Ein junges Stuttgarter Unternehmen hat eine vergleichsweise einfache Lösung für die Erfassung von Schäden an Straßen und Wegen entwickelt. Das Stuttgarter Rathaus erwägt nun, die Technologie auf den Radwegen in der Landeshauptstadt einzusetzen.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart steht nicht gerade im Ruf, eine Fahrradstadt zu sein. Beim jüngsten Fahrrad-Klimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) kommt die Landeshauptstadt unter den Kommunen mit mehr als 500 000 Einwohnern in Deutschland nur auf Rang 11. Die sozialen Netzwerke sind voller Klagen über Radwege, die entweder im Nichts enden oder durch parkende Autos blockiert sind. Gegen beide Phänomene hat auch das junge Stuttgarter Unternehmen Vialytics kein Patentrezept.

 

Aber das Start-Up kann mit überschaubarem Aufwand Städten wie Stuttgart ein Bild vom Zustand ihres Radwegnetzes liefern. Das Rathaus schaut sich nun im Rahmen einer Projektphase an, ob die Technik des vor fünf Jahren von Danilo Jovicic-Albrecht gegründeten Unternehmens auch in Stuttgart Anwendung finden könnte.

Nagold als Vorreiter

Andernorts ist man da schon weiter. Im 20 000-Einwohner-Städtchen Nagold werden mit der Technik aus Stuttgart schon seit knapp zwei Jahren die baulichen Schwachstellen im Radwegenetz erhoben. Die Stadt Mönchengladbach hat in einem Projekt Langzeitarbeitslose auf das Fahrrad gesetzt und die städtischen Radwege abradeln lassen, um deren Zustand zu erfassen und daraus eine Sanierungs- und Ausbaustrategie abzuleiten. „Radwege haben in der öffentlichen Wahrnehmung und in der politischen Debatte an Bedeutung gewonnen“, sagt Danilo Jovicic-Albrecht, der an der Uni Hohenheim studiert und danach das Unternehmen gegründet hat. Das hat die Technik entwickelt, mit überschaubaren Geräteeinsatz, Verkehrsinfrastruktur zu überwachen. Zunächst ging es dabei um Straßen. Wenn Rathäuser wissen wollten, wie es um deren Zustand bestellt ist, schickten sie Mitarbeiter mit Klemmbrett und Stift auf Exkursion.

Stift und Papier sollen ausgedient haben

Diese Arbeit wollte der Firmengründer vereinfachen. „Die öffentlichen Verwaltungen werden in den kommenden Jahren schrumpfen“, sagt er voraus. Gründe dafür seien die Demografie und der Fachkräftemangel. Die in Stuttgart ersonnene Lösung setzt auf Smartphones statt auf Stift und Papier. Die Telefone werden hinter die Windschutzscheiben von Autos geklemmt – etwa Linienbusse oder Fahrzeuge der Müllabfuhr, die allesamt regelmäßig in der Stadt unterwegs sind. Die tschechische Hauptstadt Prag hat auf diese Weise erst kürzlich ihr 3500 Kilometer langes Straßennetz kartiert.

Vom einfachen Riss bis zum tiefen Schlagloch

Insgesamt 15 verschiedene Schadenskategorien vom einfachen Riss bis zum tiefen Schlagloch registriert das Smartphone im Vorbeifahren. Dabei orientiere man sich an der Einteilung der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. Alle vier Meter macht die Software ein Bild von der Fahrbahn. Eventuell in den Sucher geratene Gesichter oder Autokennzeichen mache das System automatisch unkenntlich, versichert Jovicic-Albrecht. Die auf diese Weise eingesammelten Daten werden in eine Kartendarstellung überführt, die über unterschiedliche Farben Aufschluss über den Zustand der Infrastruktur ergibt.

75 Menschen arbeiten in dem jungen Unternehmen. Bei der jüngsten Finanzierungsrunde hat man zehn Millionen US-Dollar eingesammelt, die auch den Sprung über den Atlantik ermöglichen sollen. Zu den Anteilseignern gehört unter anderem der baden-württembergische Energiekonzern EnBW, der staatliche norwegische Energiekonzern Statkraft oder der zum VW-Konzern gehörende Lastwagenhersteller Scania. Eine Entwicklung, die von der Politik mit Wohlwollen betrachtet wird. Vor kurzem schaute Anna Christmann bei dem noch jungen Unternehmen vorbei. Die Grüne ist Bundestagsabgeordnete aus Stuttgart und Beauftragte für Start-ups in Robert Habecks Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Stuttgart befindet sich in der Erprobungsphase

Ob die prominente Unterstützung dazu beiträgt, dass das Stuttgarter Unternehmen hilft, das vielfach kritisierte Stuttgarter Radwegenetz auf Vordermann zu bringen, ist noch nicht raus. Die Stadtverwaltung will in einer mehrmonatigen Probephase die mögliche Lösung in einem zehn Kilometer langen Abschnitt des Netzes unter die Lupe nehmen. Dabei gilt es nicht zuletzt die Frage zu klären, wer für die Erfassung des Radwegzustands in die Pedale tritt. Ob das zwingend Radfahrer auf der Lohnliste des Rathauses sein müssen, ist nicht ausgemacht.