Die Kirchenasyl-Debatte mit dem Innenminister ist für Pfarrer Waßmer Pflicht – denn er beherbergt im Kirchturm im Pfronten zwei Syrer.

Pfronten - Die Glocke hat Pfarrer Andreas Waßmer abgestellt, sie läutet seit Monaten nur noch vor den Gottesdiensten. „Das wäre zu heftig gewesen für unsere Gäste“, sagt Waßmer lachend und führt die Stufen hinauf in den Turm der Auferstehungskirche in Pfronten, ein Bau aus den Sechzigerjahren, außen wehrhaft-düster, innen verwinkelt-heimelig. Waßmer klopft an die Tür neben einem Fitnessgerät und tritt ein. Wo sonst Konfirmanden geschult werden und der Kirchenvorstand tagt, sind zwei Syrer eingezogen. Der Turm ist ihre letzte Rettung und ihr Gefängnis zugleich. Sie dürfen das Grundstück der evangelischen Kirchengemeinde nicht verlassen, sonst könnten sie aufgegriffen und abgeschoben werden. Sie haben auf der monatelangen Flucht in die Freiheit ihre Fingerabdrücke in Ungarn hinterlassen, dorthin sollen sie zurück, sagen die deutschen Behörden. „Das wäre unmenschlich, ihnen drohen Misshandlungen“, widerspricht Pfarrer Waßmer und hat die beiden im März aufgenommen – das erste Kirchenasyl im Allgäu.

 

Das Podium zum Kirchenasyl ist Pflichtprogramm

„Für uns war es glasklar, dass wir das machen“, sagt Waßmer und sitzt an diesem Freitag mit dem rot-weißen Kirchentagsschal um den Hals und einer Trinkflasche im Rucksack als Zuhörer in der Podiumsdiskussion „Letzte Zuflucht Kirchenasyl“. Es ist heiß in der Alten Kelter in Fellbach, vorne wedeln sich die Gäste mit den Programmen Luft zu. Weiter hinter sind viele Papphocker leer geblieben. „Schade, dass sich nicht mehr für so ein wichtiges Thema interessieren“, ärgert sich der Pfarrer, der von seiner Frau auf den Kirchentag begleitet wird. Er ist vor allem gespannt auf Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Hatte jener doch Anfang des Jahres den Kirchen vorgeworfen, sich gegen geltendes Recht zu stellen und das Kirchenasyl zu missbrauchen. Wenn Gerichte eine Beendigung des Aufenthalts der Flüchtlinge bestätigten, dann könne die Kirche sich dem nicht widersetzen, sagte er damals und es brach ein Streit los, der in einem Kompromiss der Bundesregierung und der christlichen Kirchen mündete. Die Regierung verzichtete vorerst auf verschärfte Abschiebungsregelungen und die Kirchen versprachen, besonders heikle Fälle noch einmal mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verhandeln, bevor ihnen Kirchenasyl gewährt würde.

Der Minister über Rechtsstaatlichkeit und Barmherzigkeit

Auf dem Podium schlägt der Minister versöhnlichere Töne an. „Dass ein Verfassungsminister in einem Rechtsstaat zu einem Akt des zivilen Ungehorsams nicht Beifall klatscht, ist schon ok“, sagt de Maizière und warnt vor einer „übermäßigem Inanspruchnahme des Kirchenasyls“. Fast im gleichen Atemzug spricht er von „zwei Seelen in seiner Brust“, von zwei Prinzipien, die aufeinanderprallten – dem der Rechtsstaatlichkeit und dem der Barmherzigkeit. Der Minister zeigt in Einzelfällen Verständnis für die seit Jahrhunderten existierende Institution und hofft darauf, dass sich das Vertrauensverhältnis zu den Kirchen verfestige. Nicht fassen kann er allerdings, dass in einigen Gemeinden bereits Vorhaltebeschlüsse für die Gewährung von Kirchenasyl getroffen wurden – ganz ohne konkrete Anfragen.

„Ein böser Bube sieht anders aus“, kommentiert Pfarrer Waßmer die Einlassungen des Ministers und freut sich über dessen Bereitschaft zum Dialog. „Der Staat möchte in Sachen Kirchenasyl keine Konfrontation“, lobt Waßmer, „und wir übrigens auch nicht.“ Enttäuscht ist der Pfarrer jedoch von Hans Michael Heinig, Verfassungs- und Kirchenrechtler aus Göttingen – einer der sich selbst auf dem Podium als Advocatus Diaboli bezeichnet. „Die Kirche übernimmt sich, wenn sie als Korrektivposten des staatlichen Rechts agieren will“, warnt er und zählt Beispiele auf, wo die Flucht unters Kreuz Pfarrer in Bedrängnis gebracht hat. Zu groß sei der Zeitdruck gewesen, zu schlecht die Aufklärung im Vorfeld, zu voreilig die getroffene Entscheidung. Die Betreuungsintensität in den Landeskirchen sei leider sehr unterschiedlich.

Die Verständigung in Pfronten klappt mit den Händen

Zurück in Pfronten, auf Besuch im Kirchturm: Es ist eine freudige Begrüßung, auch wenn sie einander kaum verstehen. Pfarrer Waßmer klopft Aiman, früher Chefkoch eines Restaurants in Damaskus, auf die Schulter. Der 42-Jährige im Jogginganzug bemüht die paar Brocken Deutsch, die er schon kann. Jeden Tag erhält er eine Stunde Unterricht von Ehrenamtlichen. Sie reden mit den Händen und den Augen, klicken sich durch das Arabisch-Wörterbuch auf dem Handy des Pfarrers. Unterm Bleiglasfenster steht Aimans Bett, eine Wendeltreppe höher wohnt der 26-jährige Mohamad. Gemeinsam sind sie auf dem Landweg nach Deutschland geflohen. Aiman hat seine Frau und fünf Kinder in einem Zeltlager in der Türkei zurückgelassen. Alle paar Tage telefoniert er mit ihnen oder schickt Handynachrichten, mehr Kontakt hat er nicht. Das macht ihn mürbe. Die Ringe unter seinen Augen sind dunkel und groß. Das Warten und Nichtstun setzt ihm zu. Ihm bleibt der Blick auf die traumhaften Berge, erreichbar sind die Gipfel vorerst nicht. Ein halbes Jahr müssen die Flüchtlinge durchhalten, dann ist die offizielle Überstellungsfrist vorbei, und der Asylantrag kann in Deutschland gestellt werden.

Mindestens 430 Kirchenasyle gab es nach Kirchenangaben im vergangenen Jahr. 2015 liegt die Zahl bereits bei 251 Fällen mit 460 Personen. Etwa ein Drittel ist allein in Bayern zu finden, das einerseits besonders rigide abschiebt und wo andererseits eine große humanitäre Bewegung entstanden ist, die Flüchtlingen hilft.

Zwei Helfer kümmern sich ums Wäschewaschen

Ohne Rückendeckung hätte Pfarrer Waßmer die Syrer nicht beherbergt. „Ich breche schließlich staatliches Recht“, sagt er und ist froh, dass sich die bayerische evangelische Landeskirche klar positioniert hat – für die Unterstützung von Flüchtlingen. In einer außerordentlichen Sitzung habe der Kirchenvorstand seiner Gemeinde beschlossen, den beiden Männern ohne legalen Aufenthaltsstatus Asyl zu gewähren, erzählt er. Zwei Helfer kümmerten sich um Alltägliches wie Wäschewaschen oder Einkaufen. Andere hätte eine Dusche installiert und manche kämen einfach mal zum Tischkickern vorbei. „Das läuft alles leichter als erwartet“, sagt Waßmer und hat auch jene beschwichtigt, die sich wunderten, warum Muslime in einer Kirche Unterschlupf erhalten.

Kirchenasyl müsse als Ultima Ratio verstanden werden, die bei Notfällen greife, betont Waßmer. „Wir wollen der Politik helfen, die menschenunwürdigen Lücken, die sich beim Asylrecht aufgetan haben, zu schließen.“ Der Pfarrer kann nicht verstehen, dass es innerhalb von Bayern Verwaltungsgerichte gibt, die einer Abschiebung nach Ungarn zustimmen und andere nicht. So viel Willkür sei schwer zu erklären. Für die Syrer sei sie unzumutbar.