In einem Wäldchen im Ludwigsburger Schießtal wurden im Zweiten Weltkrieg Deserteure und Widerstandskämpfer hingerichtet, viele von ihnen waren noch blutjung. Sie sollen nicht vergessen werden.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Karl Heise war gerade 18  Jahre alt, als er am 9. Oktober 1944 in einem Wäldchen zwischen Ludwigsburg und Remseck starb. Heute führt der Neckartal-Radweg dort vorbei. Schießtal: So heißen die Gegend wie auch das daneben gelegene Remsecker Gewerbegebiet immer noch. Dort und im Osterholz wurden während des Zweiten Weltkrieges, als Ludwigsburg Ort der Militärgerichtsbarkeit und Hinrichtungsstätte war, insgesamt 68 Menschen erschossen: wegen Wehrkraftzersetzung, Fahnenflucht oder des Verstoßes gegen die „Kriegssonderstrafrechts-Verordnung“.

 

Der junge Panzergrenadier Karl Heise hatte damals Heimweh nach seinen Eltern gehabt, hatte sich aus der Kaserne fortgemacht, war nach Hause nach Gönningen geflüchtet und dort untergetaucht. Doch eine Dorfbewohnerin verriet ihn. Er wurde zum Tod verurteilt. Es waren aber nicht nur Soldaten wie Karl, die in Ludwigsburg starben. Auch 17 belgische und 25 französische Widerstandskämpfer wurden hingerichtet.

Die Familie bekam die von Kugeln durchsiebte Soutane des Priesters

Octave Mondo etwa, der in Brüssel den jüdischen Arzt und Widerstandskämpfer Youra Lifschitz versteckt hatte, aber verraten wurde. Er wurde am 22. Juni 1944 von Brüssel aus ins Zuchthaus Ludwigsburg eingeliefert, am 30. Juni um 5.30 Uhr dem Gericht Luftgau VII Stuttgart übergeben und um 6 Uhr im Schießtal hingerichtet. Von Charles Lair, einem in die Résistance gegangenen Priester, der am 23. Mai 1944 mit acht weiteren Verurteilten erschossen wurde, erhält die Familie später Fetzen der von Kugeln durchsiebten Soutane.

An die Ermordeten will die Ludwigsburger Stolperstein-Initiative bald mit einem Mahnmal erinnern. In dem Wäldchen selbst, in dem sogar ein Teil des Kugelfangs übrig geblieben ist, mache das keinen Sinn, sagt Walter Mugler von der Initiative. Der Ort ist schwer zugänglich, Unrat liegt herum: Er sei „etwas verkommen“, so Mugler.

Das Mahnmal soll stattdessen am viel frequentierten Rad- und Spazierweg entlang des Neckars aufgestellt werden: eine Stele, in der Pfeile stecken, auf denen sich Namen, Geburts- und Todesjahr und Herkunftsland der Getöteten finden. Um den Pfahl herum wird eine Rundbank aufgestellt, gegenüber wird eine Infotafel in Form eines Stopp-Schildes platziert. Über QR-Codes auf der Stele können Besucher nachlesen, was die Stolpersteine-Initiative zu den Biografien der Getöteten herausgefunden hat.

Von vielen der Getöteten gibt es keine direkten Nachkommen

Die jahrelange Recherche erwies sich als äußerst schwierig und teils zäh. „Die meisten der deutschen Getöteten waren sehr jung und hatten noch keine eigene Familie. Es gibt also keine direkten Nachkommen, sondern höchstens Neffen, Nichten, Großneffen oder Großnichten“, erzählt Walter Mugler, der für die aufwendigen Nachforschungen zuständig ist. Er schrieb an Archive der Herkunftsorte der Getöteten, die wiederum aus Datenschutzgründen die Namen von Verwandten nicht herausgeben konnten, diese aber zumindest baten, Kontakt mit Mugler aufzunehmen. Das war aber nur in einem Fall erfolgreich. Der Enkel eines der Hingerichteten – dieser war damals schon älter und hatte bereits Nachwuchs – will auch zur Einweihung der Stele kommen.

Von anderen hörte Mugler gar nichts. „Ein Fall war besonders bemerkenswert. Da war der Vater der Archivarin sogar ein Schulfreund des Opfers gewesen. In der Familie galt der Mann als vermisst.“ Doch seine Hinrichtung ist aktenkundig und auf dem Alten Friedhof in Ludwigsburg findet sich sein Name auf einem der Grabsteine der Soldatengräber. Die Familie wollte aber nicht mit Mugler über den Getöteten sprechen.

Die Ächtung hielt bis weit in die Nachkriegszeit

Familien von Deserteuren wurden noch bis weit in die Nachkriegszeit geächtet, Fahnenflüchtige wurden kriminalisiert und von der Anerkennung als NS-Opfer ausgegrenzt. Auch in Ludwigsburg, berichtet Mugler, gebe es den Fall eines hingerichteten Deserteurs, dessen Nachfahren heute noch im Haus wohnen, in dem er aufwuchs, und die auf keinen Fall gewollt hätten, dass dort ein Stolperstein zu seinem Gedenken verlegt werde.

Mugler recherchierte unter anderem auch im Militärarchiv in Freiburg oder der Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin, „für die ich sogar ein Empfehlungsschreiben vom damaligen Bürgermeister Konrad Seigfried und vom Staatsarchivleiter Peter Müller gebraucht habe“, wie Mugler berichtet. Etwas einfacher lief unterdessen die Suche nach den französischen Widerstandskämpfern, in Archiven und Bürgermeisterämtern sei ihm sehr geholfen worden. In Belgien fündig zu werden, war wiederum schwieriger. Zumindest Eckdaten zu allen Getöteten sind aber mittlerweile vorhanden, zu vielen auch ausführlichere Informationen.

„Vieles haben wir von unseren Großeltern nicht gehört“

Dass sich die Stolperstein-Initiative des bisher wenig beleuchteten Kapitels in der Ludwigsburger Geschichte annimmt, stößt bei der Stadtverwaltung und auch beim Gemeinderat auf Anerkennung. Jüngst hat der Bildungs- und Sozialausschuss zugestimmt, zu den knapp 40 000 Euro kalkulierten Kosten für das Mahnmal 10 000 Euro beizusteuern. Nur die Freien Wähler wollten nicht mitziehen, ihnen erscheint die Stele nicht würdevoll genug. Die anderen hießen sowohl die Planung als auch die Tatsache, dass das Thema dem Vergessen entrissen wird, gut. „Vieles haben wir von unseren Großeltern nicht gehört. Auch nicht, dass es hier Hinrichtungsstätten gab“, sagte Hubertus von Stackelberg (SPD). Mit dem finanziellen Grundstock und Spenden aus Geburtstagen will die Initiative jetzt weitere Geldgeber suchen. Die Eltern von Karl Heise übrigens verloren nicht nur ihren Sohn. Sie wurden wegen „Verleitung zu seiner Fahnenflucht“ verhaftet und kamen selbst ins Zuchthaus.

Per QR-Code zu Biografie

Das Mahnmal
Wegweiser zeigen üblicherweise auf ein Ziel. Die Schilder der geplanten Skulptur sind aber umgekehrte Einbahnschilder, die vom Herkunftsort der Getöteten auf den Exekutionsort verweisen. Auf ihnen werden Geburtsjahr, Vor- und Nachname, Herkunftsland und das Todesjahr der Hingerichteten angegeben. Auf der Stele selbst steht die Inschrift „Mahn-Denk-Mal Schießtal“; ein QR-Code verweist auf die Website mit Lebensläufen. Die Rundbank soll Verweilen einladen und die Skulptur schützen.