Der Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus hatte einen Zusammenhang zwischen dem Schwarzen Donnerstag und einer für wenige Tage später angesetzten Regierungserklärung von ihm bestritten. Neu aufgetauchte Mails lassen Zweifel an dieser Darstellung zu.

Stuttgart - Die CDU-Fraktion hat sich enthalten, alle anderen Parlamentsgruppierungen – also Grüne, SPD und FDP – haben zugestimmt: Somit hat der baden-württembergische Landtag parallel zum Untersuchungsausschuss, der sich mit dem EnBW-Deal und dessen Aufarbeitung befasst, jetzt einen zweiten. Sein Auftrag lautet gemäß dem von Grünen und SPD eingebrachten Antrag wörtlich so: „Aufklärung einer politischen Einflussnahme der CDU-geführten Landesregierung Mappus auf den Polizeieinsatz vom 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten und auf die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses 2010/2011“.

 

Die CDU stört sich nicht wenig an diesem Titel. „Gibt es etwas Suggestiveres oder mehr Vorverurteilendes als diese Bezeichnung?“ fragte der Unionsabgeordnete Reinhard Löffler. „Eine Einladung zu einer Schlammschlacht nehmen wir nicht an.“ Die CDU rechnet in den Ausschusssitzungen mit „Stimmungsmache vor allem mit Blick auf die bevorstehende Kommunalwahl“. Löffler formulierte gar, der Ausschuss werde „auf Antrag der grün-roten Landesregierung“ eingesetzt. Er solle dazu dienen, „ihre sinkenden Umfragewerte aufzupäppeln“. Denn das Wahlvolk „ist gelangweilt von ihrer Arbeit“.

Mit so viel Reserviertheit steht die Union allerdings alleine da. Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) und Sascha Binder (SPD) begründeten ihren Einsetzungsantrag. Man sei es nicht zuletzt auch der Polizei schuldig aufzuklären, so Sckerl, ob die Beamten geleitet von politischen Interessen in einen Einsatz gegen Stuttgart 21-Gegner geschickt worden seien, der blutig wurde und als „Schwarzer Donnerstag“ in die Zeitgeschichte eingegangen ist. 160 Menschen sind damals verletzt worden. Dass die Räumung des Schlossgartens sein musste, weil wenige Tage später im Landtag eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zu dem Bahnhofprojekt anstand, hat Stefan Mappus (CDU) seinerzeit vehement bestritten.

Keine einheitliche Bewertung

Der danach eingesetzte Untersuchungsausschuss kam nicht zu einer einheitlichen Bewertung. Die damaligen Regierungsfraktionen von CDU und FDP hätten in „arroganter Selbstgefälligkeit“, so Sckerl, eine politische Einflussnahme verneint, Fehler allenfalls bei einzelnen Polizisten festgestellt. Inzwischen – etwa durch die Veröffentlichungen der Stuttgarter Zeitung – sei bekannt geworden, dass es eine Kommunikation zwischen der damaligen Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) und Mappus gegeben habe, „die den Tag in neuem Licht“ erscheinen lassen könnten. „Wir wollen diese Dokumente sehen“, so Sckerl.

Verfassungsrang habe die Frage, ob dem ersten Ausschuss „wesentliche Unterlagen vorenthalten“ worden seien, deren Kenntnis womöglich ein anderes Untersuchungsergebnis gebracht hätte. „Wir haben das Gefühl, dass wir nicht alle Unterlagen bekommen haben“, ergänzte Binder. Ein Gefühl allein hätte aber für einen neuen Untersuchungsausschuss nicht gereicht. Nachdem aber in der Öffentlichkeit zuvor unbekannte Dokumente publik wurden, „können wir die Aufklärung nicht an die Medien abgeben, sondern müssen selbst dafür sorgen“. Es sei zu klären, ob die Abgeordneten damals „den Ausschuss unter falschen Voraussetzungen begleitet“ haben.

FDP stimmt zu

Diese Frage interessiert auch die FDP. Timm Kern begründete, warum die Liberalen der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zustimmen. Er biete eine Aufklärungsmöglichkeit „ohne verzerrende Verallgemeinerung“. Kern appellierte an die Mitglieder, „sauber zu arbeiten“, etwa wenn bei der Fragestellung, ob es eine womöglich rechtswidrige Einflussnahme auf die Polizei gegeben habe. Kern wollte aber auch „nicht verhehlen“, dass die FDP parteitaktische Manöver befürchtet. Die Arbeit in dem Gremium könnte zu „einer Klamaukveranstaltung“ verkommen. Aber: „Wir hoffen, dass es anders kommt.“

Reinhard Löffler kündigte für die CDU an, sie werde „die Arbeit im Ausschuss sachlich und konstruktiv unterstützen“, bei Vorverurteilungen aber „nicht mitmachen“. „Aus unserer Sicht muss der Untersuchungsausschuss klären, ob es Mails gibt und welchen Inhalts sie waren“, so Löffler. Sollte sich die Existenz solcher Mails bestätigen und sich eine Relevanz für die damalige Aufklärungsarbeit erweisen, „dann werden wir prüfen, ob das Folgen für den damaligen Untersuchungsausschuss hatte“, sagte Löffler weiter.

Fünf Fragen für den Ausschuss

Bei Enthaltung der Unionsabgeordneten stimmte der Landtag schließlich der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zu. Einstimmig wurden Jürgen Filius (Grüne) zu dessen Vorsitzendem und Andreas Deuschle (CDU) zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Das Gremium wird sich bereits am Donnerstag in nicht öffentlicher Sitzung konstituieren.

Der Ausschuss soll fünf Fragen klären:

1.
ob und in welchem Umfang der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses „Aufarbeitung des Polizeieinsatzes am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten“ unvollständig ist, welche Unterlagen (. . .) diesem Untersuchungsausschuss nicht vorgelegt wurden, insbesondere wann und von wem welche Unterlagen vorenthalten wurden, aus welchen Gründen und unter wessen Verantwortung;

2.
ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Landtag durch unvollständig vorgelegte Akten in seinen Rechten verletzt worden ist;

3.
ob und gegebenenfalls auf welche Weise und mit welchen Zielen es eine politische Einflussnahme der CDU-geführten Landesregierung Mappus oder von Dritten auf den Polizeieinsatz (. . .) gab, insbesondere ob neu aufgetretene Tatsachen oder neu zu beurteilende Tatsachen eine neue Bewertung des Polizeieinsatzes erfordern;

4.
wann und aus welchem Grund der 30. September 2010 für den Polizeieinsatz im Schlossgarten festgelegt wurde und welche Personen auf Seiten der CDU-geführten Landesregierung Mappus, der Ministerien, der Polizei oder Dritte an dieser Entscheidung beteiligt waren;

5.
ob die für den 6. Oktober 2010 geplante Regierungserklärung des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus Einfluss auf den Zeitpunkt des Polizeieinsatzes hatte.

Der Ausschuss hat elf Mitglieder, die CDU stellt vier (Reinhard Löffler als Obmann sowie Andreas Deuschle, Joachim Kößler und Alexander Throm). Grüne und SPD haben jeweils drei Sitze (Uli Sckerl als Obmann sowie Jürgen Filius und Brigitte Lösch für die Grünen; Sascha Binder als Obmann sowie Anneke Graner und Nikolaos Sakellariou für die SPD). Die FDP hat ein Mandat (Timm Kern).

Erstmals wird ein Grüner den Vorsitz in einem Untersuchungsausschuss übernehmen. Die Grünen-Fraktion hat dafür den 53-jährigen Parlamentarier aus Ulm, Jürgen Filius, ausersehen. Er ist Jurist, hat seit 1998 eine eigene Anwaltskanzlei in Ulm und ist parallel stellvertretender Vorsitzender im EnBW-Untersuchungsausschuss.