Winfried Kretschmann setzt sich seit langem für ein Zuwanderungsgesetz ein. Was große Koalition in Berlin jetzt auf den Tisch legt, gefällt dem Ministerpräsidenten nicht in allen Punkten.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die Debatte um ein Einwanderungsgesetz als zu emotional geführt kritisiert. „Es geht viel zu oft um Symbole und viel zu selten um wirksame Lösungen“, sagte Kretschmann unserer Redaktion. Dies zeigten die aktuellen Diskussionen um das von der großen Koalition in Berlin geplante Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz. Der Stuttgarter Regierungschef nahm damit die Kritik auf, die aus dem Unternehmerlager am Widerstand innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an den Gesetzesplänen laut geworden war. Dieser unionsinterne Streit scheint nach der Einigung vom Freitag beigelegt zu sein.

 

Kretschmann sagte, er teile die Einschätzung vieler Unternehmer, dass Baden-Württemberg die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften benötigt. Dies gelte für Hochqualifizierte wie auch für Geringqualifizierte. In vielen Branchen herrsche schon jetzt ein eklatanter Mangel an Fachkräften, aber auch an gering Qualifizierten. Dies wirke wachstumshemmend.

Allerdings ist Kretschmann der Gesetzentwurf der großen Koalition an einigen Stellen zu restriktiv. So vermisst er eine Regelung für Geringqualifizierte. „Man sollte verankern, dass Geringqualifizierte, die vorab einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben, zeitlich befristet bei uns arbeiten dürfen.“ Für solche Arbeitskräfte gebe es einen Bedarf in der Wirtschaft. Für sie sollten klare Kontingente festgelegt werden.

Vorbild Westbalkanregelung

Kretschmann verweist auf die spezielle Regelung, die 2015 für Westbalkanflüchtlinge beschlossen worden war. Damit sollte einer streng gesteuerten Zahl von Migranten aus Serbien, Bosnien oder dem Kosovo ein Korridor für eine legale Arbeitsaufnahme gegeben werden, um sie vom Asylrecht fernzuhalten. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht“, sagte der Ministerpräsident. Allein im vergangenen Jahr habe die Bundesagentur für Arbeit in 70 000 Fällen die Zustimmung zur Beschäftigung in Deutschland erteilt, davon fast 18 000 für Baden-Württemberg. Diesem Zuwachs erwerbsbezogener Zuwanderung – gerade auch in Tätigkeiten, die keine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern – entspreche ein Rückgang von Asylanträgen aus dem Westbalkan.

„Diese Regelung könnte beispielhaft für Einwanderungsregelungen mit anderen Ländern sein“, sagte Kretschmann. Sie diene auch dem Ziel, Ordnung in die Debatte zu bekommen. Und das bedeute, zwischen Flucht und Asyl auf der einen Seite und Arbeitsmigration auf der anderen Seite klar zu trennen. „Sonst besteht die Gefahr, dass das Asylrecht auf Dauer erdrückt wird.“ Es mache auch – schon aus Eigeninteresse – keinen Sinn, Menschen abzuschieben, die seit Jahren in Deutschland lebten, einer Arbeit nachgingen, Deutsch sprächen und Kinder in der Schule hätten.

Für solche Fälle sieht die Bundesregierung eine Beschäftigungsduldung vor. Doch die Hürden, eine solche Duldung zu erhalten, sind Kretschmann zu hoch. Denn der Antragsteller muss mindestens 18 Monate in einem sozialversicherungspflichtigen Job stehen – mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Stunden. Das geforderte Sprachniveau war ursprünglich mit der Kompetenzstufe B1 sehr hoch angelegt. Nun gilt: Der Beschäftigte muss mündlich A2 vorweisen, bei einem möglichen Übertritt nach zwei Jahren in eine Aufenthaltserlaubnis gilt bei Ehepaaren für beide Partner mündlich A2, einer muss auch schriftlich die deutsche Sprache auf diesem Niveau beherrschen. „Natürlich muss sich eine Küchenhilfe mit den Kollegen gut auf Deutsch verständigen können“, sagte Kretschmann, aber sie muss keine fehlerfreie Briefkorrespondenz führen können.“

Kretschmann für Stichtagsregelung

In einem Punkt ist der Chef der grün-schwarzen Regierung strenger als Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der beim Berliner Gesetzentwurf federführend ist. Kretschmann plädiert nämlich für eine klare Stichtagsregelung. Nach den Berliner Gesetzesplänen kann auch künftigen Geduldeten die Möglichkeit einer Beschäftigungsduldung eröffnet werden. „Mit Blick auf eine klare Trennung zwischen Asylrecht und Arbeitsmigration erscheint mir das nicht konsequent.“

Eine Stichtagsregelung ermöglicht Migranten ein Aufenthaltsrecht, die bereits seit mehreren Jahren in Deutschland leben, einer unbefristeten Beschäftigung nachgehen und gut integriert sind. Kretschmann sagte, für Menschen, für welche die Unternehmer in den Jahren der Flüchtlingskrise Verantwortung übernahmen, sollte eine einfache Stichtagsregelung ohne zu hohe gesetzliche Anforderungen gelten. Da ein Stichtag nur rückwirkend greife, löse er auch keine Anziehungskraft für die Zukunft aus. Eine solche Regelung schaffe keine Anreize für eine weitere Migration über das Asylrecht. „Wir brauchen eine klare Trennung zwischen humanitärer und wirtschaftlicher Zuwanderung.“