zu machen, das heißt für den Karikaturisten auch, die verborgene Komik sichtbar zu machen. Zugleich musste Herrndorf niemanden mehr in die Pfanne hauen, das hätte er ja jederzeit mit einem einzigen Bild erledigen können.

Sein Debütroman „In Plüschgewittern“ erschien 2002, aber sein Durchbruch kam 2010 mit „Tschick“. Diese Geschichte zweier junger Burschen aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen ist zu Recht als modernes Spiel mit der Freundschaft von Tom Sawyer und Huckleberry Finn gelobt worden. Aber solche Vergleiche bringen die Gefahr mit sich, jemanden wegzusortieren im Museum der Literaturmotive und -heroen: Du darfst neben Mark Twain stehen, aber sei schön still.

Auf der Suche nach einem Schlauch

Herrndorf wollte alles andere als still sein, er wollte einen Sound, er wollte Texte, die man sich laut vorlas, weil man neugierig war, wie sie klangen. Er näherte sich der Umgangssprache, aber nie straßenprotzig. Er konnte das Banale beschreiben, ohne es zu veräppeln, ohne sich in Wonnen der Gewöhnlichkeit zu suhlen oder das Kleine munkelnd zu überhöhen.

Hier wollen Maik und sein Kumpel Benzin schläucheln: „Problem war natürlich, dass wir keinen Schlauch hatten. Wir suchten zuerst das Gelände hinter der Tankstelle ab, dann das Unterholz, dann einen Acker, dann immer weiter weg. Wir fanden Radkappen, Plastikplanen, Pfandflaschen, Unmengen Bierdosen und am Ende sogar einen Fünf-Liter-Kanister ohne Verschluss, aber irgendwas Schlauchähnliches fanden wir nicht.“ So macht man aus dem Wühlen im Dreck Musik.

Wie virtuos und vergnügt Herrndorf mit Erwartungen, Genremustern und Sprache umgehen konnte, fällt besonders auf, wenn man gleich nach „Tschick“ den 2011 erschienenen Roman „Sand“ liest, den direkten Nachfolger – ganz anders, aber genauso vital. Ein Abenteuerroman und ein Krimi ist das, spielt 1972 in Nordafrika und greift Themen wie Terror und Geheimpolitik auf. Aber Herrndorf macht das habituelle Lügen von Profiintriganten zum schon wieder subversiv komischen Konstruktionsprinzip einer manchmal gruseligen Erzählwelt: Hier soll manchmal eine Wahrheit aus Figuren herausgefoltert werden, die dann doch nur wieder mit aller Kraft in Zweifel gezogen werden müsste.

Zu diesem Zeitpunkt schrieb Herrndorf längst sehr offen über extrem Privates. Ein bösartiger Hirntumor war bei ihm diagnostiziert worden, seit 2010 beschrieb er im Internet sein Leben mit der Krankheit zum Tode: Dieses Blog ist ein weiteres Großwerk von ihm. Gestern war für Wolfgang Herrndorf das Ende des Weges erreicht, und „Sand“ ist auch ein Buch der Wut über die Wegnahme von Chancen und den Raub von Leben. Was für eine großartige Sache das ist, für eine Weile auf Erden zu sein, auch wenn die momentan ein Sauladen ist, das hat Wolfgang Herrndorf einnehmend beschrieben.