Der Tesla-Chef Elon Musk, einstiger Superstar des Silicon Valley, hat sich eine Menge Probleme eingehandelt. Die Zweifel an seinen Eignung als Unternehmenschef wachsen.

San Francisco - Normalerweise tauschen sich die Tesla-Fahrer vom Model 3 Owners Club in den sozialen Netzwerken über technische Daten oder das neueste Zubehör für ihre schicken Elektroautos aus. Doch kürzlich musste die digitale Fan-Gemeinde eine Pannenhilfe ganz besonderer Art leisten. Mitten in der Nacht hatte ihr Idol ein Stück Weltliteratur getwittert. „Die vernunftgemäße Liebe ist gewiss geistreicher als die echte, wahre Liebe, aber sie kennt bloß Augenblicke der Begeisterung“, zitierte der Ruhelose ohne weitere Erklärung aus dem Gesellschaftsroman „Rot und Schwarz“ von Stendhal. „Elon, es ist 3.30 Uhr in der Früh. Bitte versuche, etwas Schlaf zu finden!“, mahnten die besorgten Model-3-Enthusiasten per Tweet. Der Tesla-Boss war einsichtig. „Ok“, antwortete er kurz darauf.

 

Eine kuriose Begebenheit. Aber lange nicht die wunderlichste Geschichte aus dem Musk-Kosmos. Seit der 47-Jährige vor einigen Wochen aus heiterem Himmel angekündigt hatte, er wolle den Elektro-Autobauer Tesla in einer 72-Milliarden-Dollar-Megatransaktion von der Börse nehmen, hat das Image des Superstars aus dem Silicon Valley mehr als einen Kratzer bekommen. Nach einer 17-tägigen Schleuderfahrt mit einem beunruhigenden Interview in der „New York Times“ nahm er die Entscheidung ebenso unvermittelt wieder zurück. Seither kleben dem Pionier der benzinfreien Mobilität nicht nur aufgebrachte Aktionäre und die US-Börsenaufsicht SEC an den Fersen. Immer offener werden auch Zweifel an der Eignung des erratischen Schnelldenkers zum Unternehmensführer geäußert.

Geduld, Verlässlichkeit und soziale Kompetenz sind ihm fremd

An Drama und Chaos hat es im Leben von Elon Musk nicht gefehlt. „Nächste Frage. Langweilige Fragen von Dummköpfen sind nicht cool!“, fuhr er im Mai bei einer Telefonkonferenz einen Analysten an, der es gewagt hatte, sich nach dem Finanzbedarf von Tesla zu erkundigen. Im Juni ließ er neben der Tesla-Fabrik am Ostufer der San-Francisco-Bay eine Zelt-Montagestraße errichten, um die Stückzahlen beim Mittelklasse-Fahrzeug Model 3 hochzufahren. Der Chef persönlich campierte in der „Produktionshölle“, wie es Mitarbeiter bezeichneten, um die Fertigung zu überwachen, und feuerte nachts die Beschäftigten mit E-Mails zu mehr Leistung an. Als ein paar Wochen später sein Vorschlag, ein U-Boot zur Rettung der in einer thailändischen Höhle eingeschlossenen Jugendlichen einzusetzen, auf keine Gegenliebe stieß, beleidigte er einen der Taucher als Pädophilen.

Musk hat sich der „Beschleunigung des Übergangs zur nachhaltigen Energie“ verschrieben. In 15 Jahren schuf er einen Autohersteller mit 38 000 Beschäftigten und einem Börsenwert, der höher liegt als der vieler traditioneller Automobilhersteller. Er will eine Rakete zum Mars schicken und Autos auf Schienen in unterirdischen Tunnelröhren durchs Land jagen. Doch Geduld, Verlässlichkeit und soziale Kompetenz gehören nicht zu den hervorragenden Eigenschaften des kühnen Visionärs.

So hatte er mit keinem abgesprochen, dass er am 7. August eine regelrechte Bombe zünden würde. An jenem Morgen trainierte er mit seiner Freundin, der kanadischen Musikerin Grimes, zunächst ein wenig im Fitnessraum, setzte sich dann in seinen Tesla Model S und fuhr zum Flughafen. Von unterwegs twitterte er: „Ich erwäge, Tesla von der Börse zu nehmen, für einen Preis von 420 Dollar pro Aktie. Finanzierung gesichert.“ Die überraschende Ankündigung versetzte die Finanzwelt in helle Aufregung. Bis zum Abend schoss die Tesla-Aktie um elf Prozent auf 380 Dollar hoch. Doch rasch fragten die Investoren, wo das Geld für das größte Buy-out der Geschichte herkommen solle. Und weil derart kursrelevante Vorhaben in einem geordneten Verfahren angekündigt werden müssen, meldete sich schon am nächsten Tag die Börsenaufsicht SEC bei dem Milliardär.

„Oft habe ich nur die Wahl zwischen Schlaflosigkeit und Ambien“

Die Gründe für den Plan reichte Musk in einem Memo an seine Beschäftigten nach. Schon lange fühlt sich der Unternehmer von Spekulanten, die auf einen Kursverfall der Papiere wetten, verfolgt. Zudem stört ihn die Verpflichtung, jedes Quartal einen Bericht für die Investoren vorlegen zu müssen. „Als börsennotiertes Unternehmen sind wir wilden Schwankungen unseres Aktienkurses ausgeliefert, die eine große Ablenkung für alle sein können, die bei Tesla arbeiten“, schrieb er. Die wildesten Ausschläge freilich löste Musk höchstpersönlich mit seinem Alleingang und den anschließenden Pirouetten aus. Bald schon wurde bekannt, dass er zwar mit einem saudi-arabischen Staatsfonds über ein Milliarden-Engagement gesprochen hatte, aber keineswegs eine Zusage hatte. Ein Interview, das der Unternehmer dann kurz darauf der „New York Times“ gab, hinterließ einen verheerenden Eindruck. Nur mit Mühe, berichtete die renommierte Zeitung, habe Musk seine Fassung bewahren können. Die Stimme des 47-Jährigen habe mehrfach versagt, seine Emotionen hätten zwischen Lachen und Weinen geschwankt.

Auch wenn eine Tesla-Sprecherin dementiert, dass Tränen geflossen sind, verfestigte sich in dem Interview das Bild eines Mannes, der physisch total erschöpft und psychisch an seine Grenzen gestoßen ist. „Das letzte Jahr war das schwierigste und schmerzvollste meiner Karriere“, gestand Musk. Er berichtete von 120-Stunden-Wochen, von der letzten einwöchigen Auszeit, die er 2001 wegen einer Malaria-Erkrankung nahm, und von Schlafproblemen: „Oft habe ich nur die Wahl zwischen Schlaflosigkeit und Ambien.“ Das starke Schlafmittel kann süchtig machen. Der in dem Schlafmittel enthaltene Arzneistoff Zolpidem ist in Deutschland verschreibungspflichtig und kann Unruhe, Reizbarkeit und Aggressivität hervorrufen. Das könnte die kryptischen nächtlichen Tweets erklären.

Der Aufsichtsrat zweifelt – Musk muss den Rückwärtsgang einlegen

Hingegen betont Musk, dass er nicht unter dem Einfluss von Drogen stand, als er seinen folgenreichen Tweet absetzte: „Ich habe nicht gekifft.“ Marihuana sei „nicht hilfreich für die Produktivität“. Dass er den Kaufpreis der Aktie ausgerechnet auf 420 Dollar festsetzte, begründet er mit „dem guten Karma“ der Zahl – eine zumindest missverständliche Erklärung: „Four-Twenty“ ist in den USA ein gebräuchliches Codewort für den Cannabis-Konsum.

Das böse Erwachen kam kurz darauf. Angesichts des öffentlichen Aufruhrs, der fehlenden Finanzierungszusage und Zweifeln im Aufsichtsrat, ob ausgerechnet eine Ölmonarchie der richtige Partner für ein auf ökologische Nachhaltigkeit bedachtes Unternehmen sei, legte Musk den Rückwärtsgang ein. „Die meisten unserer Aktionäre glauben, dass wir als öffentliches Unternehmen besser aufgestellt sind“, schrieb er im Firmenblog. Er müsse sich nun ganz darauf konzentrieren, die Massenfertigung des Model 3 voranzutreiben und das Geschäft endlich profitabel zu machen. Dann stürzte sich der Workaholic wieder voll ins Geschäft. Von Los Angeles, dem Sitz seines Raketenunternehmens Space X, flog er im Privatjet ins Silicon Valley, nahm zwei Tesla-Ingenieure mit und düste weiter nach Nevada, um in seiner Batteriefabrik zu arbeiten.

Tesla sitzt auf einem Schuldenberg von elf Milliarden Dollar

Zeit, die eigenen Batterien aufzutanken, hat Musk nicht. Zwar stärkte ihm der Aufsichtsrat ausdrücklich den Rücken, doch die Probleme für Tesla sind nach den Chaoswochen riesig. So läuft die für das Unternehmen existenzielle Produktion des Model 3 immer noch nicht reibungslos. Zwar wurde mit monatelanger Verspätung in der letzten Juniwoche das Produktionsziel von 5000 Fahrzeugen erreicht, doch nach US-Medienberichten soll der Ausstoß zwischenzeitlich wieder gefallen sein. Auch gibt es immer wieder Ärger wegen der Qualität des mindestens 35 000 Dollar teuren Gefährts. Ingenieure fanden bei einer kritischen Inspektion im Auftrag der Investmentbank UBS kleine Spalten zwischen Stahlteilen und Komponenten, die durch Kabelbinder zusammengehalten wurden. Ein Tesla-Käufer postete im Netz ein Foto seiner Luxuskarosse, auf dem eine Innentür einen braun-grauen und die andere einen weißen Bezug hat. Eine Firmensprecherin versprach rasche Abhilfe.

Zudem sitzt Tesla auf einem Schuldenberg von fast elf Milliarden Dollar und verdient immer noch kein Geld. Zum Jahresende braucht das Unternehmen nach Schätzung von Analysten rund zwei Milliarden Dollar. Und schließlich sind da noch die rechtlichen Fallstricke, die der Grenzgänger zwischen Genie und Größenwahn selbst ausgelegt hat: Die Börsenaufsicht SEC ermittelt wegen möglicher Marktmanipulation. Mehr als ein Dutzend Anwälte sammelt Klagen von irregeführten Aktionären, um eine milliardenschwere Entschädigung einzuklagen. Und der britische Rettungstaucher Vernon Unsworth, den Musk als „Pedo Guy“ verunglimpfte, will ihn wegen Verleumdung verklagen.

In Stendhals „Rot und Schwarz“ verliebt sich die von Musk zitierte adlige Mathilde leidenschaftlich in den feingliedrigen Julien, den sie für ein revolutionäres Genie hält. Doch der Emporkömmling enttäuscht sie schwer. Nach einem Bericht der „New York Times“ sind die Mitglieder des Tesla-Aufsichtsrats ernsthaft besorgt über die erratische One-Man-Show und den Schlafmittelkonsum ihres einstigen Stars und suchen nach einem zweiten Unternehmenschef. Doch Musk hält sich für unersetzlich. „Wenn es jemanden gibt, der den Job besser machen kann als ich, lassen Sie es mich wissen. Er kann den Job sofort haben.“