Der Eishockey-Profi räumt in der NHL in dieser Saison die Auszeichnungen nur so ab, jedoch vermisst der Kölner noch einen ganz wichtigen Titel. Aber mit 24 hat man eben noch Luft nach oben.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Edmonton/Stuttgart - Die Geschichte kann unter Umständen ziemlich verzwickt werden. In der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL gibt es zwei besonders wichtige Auszeichnungen: der Titel „wertvollster Spieler“ (MVP) sowie den Ted-Lindsay-Award, benannt nach dem Eishockey-Profi, der maßgeblich an der Einführung der Spielergewerkschaft NHLPA beteiligt war. Jede Auszeichnung ist für sich ohne jeden Abstrich ehrenvoll und eine wahre Zier für den Träger, jedoch lauert bei den beiden Wahlen eine gefährliche Fallgrube. Der Titel MVP wird nach einer Wahl der Sportjournalisten vergeben, die Abstimmung beim Ted-Lindsay-Award nehmen die Spieler selbst vor – und nicht selten stellt sich daher die Frage, welcher Titel denn den wertvolleren darstellt.

 

In diesem ohnehin wegen Corona besonderen Eishockey-Jahr müssen sich die Fachleute und Fans des Pucksports dies- und jenseits des Atlantiks nicht in endlosen Diskussionen aufreiben. Leon Draisaitl wurde von den Journalisten zum MVP gewählt, die NHL-Kollegen haben dem Kölner den Ted-Lindsay-Award verliehen. Damit dürfte zweifellos und unangreifbar feststehen: Leon Draisaitl, 24, unter Vertrag bei den Edmonton Oilers, war in der regulären Saison der beste Eishockey-Spieler der Welt. „Das ist eine riesige Sache. Dafür arbeitet man hart, so viele Dinge müssen genau richtig laufen“, freute sich der Mittelstürmer, „das ist natürlich eine große Ehre. Und es ist etwas Besonderes, die Anerkennung von den Kollegen zu bekommen, gegen die du das ganze Jahr spielst.“ Übrigens: Die Art-Ross-Trophy als bester Punktesammler der Hauptrunde hatte Leon Draisaitl davor schon abgeräumt.

Wayne Gretzky überbringt die frohe Botschaft

Der Oilers-Mann setzte sich im Kampf um die Hart-Memorial-Trophy für den wertvollsten Spieler mit 1309 Stimmen gegen Nathan MacKinnon (1162) und Artemi Panarin (889) durch – der 42-malige Nationalspieler ist der erste deutsche Kufencrack, der diese Auszeichnungen eingesammelt hat. Vier seiner Landsleute gingen da leer aus, hinterließen jedoch auch gehörig Eindruck in der NHL. Uwe Krupp gewann als erster Legionär aus Germany 1996 den Stanley Cup, er schoss im Finale das entscheidende Tor zum Triumph von Colorado Avalanche. Der Schwarzwälder Dennis Seidenberg triumphierte 2011 mit den Boston Bruins, Tom Kühnhackl folgte 2016 und 2017 mit den Pittsburgh Penguins, und Philipp Grubauer war im Tor der Washington Capitals 2018 der erste deutsche Goalie mit dem Stanley Cup.

Standesgemäß wurde die Botschaft verkündet, von „The great one“, von Wayne Gretzky, 59, Übervater aller Eishockeyspieler, neunmaliger MVP zwischen 1980 und 1989 und Vorfahre von Draisaitl als begnadeter Stürmer der Edmonton Oilers. Gretzky informierte den Kölner persönlich per Videoanruf über seine Auszeichnung, das macht der Kanadier kaum bei jedem, der einen einigermaßen vorzeigbaren Preis im Eishockey gewonnen hat. Franz Reindl, ein paar Stufen unter Gretzky in der globalen Hierarchie, aber immerhin Bronzemedaillen-Gewinner bei Olympia 1976 und womöglich bald Präsident des Weltverbands IIHF, freute sich fast so euphorisch wie der Ausgezeichnete selbst. „Leon hat auf höchstem Niveau konstant Topleistungen gezeigt. Superlative sind dafür angemessen und es erfüllt auch den Verband mit großem Stolz, einen solchen Ausnahmesportler zu haben“, sagte Chef des Deutschen Eishockey-Bundes, „das ist ein außergewöhnlicher Tag für das deutsche Eishockey.“

Zweimal wurde Leon Draisaitl degradiert

Längst ist Draisaitl in Deutschland zum Gesicht seiner Sportart geworden, nach Basketball-Heros Dirk Nowitzki ist er der zweite Deutsche, der in Nordamerika zum besten Ligaspieler gewählt wurde. 2012 war er dort angekommen, hatte sich in Nachwuchsligen hochgearbeitet und erhielt 2014 einen Vertrag in Edmonton – doch der Himmelsstürmer landete nicht nur einmal hart. Nachdem er 37 NHL-Partien bestritten hatte, wurde er im Januar 2015 zurück ins Juniorenteam Prince Albert Raiders geschickt, kurz darauf zum Ligakonkurrenten aus Kelowna transferiert. Zu Beginn der Saison 2015/16 stand Draisaitl bei allen Testspielen der Oilers auf dem Eis, einen Tag vor der endgültigen Kaderbekanntgabe wurde er zum zweitklassigen AHL-Farmteam Bakersfield Condors abkommandiert. Ende Oktober 2015 holten ihn die Oilers zurück – nun setzte er sich endgültig als Mittelstürmer durch und wird mittlerweile mit gut sieben Millionen Euro pro Jahr entlohnt.

Doch um zu Einem zu werden, der in einem Atemzug mit Gretzky genannt wird, fehlt Draisaitl noch etwas. Der Stanley Cup, der Titel des NHL-Champions. Diese Saison sind die Oilers in der Qualifikation zu den Play-offs an den Chicago Blackhawks gescheitert. „Wenn ich diese zwei oder drei Auszeichnungen zurück geben könnte für einen Stanley Cup, würde ich das binnen eines Herzschlages machen“, bekannte Leon Draisaitl. Mit 24 darf es noch ein bisschen Luft nach oben geben.