Der Saal, in dem der Landgerichtsprozess der 8. Großen Strafkammer am ersten Verhandlungstag stattfindet, ist eigentlich zu klein für alle Beteiligen. Denn neben den Richtern, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft und den beiden Angeklagten, die in weißen Hemden und beigen Pullovern in Handschellen vorgeführt werden, müssen auch zwei Dolmetscher und fünf Rechtsanwälte ihren Platz finden.
Die angeklagten Brüder sind 32 und 37 Jahre alt
Die Vorwürfe, die gegen die beiden 37 und 32 Jahre alten Angeklagten erhoben werden, sind erheblich und scheinen geeignet, das Vertrauen in öffentliche Institutionen zu erschüttern. Gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung in 561 Fällen sowie Einschleusen von Ausländern wirft die Staatsanwaltschaft dem Brüderpaar vor, ein dritter laut Anklage ebenfalls beteiligter Bruder ist derzeit für die deutsche Justiz nicht greifbar.
Die Anklagebehörde geht davon aus, dass die Brüder von 2022 bis zur ihrer Verhaftung im Dezember 2023 im großen Stil Dokumente gefälscht haben, um Ausländern einen Aufenthaltstitel oder die Einbürgerung zu ermöglichen. Bei den Fälschungen soll es sich um Sprachzertifikate, Bescheinigungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, aber auch Nachweise für den Führerschein für Gabelstapler und Bagger gehandelt haben. Im Durchschnitt sollen die Angeklagten 2300 Euro pro Fälschung erhalten haben. Die Interessenten hätten zunächst eine Anzahlung gemacht, bei der Dokumentenübergabe – häufig in einem Café in Backnang oder einer Sprachschule in Ellwangen – sei der Restbetrag beglichen worden. Dass die Dokumente mit der Post versandt wurden, sei eher die Ausnahme gewesen.
Der Schaden wird auf 880 000 Euro geschätzt
Die Staatsanwaltschaft geht derzeit von einem nachweisbaren Schaden von rund 880 000 Euro aus. Abnehmer der Falsifikate waren nach Angaben eines Pressesprechers des Landgerichts Stuttgart ganz überwiegend Personen in Baden-Württemberg und Bayern. Auf die Spur der Brüder waren die Ermittlungsbehörden durch einen anonymen Hinweis gekommen.
Die Angeklagten, die in Aspach gewohnt haben und von Beruf CNC-Dreher und Gerüstbauer sind, wollten sich auf Anraten ihrer Anwälte am ersten Verhandlungstag weder zu ihren Lebensläufen noch zu den Tatvorwürfen äußern. Am 20. Juni sollen zwei Polizeibeamte als Zeugen aussagen, die bei Durchsuchungen dabei waren. Insgesamt hat das Landgericht Stuttgart sieben weitere Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil soll am 20. August verkündet werden.
Derartige Fälle kommen nach Informationen der Presseagentur dpa zwar vor, sind aber selten. Bekannt sind unter anderem Versuche, Betrüger mit guten Deutschkenntnissen zu den für die Einbürgerung erforderlichen Sprachtests zu schicken. Wiederholt gerieten auch Sprachschulen in die Schlagzeilen, weil sie Einwanderern beim Schummeln in Sprachtests für wichtige Zertifikate geholfen oder über Täuschungen hinweggesehen haben sollen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) äußerte sich bislang nicht dazu, wie es im Stuttgarter Fall auf die mutmaßlich gefälschten Dokumente reagiert, und ob es etwa Aufenthaltstitel einkassiert, sollten diese durch Fälschung erlangt worden sein.
30 Fragen zum politischen System Deutschlands
Seit 2008 muss jeder Zuwanderer einen Sprachtest ablegen, wenn er den deutschen Pass haben möchte. Außerdem muss ein bundeseinheitlicher Einbürgerungstest mit mehr als 30 Fragen vor allem zur Geschichte und dem politischen System Deutschlands bestanden werden. In Baden-Württemberg sind nach Angaben des Statistischen Landesamtes im vergangenen Jahr 22 745 Ausländerinnen und Ausländer eingebürgert worden. Das waren zum Jahresende 8,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor und so viele wie seit dem Jahr 2002 nicht mehr.
Mit Abstand am häufigsten erhielten Menschen aus Syrien den deutschen Pass, auch Einbürgerungen von irakischen und afghanischen Staatsangehörigen waren häufiger als in den Vorjahren. Grund sind die hohen Zuwanderungszahlen aus diesen Ländern in den vergangenen Jahren.