In der Nacht vom 12. auf den 13. September 1944 legten 200 britische Bomber weite Teile Stuttgarts in Schutt und Asche. Auch Schloss Rosenstein wurde zerstört. Damit ging auch eine bedeutende Bibliothek in Flammen auf.

Stuttgart - Einen Monat, nachdem in der Nacht vom 12. auf 13. September 1944 zwischen 23 Uhr und 23.30 Uhr mehr als 200 britische Bomber weite Teile der Stadt in Schutt und Asche gelegt haben, legt Stuttgarts Oberbürgermeister Karl Strölin seinen Schadensbericht vor: „Was nun die Gebäudeschäden im Einzelnen betrifft (…), so kann ich aus der langen Liste der total und schwer beschädigten öffentlichen Gebäude (…) nur ganz wenige hervorheben. Ich erwähne vor allem das Haus der Technischen Werke, das Innenministerium, das Kultusministerium, das Justizgebäude, die Reichsbahndirektion, die Reichspostdirektion, das Schloß Rosenstein, das Kleine Haus der Staatstheater, die Landesbibliothek und die Musikhochschule.“ Überraschend ungeschönt bilanziert der NS-Oberbürgermeister: Nach dem Angriff auf die Stadt „sind 60 Prozent der Gebäude ausgefallen“.

 

Bis zu diesem Tag hatte das Schloss Rosenstein im Osten der Stadt alle Bombenangriffe nahezu unbeschadet überstanden. Am Morgen des 13. Septembers 1944 standen von der ehemaligen Sommerresidenz der württembergischen Könige nur noch die Außenmauern. Was heute nahezu vergessen ist: Mit dem Schloss gingen auch große Teile einer Bibliothek in Rauch auf, die bereits in den 1920er-Jahren unter Historikern als eine der bedeutendsten ihrer Art in Deutschland galt. Seit 1921 war in der 1824 bis 1829 erbauten klassizistischen Schlossanlage die sogenannte „Weltkriegsbücherei“ des Ludwigsburger Ersatzkaffeefabrikanten Richard Franck für die Öffentlichkeit zugänglich. Aus ihr sollte trotz der verheerenden Zerstörungen nach 1945 die Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte hervorgehen.

Eine internationale Sammlung aus Büchern, Zeitungen, Plakaten zum Ersten Weltkrieg

„Sie ist heute eine der größten zeitgeschichtlichen Spezialbibliotheken in Europa.“ Der das sagt, ist Christian Westerhoff, seit 2013 Leiter der Bibliothek und deren Sondersammlung in der Gaisburgstraße 4a, die inzwischen zur Württembergischen Landesbibliothek gehören. Westerhoff hat sich intensiv mit der Geschichte der Institution auseinandergesetzt. Seit 1915 hatte der Industrielle Franck, der mit seinem Zichorienkaffee ein Vermögen gemacht hat, die Mitarbeiter seiner Berliner Werbeabteilung zweckentfremdet, um eine internationale Sammlung aus Büchern, Zeitungen, Plakaten und anderen Dokumenten zum Ersten Weltkrieg aufzubauen. „Das war damals durchaus Mode“, erklärt Westerhoff. „Schon die Zeitgenossen erkannten die historische Bedeutung des Ersten Weltkriegs. Der erste totale Krieg sollte auch total erfasst werden.“ Franck hatte die private Sammlung, die 1920 von Berlin nach Stuttgart umzog, zwar als wissenschaftliche Bibliothek konzipiert. Tatsächliche entwickelte sich die „Weltkriegsbücherei“ aber bereits unter seinem ersten, dem noch als relativ liberal geltenden Direktor Friedrich Felger, erkennbar zu einem Instrument der Propaganda: „Felger war der Meinung, dass sich die Sammlung hervorragend zur ‚Bekämpfung der Kriegsschuldlüge‘ nutzen ließ“, sagt Westerhoff. Das ab 1934 an der Spitze der inzwischen international hochrenommierten Bibliothek stehenden NSDAP-Mitglied Willi Eilers war dann bestrebt, die Institution im Sinne der Machthaber auszurichten.

Dass die wissenschaftlich gleichwohl wertvollen Sammlungsbestände und das angegliederte Weltkriegsmuseum nicht komplett im Feuersturm des 12. Septembers vernichtet wurden, war der Auslagerung eines großen Teils der Bestände ab 1942 zu verdanken. „Zerstört wurde unter anderem die große Sammlung an Feldzeitungen und die rund 50 000 Plakate umfassende grafische Sammlung“, so Westerhoff. Die Bibliothek war Opfer ihrer eigenen propagandistischen Ziele geworden: „Es kann zurecht über die Weltkriegsbücherei gesagt werden, dass sie die Revision des Versailler Vertrags gefordert, den deutschen Militarismus unterstützt und einen Beitrag zur geistigen Mobilmachung im Dritten Reich geleistet hatte“, sagt Westerhoff. Weshalb es nach 1945 auch gewichtige Stimmen gab, die Institution nicht mehr aufleben zu lassen.

Die „Weltkriegsbücherei“ firmiert nach 1948 als „Bibliothek für Zeitgeschichte“

Es sollte anders kommen: Das zerstörte Schloss Rosenstein wird in den 1950er-Jahren wiederaufgebaut und beherbergt ab 1954 das Staatliche Museum für Naturkunde. Die „Weltkriegsbücherei“, die nach 1948 als „Bibliothek für Zeitgeschichte“ firmiert, zieht in die Gebäude der Württembergischen Landesbibliothek und richtet sich inhaltlich völlig neu aus. Aktuell umfasst deren Bestand mehr als 400 000 Bücher und 400 Zeitschriften sowie die Sondersammlungen ‚Zeit der Weltkriege‘, ‚Marine‘ und ‚Neue Soziale Bewegungen‘. „Den Schwerpunkt unserer Sammeltätigkeit bildet nach wie vor das Thema Kriege und Konflikte und ist damit ein wichtiger Dienstleister für Lehre, Forschung und Kultur“, sagt Westerhoff. Aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, den die Bibliothek propagandistisch unterstützt hatte und der sie fast selbst zum Opfer gefallen wäre, war eine demokratische Bildungsinstitution hervorgegangen.