Das Video des qualvollen Todes von George Floyd in den USA ging vor zwei Jahren um die Welt. Viele Menschen hofften damals auf Veränderung, auch in Deutschland. Was hat sich in Sachen Rassismus seither getan?

Zehntausende sind nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis am 25. Mai 2020 auch in Deutschland auf die Straßen gegangen – aus Protest gegen Rassismus. Sie reckten die Fäuste gen Himmel und hielten Pappschilder hoch, auf denen „Black Lives Matter“ stand. Und immer wieder riefen sie die letzten Worte von George Floyd: „I can’t breathe“. Die Hoffnung, dass sich auch in Deutschland etwas ändern würde, war groß.

 

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Heute, zwei Jahre später, ziehen mehrere Menschen aus der Black Community, der Gemeinschaft schwarzer Menschen, Bilanz. Und sie stellen fest: Manches hat sich hierzulande seit dem qualvollen Tod von George Floyd tatsächlich verändert. Die Stimmen schwarzer Deutscher etwa würden mehr Gehör finden, sagen sie. Bei Veranstaltungen werde immer wieder über Rassismus gesprochen. Im Alltag aber erleben viele noch immer Rassismus – in Form von Blicken, Bemerkungen oder Schikanen in Behörden etwa. Rassismus werde nach wie vor oft als „ein Problem anderer“ verstanden, sagen sie.

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Naemi Makiadi (21), Studentin aus Backnang:

„Ich habe mir das Video von George Floyd damals lange nicht angeschaut. Als ich es dann irgendwann doch gesehen habe, ging mir das extrem nahe. Schön fand ich damals aber, dass so viele Menschen – auch viele Menschen aus der weißen Mehrheitsgesellschaft – sich solidarisiert haben. Bei der ersten Demo nach dem Tod von George Floyd war ich richtig überrascht davon, wie viele wir sind. Umso krasser finde ich es, dass es inzwischen so ruhig geworden ist um das Thema. Der Rassismus, die Polizeigewalt – das hört ja nicht auf, so etwas passiert immer noch.

Aber es hat sich auch was geändert. Man gibt BIPoC [Anm. der Red.: Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung] inzwischen mehr Raum, sie werden als Experten und Expertinnen gehört oder als Rassismusbetroffene. Auch bei der Sprache hat sich etwas getan: Viele Leute verwenden das N-Wort nicht mehr, und immer wieder werden Straßennamen geändert. Aus meinem Umfeld haben viele angefangen, mir Fragen zu Rassismus zu stellen. Ich empfehle dann oft Bücher oder Filme – da gibt es ja viel.“

Farina Görmar (50), Interkulturelle Promotorin aus Stuttgart:

„Auch in Deutschland gibt es Racial Profiling und Fälle von rassistischer Polizeigewalt – das haben Forschungen gezeigt. Und: Gerade Menschen mit Fluchtbiografie, Menschen, die aus Afrika kommen, haben hier schlechte sozioökonomische Perspektiven. Ich habe selbst lange mit Geflüchteten gearbeitet und Fälle erlebt, in denen es zu Konflikten zwischen traumatisierten jungen Männern und der Polizei kam. Viele Geflüchtete haben sehr, sehr schwierige Erfahrungen gemacht – das muss man mitdenken.

Wie kann die Polizei geschult werden im Umgang mit Menschen, die traumatisiert sind? Wie können wir die Bilder von bösen schwarzen Männern dekonstruieren? Welchen Blick haben wir auf Menschen, die wir als „anders“ lesen? Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Wenn es gelingt, verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen und Teilhabe für alle zu ermöglichen, können wir eine gesellschaftliche Spaltung wie in den USA vermeiden. Letztlich wollen wir alle hier doch das gleiche: in Frieden und Sicherheit leben und Wertschätzung erfahren.“

Tshamala Schweizer (60) aus Korb, Geschäftsführer von AfroKids International:

„Es wird noch immer oft so getan, als gäbe es Rassismus hier in Deutschland nicht. Ich komme selbst aus dem globalen Süden – und ich erlebe Rassismus eigentlich täglich. Manchmal wechseln Leute die Straßenseite, wenn sie mir entgegenkommen. Manche halten ihre Tasche ganz verkrampft fest, sobald sie an mir vorbeigehen. Oder ich werde gefragt, ob ich Gras habe – oder ob ich Hilfe brauche. Nur, weil ich schwarz bin!

Neulich war ich im Ordnungsamt und wurde erst mal direkt wieder weggeschickt, ich solle ins Sozialamt gehen – noch bevor ich sagen konnte, dass ich einen neuen Parkausweis brauche. Da wurde einfach angenommen, ich sei Flüchtling und brauche Sozialhilfe. Und bei Polizeikontrollen wurde schon geprüft, ob mein deutscher Ausweis nicht gefälscht ist. Es schmerzt, wenn man darauf reduziert wird, dass man anders aussieht. Und es zeigt: Es wird zwar inzwischen mehr über Rassismus gesprochen hier in Deutschland, aber in der Praxis hat sich kaum etwas geändert.“

Maïmouna Obot (40), Juristin aus Stuttgart:

„Der Tod von George Floyd hat der schwarzen Community mehr Gehör verschafft. Dass unsere Stimmen auf einmal wahrgenommen wurden, war besonders – zugleich hatte ich sofort die Sorge, dass sich das auch schnell wieder ändern könnte. Deshalb haben wir direkt begonnen, die Arbeit unserer Vereine und Einrichtungen zu stärken – also zum Beispiel Gelder für Schulungen zum Thema Antirassismus anzufragen. In bestimmten gesellschaftlichen Bereichen gibt es seit dem Tod von George Floyd wirklich eine Sensibilisierung. In anderen aber noch nicht.

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Rassismus sitzt sehr tief, da muss jahrelang aktiv dagegen vorgegangen werden, bis sich etwas ändert. Schwarze Menschen sind in vielen Bereichen noch immer unterrepräsentiert, in der Politik oder Forschung zum Beispiel. Das ändert sich nur ganz langsam. Ich würde mir wünschen, dass Antirassismus Thema wird in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern oder Polizistinnen und Polizisten. Und dass sich Kunst und Literatur bewusst Schwarzen zuwenden.“

Kousar (25), Faisal (28), Jelisa (26), Sandra (25) von der Black Community Foundation Stuttgart:

Jelisa: „Nach dem Tod von George Floyd hat sich schon etwas verändert, Rassismus ist immer wieder Thema. Wir als Black Community Foundation Stuttgart werden zu vielen Gesprächen eingeladen, auch, wenn es zum Beispiel um Feminismus geht. Dann heißt es: Wir wollen die Stimme einer schwarzen Frau haben – das gab es so vorher nicht. Auch auf den Straßen bemerkt man, dass sich was getan hat: Auf Werbeplakaten sind mehr schwarze Männer oder schwarze Frauen zu sehen. All das ist gut – aber es ist noch nicht genug.“

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Faisal: „Wenn es heißt, dass es Rassismus gibt, stimmen die meisten zu. Wenn es dann aber um Rassismus hier in Deutschland geht, dann wird das verneint. Die Leute sind gut darin, Rassismus woanders zu finden, sich aber nicht auch selbst zu checken. Und die wenigsten greifen das Thema Rassismus eigenständig auf – man muss es den Leuten schon noch hinterhertragen.“

Kousar: „Es beschäftigen sich eigentlich noch immer dieselben Gruppen mit Rassismus. Wer sich davor nicht damit befasst hat, tut das jetzt auch nicht.“

Sandra: „Am strukturellen, institutionellen Rassismus in Deutschland hat sich nichts geändert. Das sieht man zum Beispiel daran, wie jetzt mit schwarzen Menschen aus der Ukraine umgegangen wird. Sobald es darum geht, Rassismus in all den Ebenen aufzudecken, in denen er stattfindet, wird eine Grenze gezogen – etwa beim Thema Polizeiarbeit. Daran wird deutlich: Es wird zwar oberflächlich über Rassismus geredet, aber das System, das vor Tausenden von Jahren erschaffen wurde, besteht immer noch – das ist die harte Realität.“

Jelisa: „Wir würden uns wünschen, dass die Menschen offener sind, dass sie nicht zumachen oder in die Defensive gehen, sobald die eigenen Rassismen angesprochen werden. Wenn mir jemand sagt: ‚Hey, was du sagst, ist nicht okay’, dann sollte ich das annehmen und nicht direkt beleidigt sein. Meine eigene Intention spielt gar keine Rolle, wenn das, was ich sage, bei meinem Gegenüber verletzend ankommt. Vielleicht ist es zwar nicht meine Schuld, wie rassistisch ich sozialisiert wurde – aber es ist meine Aufgabe, das zu reflektieren und zu ändern.“