Im Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist Katar dabei, unter die Räder zu kommen. Seit 100 Jahren versucht sich das kleine Emirat mit diplomatischer Pendeldiplomatie zwischen den großen Spielern der Region zu behaupten.
Stuttgart - Einfach hatten sie es mit ihrem großen Nachbarn nie, die Kataris. Am 3. November 1916, als in Europa der Erste Weltkrieg tobte, unterzeichneten Scheich Abdullah bin Jasim bin Thani und der Repräsentant der Britischen Krone einen Vertrag. Katar wurde britisches Protektorat. Aus heutiger Sicht kein schlechter Schachzug. Hätte es den Vertrag nicht gegeben, wäre Katar wahrscheinlich schon einige Jahre später unter saudi-arabische Herrschaft gefallen, sagte der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik dem WDR. Und die Situation heute ist immer noch ähnlich.
Katar ist ein kleines Emirat, hat jedoch große Ambitionen. Der energiepolitische Riese, der sich mit dem Iran das größte Gasfeld des Planeten teilt, versucht in vielen Bereichen Anerkennung zu erlangen. Es richtet sportliche Großveranstaltungen wie Weltmeisterschaften im Fußball (2022) und Handball (2015) aus, will sich aber noch mehr mit diplomatischen Initiativen hervortun. Das Doha-Abkommen 2008, in dem die libanesischen Konfliktparteien die Bildung einer Einheitsregierung akzeptierten, ist ein herausragender Erfolg der katarischen Diplomatie. Und ein Nadelstich gegen Saudi-Arabien: Auch Riad hatte sich lange Zeit um eine Vermittlung im Libanon bemüht.Das mehr als angespannte Verhältnis zwischen Katar und Saudi-Arabien ist eine Konstante in einer Region, in der Allianzen ständig wechseln. Grundsätzlich hegt Katar den Verdacht, dass sich die Saudis ihr Emirat bei jeder Gelegenheit gerne einverleiben würden. Was vor 100 Jahren der Schutzvertrag mit den Briten war, das ist heute der Vertrag mit den USA über die Luftwaffenbasis Al Udeid. Die Startbahn ist die längste, die der Air Force in der Region zur Verfügung steht, 10 000 US-Soldaten sind dort stationiert.
Dass am Montag Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Bahrain, Jemen und die international nicht anerkannte Regierung in Libyens Osten ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar abgebrochen haben, ist denn auch den Machthabern in Riad zu verdanken. Das katarische Streben nach außenpolitischen Erfolgen ist den dort Herrschenden schon immer ein Dorn im Auge. Die Länder, die mit Saudi-Arabien nun im Gleichschritt schreiten, hängen größtenteils von Zahlungen und von militärischer Unterstützung aus Riad ab. Das gilt auch für die Malediven, die, ebenfalls massiv mit Saudi-Dollar gefördert, den Kataris die diplomatische rote Karte zeigen.
Verbündete und Allianzen wechseln schnell in der Region
Die offizielle Begründung für den Schritt ist zumindest fraglich. Katar finanziere den Terror des islamischen Staates (IS), heißt es offiziell. „Den Vorwurf hört man seit vielen Jahren“, sagt die Islamwissenschaftlerin Katja Niethammer. Zwar sei eine finanzielle Unterstützung des IS durch reiche Kataris nicht auszuschließen, für staatliche Zahlungen gebe es jedoch keine Anhaltspunkte. Zudem wird der gleiche Vorwurf, den Saudi-Arabien nun gegenüber Katar äußert, seit Jahren vom Westen gegenüber Riad erhoben. Von dort fließt viel Geld an den IS.
Das iranisch-saudische Verhältnis und der Kurswechsel in der US-Politik sind daher wohl der eigentliche Anlass für den Streit am Golf. Riad und Teheran sind Erzfeinde. Nachdem US-Präsident Donald Trump das von seinem Vorgänger geschlossene Atomabkommen mit dem Iran gegeißelt und in Saudi-Arabien gegen den Iran gewettert hat, wittern die Scheichs Morgenluft. Sie nehmen Katar ins Visier – und zielen damit auf den Iran. Katars Verhältnis zu Teheran ist zwar nicht von inniger Freundschaft, aber vor allem wegen des gemeinsamen Gasfeldes von pragmatischer Zusammenarbeit geprägt. Und das, obwohl der in Katar praktizierte Islam eng am wahabitischen Islam Saudi-Arabiens angelehnt ist – im Gegensatz zum schiitisch dominierten Iran. „Die Religion ist in der Region ein wichtiger Faktor, aber nicht der alleinige“, sagt Ulrike Freitag, die Direktorin des Berliner Leibniz-Zentrums Moderner Orient.
Riad sieht sich als Vater, Katar ist der ungezogene Sohn
Saudi-Arabien geriere sich wie der Vater, der den Sohn bestraft, der nicht richtig hört, sagt Freitag. Das Verhältnis Katars zum Iran sei dabei nur ein wichtiger Punkt, der andere sei der Umgang mit den Muslimbrüdern. Deren Schriften sind in Saudi-Arabien inzwischen verboten, in Katar wird die Gruppierung hingegen unterstützt. Das kleine Emirat will sich in dieser Frage nicht vom großen Bruder belehren lassen. Auch wenn die Lage derzeit angespannt ist: Die konkrete Aufwallung wird sich nach Ansicht Ulrike Freitags schnell beruhigen. Es blieben jedoch Streitpunkte offen, über die in der Region seit Langem heftig diskutiert werde – etwa, ob der Golfkooperationsrat eine eigene Währung bekommen soll. Saudi-Arabien ist dafür, Oman droht für diesen Fall offen mit dem Austritt. „Es gibt in der Region unglaublich viele unterschiedliche Interessen, und oft stellt sich für die Länder die Frage, wann es clever ist, den Weg zusammen mit Saudi-Arabien zu gehen und wann nicht“, sagt Freitag.Kuwait, das sich nicht in die Riege der saudischen Anti-Katar-Koalition hat einspannen lassen, kündigte seine Vermittlungen in der Krise an. Als Saudi-Arabien im Januar 2016 seine diplomatischen Kontakte zu Teheran abgebrochen hatte, gehörte Kuwait noch zu den Ländern, die Riad bei diesem Schritt gefolgt waren.
Oft sind die Bündnisse im Detail nicht einmal für Experten völlig verständlich. So haben sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nun dem saudischen Vorpreschen angeschlossen, beim seit Jahren andauernden Krieg in Jemen haben die Emirate jedoch dezidiert andere Interessen als Riad. „Die Allianzen wechseln oft und sind brüchig“, sagt Ulrike Freitag. Zum einen seien die VAE zwar schon immer auf einem klaren Kurs gegen die Muslimbrüder gewesen – andererseits haben sie dem Iran zu Zeiten der Sanktionen das Überleben gesichert.