Elf Tage, 191 Kilometer: Bartek von den Orsons erfüllte sich den Traum vom Jakobsweg. Eine Kolumne über sein forderndes Pilger-Abenteuer.
Gesagt, getan. Schon lange habe ich jedem Menschen, den ich kenne, erzählt: Wenn ich 40 bin, laufe ich den Jakobsweg. Und jetzt bin ich zurück und habe die Pilger-Urkunde aus Santiago de Compostela vor mir, mit ausgewiesenen 191 gelaufenen Kilometern!
Der Ruf des Weges: Von Porto nach Caminha
Ich kann hier natürlich nicht alles nacherzählen, aber ich kann euch sagen: So ein Trip bringt euch wieder mit eurem Körper und Geist zusammen. Ein ganz neues Körpergefühl hat sich eingestellt, ich beginne viel feiner auf jedes Zippeln zu achten: ob es irgendwo schmerzt, ob es am Knie warm wird, ob an der Stelle, an der mein Rucksack mit meinem Rücken aufeinandertrifft, nicht ein blauer Fleck entstehen könnte... ich war plötzlich hellwach, was meinen Körper betrifft. Er war ja das Wichtigste, um jeden Tag zwischen 21 und 29 Kilometern gehen zu können.
So leichtes Gepäck hatte ich noch nie für eine 11-tägige Reise: 2 Shirts, 2 Boxershorts, Mikrofaserhandtuch, 2 Wandersocken, Badelatschen. Der Rest waren Utensilien wie Blasenpflaster, Reiseapotheke und Kytta-Salbe. Diese war auch das Wichtigste, schon nach Tag 2 meiner Reise.
Die erste Nacht: 18 Pilger, 1 Raum – und kein Schlaf
Aber der Reihe nach. Ich landete in Porto und fuhr mit dem Zug einen Ort weiter, wo mein Jakobsweg begann: Viana de Castelo. Von dort aus ging ich gleich zu Beginn den längsten Tagesstreckenabschnitt von 29 Kilometern (!) bis zur nächsten Station Caminha. Um Unterkunft wollte ich mich absichtlich nicht vorab kümmern, sondern wollte alles auf mich zukommen lassen.
Ich muss schon sagen: Die erste Nacht war schon crazy. Ich habe sie in einer Herberge mit 18 anderen Menschen verschiedenster Altersgruppen und Herkunftsländer in einem Raum verbracht. So viel Husten, so viel Licht an und aus, so wenig ruhige Schlafphasen.
A New Kind of Stolz: Jeden Tag weitergehen
Aber das gehört zu diesem Abenteuer nun mal dazu. Gleich am zweiten Morgen habe ich eine unfassbar nette und aufgeschlossene polnische Familie kennengelernt, die in Amerika, irgendwo neben Houston wohnt. Mit ihnen setzte ich noch vor 8 Uhr morgens mit einem kleinen Schlauchboot, dass uns ein Portugiese eher aufgezwungen hatte, das aber nur 6 Euro kostete, in einer halsbrecherischen 4-Minuten-Fahrt von Portugal nach Spanien über. Und überwältigt von der sich hier schlagartig ändernden Natur stapfte ich durch einen matschig-verwunschenen Wald, als ich auf einem Tannenzapfen ausrutschte und umknickte.
War gar nicht schlimm, aber sechs Stunden später setzte ein Schmerz in meinem rechten Fuß ein, der bis heute noch anhält. Da muss etwas überdreht worden sein, denn dem laut Google diagnostiziertem „Ermüdungsbruch“ wollte ich an Tag 2 keinen Glauben schenken.
Ein Umknicken, ein Stock: Die Geburt von „Nikodemstick“
Jeden Morgen dachte ich aufs Neue, dass ich auf keinen Fall mit diesem Fuß weitergehen könnte, aber nach einer Schmerztablette und drei Espressos gepaart mit einer Stunde laufen, wurde es aushaltbar und ich habe es eisern durchgezogen. Als Wink des Universums habe ich dann auch Folgendes verstanden: Da ich seit dem „Ausrutscher“ eher angestrengt zu Boden schaute, als umher, fiel mir ein an einer Mauer lehnender, von der Länge und Dicke her perfekter Wanderstock auf, der mir von der Sonne bestrahlt ein „Halleluja“ zurief. Das war dann fortan mein bester Freund: Nikodemstick!
Keep Your Circle Small: Abenteuer mit Rucksack „Sancho Panza“
Überhaupt wurde alles, was ich an mir und im Rucksack bei mir hatte, mein bester Freund: der Wanderhut bei Sonne und Regen, die dünne Regenjacke bei Sommerregen. Ich hatte literally meine sieben Sachen gepackt und kam mir vor wie ein Handwerker auf der Walz beim Aus- und Einpacken von „Sancho Panza“, wie ich meinen Rucksack taufte.
Wie in einem Zelda-Abenteuer war jeder Apfel ein Item, bei dem ich überlegen musste: Wo passt der noch hin? Kann ich etwas anderes dafür zurücklassen? Herrlich.
Wer allerdings denkt, man sei die ganze Reise nur für sich selbst, wird – zumindest Anfang Mai als ich unterwegs war – eines Besseren belehrt. Es war schon echt viel los auf den Wegen und es kam schon vor, dass ich in einer alten Steinkapelle stand und einfach nur staunen wollte, aber von fünf Tratschtanten aus Leipzig unter lautem Schnattern unterbrochen wurde. Gehört eben alles zum Abenteuer dazu.
Ich kann gar nicht alle wundersamen Dinge aufzählen – es gab so viele liebevolle, lustige und merkwürdige Mikro-Momente, da muss man eher ein Buch als eine Kolumne schreiben. Ob ich eine kleine asiatische Frau in einer Bar beobachtet habe, wie sie andächtig und voller Ehrfurcht ein fluffiges Croissant mit Messer und Gabel verspeist hat? Ob ich hinter einem Mann gegangen bin, der aus dem Nichts mit seinem Gehstock die Farnsträucher rechts am Weg verprügelt hat und als er mich sah, weiterging als wäre nichts gewesen? Man weiß es nicht, es gab unendlich viele schöne Eindrücke und diese muss ich erst mal verdauen.
Apropos, verdauen: Das Essen auf meiner Reise war natürlich auch wundervoll, da werde ich in nächster Zeit ein Rezept mit euch teilen müssen. Peruanische Fischsuppe!
Überhaupt habe ich so viel Pulpo und Fisch gegessen, dass jetzt bis aufs Weitere halbes Hähnchen auf den Speiseplan kommt.
So viel vom Jakobsweg. Bin noch lange hin und weg, okay, muss los, weiter geht’s...
Euer Bartek