Nie zuvor war Deutschland so attraktiv für Einwanderer. Sie heben die Bevölkerungszahl und sind als Arbeitskräfte willkommen. Ein tragfähiges Konzept für die Integration aber lässt auf sich warten.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Wiesbaden - Deutschland wächst. Das ist in Zeiten des allseits beklagten Geburtenrückgangs eine ebenso gute wie erstaunliche Nachricht. Schon der erste Blick auf die jüngst vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen bietet Aufklärung: das Einwohnerplus ist der Zuwanderung zu verdanken, denn noch immer sterben in der Bundesrepublik mehr Menschen als geboren werden. Insgesamt hat die Einwohnerzahl im Jahr 2012 um rund 196 000 Menschen zugenommen, auf 80,5 Millionen. Im Jahr 2011 lag der Zuwachs nur bei ungefähr 92 000.

 

Einen entscheidenden Einfluss auf die verstärkte Wanderbewegung hat offensichtlich die Finanz- und Eurokrise. Wie die Statistiker aus Wiesbaden unterstreichen, hat die Zuwanderung nach Deutschland aus den schwer angeschlagenen südeuropäischen Staaten der EU auf fast dramatische Weise zugenommen. So stieg die Zahl der Einwanderungen aus Griechenland (plus 10 000) und Portugal (plus 4000) im Vergleich zu 2011 um jeweils über 40 Prozent. Aus Italien kamen im Berichtsjahr 37 Prozent (12 000) mehr Menschen nach Deutschland. Aber auch für die Arbeitssuchenden aus Osteuropa ist Deutschland ein attraktives Ziel. Aus Ungarn kamen 13 000 (plus 31 Prozent), aus Rumänien 21 000 (plus 23 Prozent) Zuwanderer mehr. Insgesamt kamen im vergangenen Jahr rund 370 000 Menschen mehr nach Deutschland als von dort fortzogen.

Vom Zuzug profitieren vor allem die großen Städte

Hingewiesen wird von den Statistikern auch darauf, dass sich die Bevölkerungszahlen nicht in allen Regionen Deutschlands positiv entwickelt haben. Neun Bundesländer registrieren Zuwächse, im Osten setzte sich dagegen die Abwanderung fort. Am stärksten fiel der Zuwachs in Bayern aus (plus 76 000), gefolgt von Baden-Württemberg (57 000) und Berlin (49 000). In den neuen Ländern und im Saarland dagegen beschleunigte sich der Rückgang – besonders in Sachsen-Anhalt (minus 17 000) und Thüringen (minus 11 000).

Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, profitieren von dem Zuzug vor allem große Städte. So würden urbane Zentren wie München, Stuttgart oder auch Dresden in den kommenden zwei Jahrzehnten um rund fünf Prozent wachsen. Dagegen gehe die Bevölkerungszahl in vielen strukturschwachen Kommunen im ländlichen Raum im gleichen Zeitraum um rund 20 Prozent zurück – und das gelte, so steht in der Studie, nicht nur für den Osten Deutschlands. Die Analyse zeigt ebenfalls, dass prosperierende Kommunen auch den höchsten Ausländeranteil haben. Im Westen betragen die Ausländeranteile in Großstädten wie München, Stuttgart oder Frankfurt knapp über 20 Prozent. In den neuen Bundesländern gehört schon Dresden mit 4,7 Prozent Ausländeranteil zu den Städten, die im ostdeutschen Vergleich viele Ausländer anziehen, steht in der Studie.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bewertet die gestiegene Zuwanderung sehr positiv. „Das Gute ist: die Leute, die kommen, sind besser ausgebildet und jünger als der Durchschnitt der Bevölkerung“, sagt sie und bezieht den Erfolg natürlich auch auf die Arbeit ihres Ministeriums. Man habe „die Gesetzgebung bereits umgestellt und das klare Signal nach außen gesendet, dass Deutschland Menschen mit gesuchten Qualifikationen willkommen heißt“.

Die Zuwanderer sind überdurchschnittlich gut ausgebildet

Offensichtlich aber hat es sich noch nicht bei allen Zuwanderern herumgesprochen, dass Deutschland sie mit offenen Armen empfängt. Eine Studie der OECD zeigt: viele Zuwanderer verlassen Deutschland schnell wieder. Laut dem Migrationsausblick hat sich in den vergangenen Jahren nur jeder zweite Grieche und nur jeder dritte Spanier länger als ein Jahr in Deutschland aufgehalten. „Der Wohlstand Deutschlands hängt wesentlich davon ab, ob es ihm gelingt, trotz seiner alternden Bevölkerung wettbewerbsfähig zu bleiben“, warnt Yves Leterme, stellvertretender Generalsekretär der OECD. Ohne konsequente Zuwanderungsstrategie werde es schwierig werden, dem prognostizierten Fachkräftemangel zu begegnen.

Herbert Brücker, Migrationsexperte beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sieht es nicht allzu dramatisch, dass viele Zuwanderer relativ rasch ihr Gastland verlassen. Es gelinge eben nicht, allen eine geeignete Arbeitsstelle zu bieten, erklärt er. Allerdings müssten jene, die in Deutschland einen Job in Aussicht hätten, besser unterstützt werden. „Wichtig ist die schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse“, fordert Brückner, zumal viele gut ausgebildete Zuwanderer häufig in Berufen arbeiten würden, die nicht ihrer hohen Ausbildung entsprechen, wie etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe. Auch Brücker hebt hervor: „Die Neuzuwanderer sind deutlich besser qualifiziert als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung.“

Mehr als 40 Prozent von ihnen besitze einen Hochschulabschluss – deswegen sei die Situation auch eine andere als in den 60er Jahren. In den Boomjahren der Bundesrepublik seien vor allem ungelernte Arbeiter aus dem Ausland gekommen.

Für Brücker ist die aktuell hohe Zuwanderungsrate jedoch nur eine vorübergehende Erscheinung. Wenn die Eurokrise vorbei sei und sich die wirtschaftlichen Bedingungen in anderen Ländern wieder verbessern, werde die Zuwanderung wieder stark zurückgehen. Dann stelle sich die Frage des Fachkräftemangels noch einmal in verschärfter Form.