Strahlende Sieger: Beim Weltcup im finnischen Ruka feierten Johannes Rydzek (Mi.), Julian Schmid (li.) und Vinzenz Geiger (alle SC Oberstdorf) einen völlig überraschenden Dreifach-Erfolg. Foto: dpa/Markku Ulander
Die nordischen Kombinierer erleben dank der Siege von Johannes Rydzek und Vinzenz Geiger einen Saisonstart, den sie nicht für möglich gehalten hatten – und zugleich bangt eine ganze Sportart um ihre Zukunft.
Jochen Klingovsky
02.12.2024 - 17:01 Uhr
Wer aus dem Tal der Tränen kommt, bei dem schimmern die Augen manchmal auch dann noch feucht, wenn wieder ein Gipfel erklommen ist. Eric Frenzel, Johannes Rydzek und Vinzenz Geiger wussten nach dem Saisonauftakt der nordischen Kombinierer in Ruka/Finnland jedenfalls nicht, wohin mit ihren Gefühlen. Es war einfach zu viel passiert, mit dem sie nicht gerechnet hatten.
Der Winter 2023/24 ist ziemlich ernüchternd gewesen für das deutsche Team. Unter dem neuen Bundestrainer Eric Frenzel, der die Kombination als Aktiver dominiert hatte, gab es im Weltcup keinen einzigen Sieg – die drei Podestplätze reichten nicht, um den eigenen Ansprüchen zu genügen. Die miese Bilanz lag zum einen an Superstar Jarl-Magnus Riiber (Norwegen), der fast alles abräumte, aber auch an der eigenen Schwäche auf der Schanze. Jetzt? Ist plötzlich alles anders.
Eric Frenzel ist völlig überwältigt
Beim Weltcup-Start in Ruka fanden drei Wettbewerbe statt, und schon jetzt hat das DSV-Team durch Rydzek und Geiger zwei Siege eingefahren, am Samstag gab es zudem erstmals seit den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang wieder einen Dreifach-Erfolg: Rydzek siegte vor Julian Schmid und Geiger (alle SC Oberstdorf). Insgesamt holten die Deutschen sieben (!) von neun möglichen Podiumsplatzierungen. „Das kann man sich nicht besser wünschen“, sagte Frenzel völlig überwältigt, „es ist genial, großartig und macht uns stolz. Es war ein sehr, sehr guter Einstieg.“ Ähnlich euphorisch war Vinzenz Geiger – der Olympiasieger von Peking hatte sich erstmals in seiner Karriere das Gelbe Trikot des Weltcup-Führenden überstreifen dürfen. „Damit“, sagte er, „ist ein Traum in Erfüllung gegangen.“ Und dann gab es noch die Emotionen von Johannes Rydzek.
Bundestrainer Eric Frenzel Foto: Imago/C/hristian Heilwagen
In Finnland hat der Routinier den größten Erfolg seiner Karriere gefeiert: 2017 holte er bei der WM in Lahti alle vier möglichen Titel. Es folgte olympisches Doppel-Gold in Pyeongchang – und nach seinem Weltcup-Sieg 2019 in Val di Fiemme eine lange Durststrecke. 2150 Tage oder fast sechs Jahre stand Rydzek nicht mehr auf dem obersten Podest. „Was für ein Wahnsinn!“, jubelte er nun nach seinem Triumph in Ruka, „heute sind unglaublich schöne Dinge passiert.“
Johannes Rydzek feiert mit seiner Schwester
Erst ein 142-Meter-Flug, dann ein einsamer Lauf an der Spitze. „Die letzte Runde habe ich genossen“, sagte Rydzek, der mit der Deutschland-Fahne ins Ziel gelaufen und dort seiner Schwester Coletta in die Arme gefallen war. „Ich hatte in den letzten Jahren so viele harte Momente, umso schöner ist dieser hier“, sagte er später, und die Emotion war unüberhörbar. „Ich bin unglaublich dankbar.“ Der Kampf geht trotzdem weiter.
Am nächsten Wochenende starten die Kombinierer in Lillehammer. Aber der Blick der Athleten geht schon über die Wettkämpfe in der Olympia-Stadt von 1994 hinaus. Weil ihre Perspektive nicht die beste ist.
Im Juni nächsten Jahres entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC), ob die Kombination der Männer im Programm der Winterspiele 2030 verbleibt. Nachdem den Kombinierinnen die Zulassung für Mailand 2026 verweigert worden ist, befürchten die Athleten, dass die Herren der Ringe die Ausgewogenheit der Geschlechter, auf die sie so viel Wert legen, nun wiederherstellen könnten, indem sie die drei Wettbewerbe der Männer streichen. Insofern wäre es wichtig, in diesem Winter stark besetzte, spannende Wettbewerbe mit möglichst vielen Siegern aus unterschiedlichen Nationen zu bieten, die auf ordentliche TV-Quoten kommen. Doch stattdessen gibt es Streit – über den ausgedünnten Terminkalender.
Harte Kritik von Vinzenz Geiger in den sozialen Medien
Den Anfang machte Vinzenz Geiger. „Du warst offenbar extrem beschäftigt – mit Nichtstun“, attackierte der Olympiasieger in den sozialen Medien Lasse Ottesen, den Renndirektor des Ski-Weltverbandes (Fis). Ausgerechnet „in dieser Zeit“, in der die Zukunft der gesamten Sportart auf dem Spiel stehe, sei die Chance, sich zu präsentieren, „noch schlechter geworden“. Die Werbetrommel rühren für sich und ihre Sportart können die Kombinierer im Winter 2024/25 tatsächlich nur an acht Weltcup-Wochenenden, weniger waren es zuletzt vor 14 Jahren.„Das ist kein gutes Zeichen“, kritisierte Geiger auch im Podcast „Ski happens“. Sollte das IOC den Daumen senken, würde es mit der Kombination „sehr schnell steil bergab gehen“.
Besonders düster sieht es im Januar aus: Gleich an drei Wochenenden haben die Kombinierer frei, da in Val di Fiemme an den Schanzen gebaut wird, das japanische Hakuba aus finanziellen Gründen zurückzog und es auch dem sächsischen Klingenthal, das einspringen wollte, an Geld fehlt. „Für die Kombination ist es nicht das beste Bild, wenn es im Januar nur einen Wettkampf gibt“, sagte auch Ex-Weltmeister Johannes Lamparter (Österreich) bei „Ski happens“ – denn dies sei erfahrungsgemäß der Monat mit den besten TV-Quoten für Ski-Wettbewerbe.
Ottesen will lieber gemeinsam einen Kaffee trinken
Fis-Funktionär Ottesen war übrigens wenig begeistert von Geigers Kritik. „Ich habe kein Problem, wenn er zu mir kommt, wir einen Kaffee trinken und direkt und offen sein können“, sagte der Norweger, „aber selbstverständlich sollten wir solche Kommentare nicht öffentlich machen.“ Ob es bald ins nächste Tal der Tränen geht?