Zwei Männer wollen den ganzen Neckar herunterkraulen – bis zur Mündung in den Rhein. Der StZ-Redakteur Martin Tschepe ist einer dieser beiden Extremschwimmer.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ludwigsburg - Manche nennen uns Extremschwimmer. Andere sagen breit grinsend: Richtig, ihr zwei seid echt extrem – extrem bescheuert. Vermutlich stimmt beides. Sicher werden wir uns noch selbst verfluchen wegen dieser Schnapsidee, die seit Jahren in unseren Köpfen herumspukt: Am Samstag, 13. Juni, wird es für uns in Sulz am Neckar bierernst. Dann gibt es kein Zurück mehr.

 

Volker Heyn, der Vorsitzende des SV Ludwigsburg, und ich, der StZ-Redakteur Martin Tschepe, wollen den Neckar bezwingen. Nicht zu Fuß oder auf dem Radsattel immer am Ufer entlang. Auch nicht in einem Kanu oder einem Ruderboot. Wir wollen schwimmen, gut 300 Kilometer weit kraulen. Bis zur Mündung des Flusses in den Rhein. Wir werden in Sulz starten. Zwischen der Neckarquelle bei Schwenningen und Sulz ist der Fluss nämlich leider nicht viel mehr als ein trauriges Rinnsal. Diesen Abschnitt werden wir notgedrungen auf dem Rad zurücklegen, der Neckar ist hier beim besten Willen noch nicht schwimmbar.

Am ersten Tag werden wir die Fahrräder gegen Mittag nach etwa 60 Kilometern in Sulz im Rathaus abstellen, ins Wasser steigen und dann täglich im Durchschnitt geschätzt 30 Kilometer zurücklegen. Zehn mal 30 Kilometer. Unser Minimalgepäck werden wir in wasserfesten Säcken hinter uns herziehen: T-Shirt, Hose, Handy, Handtuch, Zahnbürste, Kreditkarte und ein bisschen Bargeld, viel mehr wird nicht reinpassen. Wir haben keine Begleiter an Land, würden aber gerne bei Privatleuten unterkommen, die wir größtenteils bis dato noch nicht kennen. Wo wir essen werden? Keine Ahnung. Wir werden am Ufer schon alle paar Stunden ein Gasthaus oder zumindest eine Imbissbude finden. Oder nette Menschen, die uns etwas zustecken, vielleicht eine Banane oder ein belegtes Brötchen oder eine Cola.

Ehrgeiziger Zeitplan

Die ersten Stationen haben wir zwar grob ins Visier genommen, wissen aber nicht, ob der ehrgeizige Zeitplan einzuhalten ist. Am ersten Tag haben wir vor, nach der Radtour noch bis nach Horb zu kraulen – rund 15 Kilometer – und im Gasthof zum Schiff abzusteigen. Der Name passt doch ganz gut zu so einem Flussprojekt. Am Sonntag dann die längste Etappe, rund 40 Kilometer bis Tübingen, allerdings mit ordentlich Rückenwind. Bis Plochingen dürfte uns die Strömung des Neckars beim Vorankommen helfen. Später ist der Fluss schiffbar, die vielen Schleusen bremsen seine Fließgeschwindigkeit fast auf null.

Am Montag wollen wir in Neckarhausen bei Nürtingen ankommen, wo uns mein Redakteurskollege Thomas Faltin für die Nacht aufnimmt. Ganz dick im Kalender markiert ist der Donnerstag, 18. Juni. An diesem Tag wollen wir gerne in Ludwigsburg Station machen, auf dem Gelände unseres Schwimmvereins direkt am Neckarufer, inklusive Fest für alle, die uns treffen wollen. Am folgenden Freitag nehmen uns Freunde im Kirchheim auf. Alles Weitere wird sich schon ergeben. Wir sind und bleiben optimistisch. Ein paar andere Schwimmer wollen uns abschnittsweise im Neckar begleiten. Gerne. Am allerliebsten wären uns freilich Mitschwimmer, die uns nach der Tagesetappe für die kommende Nacht gleich zu sich nach Hause einladen.

Wir haben mehrere Sponsoren. Einer dieser Gönner hat versprochen, alle Übernachtungen am Neckarufer zu bezahlen. Das Geld, das wir sparen, falls wir privat unterkommen sollten, fließt komplett in die Spendenkasse. Wir sammeln nämlich für ein Schwimmangebot für behinderte Menschen in Ludwigsburg.

Von der Idee bis zur Umsetzung

„Bahn9“ haben wir unser Neckar-Projekt getauft. Denn „Bahn neun“ hat der Bademeister im Freibad in Ludwigsburg-Hoheneck, das direkt am Neckar liegt, früher immer kurz vor Badeschluss gesagt. Wer jetzt noch schwimmen wolle, nach der Schließung der acht Bahnen des 50-Meter-Sportbeckens, so der Mann in Weiß augenzwinkernd über die Lautsprecheranlage, der könne gerne auf die Bahn daneben ausweichen. Sprich: im Neckar weiterschwimmen. Lange her.

Damals, Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, war der Fluss noch richtig dreckig, meterhohe Schaumkronen vor den Schleusentoren schreckten ab. In dieses Wasser wollte ganz bestimmt niemand freiwillig reinspringen. Wir haben das Angebot des Bademeisters deshalb auch lieber nicht angenommen – und doch gelegentlich darüber gesprochen, wie es wohl wäre, wenn wir im Neckar schwimmen würden. Die Idee war also seit Langem im Kopf, und irgendwann muss so eine Idee halt mal raus aus dem Schädel.

Jahre später war es dann so weit. 2008 feierte der Schwimmverein Ludwigsburg seinen 100. Geburtstag und richtete erstmals ein Neckarschwimmen aus – als Reminiszenz an die guten alten Zeiten. Denn in den Anfangsjahren des Vereins haben die Schwimmer im Neckar trainiert und auch so manchen Wettkampf in dem Fluss bestritten. Seit 2008 geht jeden Sommer ein Neckarschwimmen über die Bühne für Leistungssportler und Hobbyschwimmer, mit Start und Ziel beim Bootssteg der Kanuten . Volker und ich trainieren seither oft im Neckar – regelmäßig von Mitte April bis in den Oktober hinein. Und gelegentlich sogar im tiefsten Winter.

Reine Kopfsache

Im Herbst 2013 haben wird uns zusammen mit Reiner Koch, dem Enkel von einem der Gründer des Ludwigsburger Schwimmvereins, am landesweiten Neckaraktionstag beteiligt. Wir sind vom Freibad aus fast durch den ganzen Kreis Ludwigsburg gekrault, vorbei an Marbach und Benningen, Mundelsheim und Besigheim bis nach Kirchheim – 30 Kilometer weit. Wir waren begeistert. Auch ein paar Schaulustige kamen, darunter der Kirchheimer Bürgermeister. Volker damals: „Das war voll geil, viel besser als in einem See – weil: es scheint nie aufzuhören.“ Dann der spontane Vorschlag: „Das nächste Mal schwimmen wir den ganzen Neckar runter.“

Am Samstag also beginnt dieses nächste Mal. Wir wollen mit der Aktion zeigen, dass es möglich ist, verrückte Ideen zu verwirklichen. Dass man kein Profischwimmer sein muss, um bis Mannheim zu kraulen. Dass viele sportliche Leistungen reine Kopfsache sind. Ich habe immer gesagt: In dem Jahr, in dem ich 50 werde, mache ich was Cooles.

Nun ist es so weit. Unser langjähriger Trainer Hans Trippel hat uns früher vom Beckenrand aus immer beherzt zugerufen: „Ich kann, ich will, ich muss.“ „Bahn9“ ist auch eine Hommage an diesen Ludwigsburger Trainer – und an unseren Fluss, an dessen Ufer wir groß geworden sind.

Ein guter Zweck als Motivation

Unbedingt wollen wir auch unser zweites Ziel erreichen: das Startkapital für das Behinderten-Schwimmprojekt beschaffen. Wir haben uns mit dem Württembergischen Behinderten- und Rehabilitationssportverband zusammengesetzt und sind zurzeit dabei, ein Konzept zu erarbeiten. Vielleicht steigt die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg in die Planung mit ein.

Zunächst aber müssen wir weit schwimmen und in Mannheim ankommen. Wir haben ordentlich trainiert, in den vergangenen Wochen täglich – oft im Neckar. Zur Vorbereitung sind wir bei ungewöhnlichen Wettbewerben gestartet, zum Beispiel bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften im Wildwasserschwimmen auf einer Kajakstrecke im tosenden Inn. Die ersten Ice Swimming German Open im Januar 2015 in Bayern waren eine ganz besondere Herausforderung: Nur mit einer Badehose und einer Kappe bekleidet schwammen wir bei weniger als fünf Grad Wassertemperatur im Wöhrsee.

Viele Unwägbarkeiten

Während der Neckarlängsquerung warten einige Unannehmlichkeiten auf uns. Wir müssen alle Wehre und Schleusen im Fluss frühzeitig erkennen und umgehen. Dafür haben wir einen Kanuführer im Gepäck, der fast jeden Meter genau beschreibt. Wir müssen auf den Schiffsverkehr achten und immer möglichst nah am Ufer bleiben. Die Transportschiffe können nämlich nicht ausweichen. Und die Kapitäne der Sportboote erwarten vermutlich auch keine Schwimmer im Neckar. Ob wir den Fluss zwischen Heidelberg und Mannheim, wo der Fluss besonders schmal und das Verkehrsaufkommen besonders hoch ist, tatsächlich schwimmend bezwingen können, auch das muss sich noch zeigen.

Wenn alles nach Plan läuft, dann sind wir am Mittwoch, 24. Juni, am Ziel. Und wenn alles etwas länger dauern sollte: auch egal. Wir haben die Idee ja seit mehr als drei Jahrzehnten im Kopf. Da kommt es auf den einen oder anderen Tag zusätzlich im Neckar auch nicht mehr an. Also los, let’s rock the River! Ich freue mich extrem darauf.